Datenanalyse | Landtag - So hat Brandenburg seit 1990 gewählt
Kurz nach der Wiedervereinigung ist in Brandenburg der erste Landtag gewählt worden. Einiges blieb seither konstant: das Parteibuch des Ministerpräsidenten etwa. Vieles war hingegen stets in Bewegung. Von Götz Gringmuth-Dallmer und Oliver Noffke
Am 22. September haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger zum achten Mal einen neuen Landtag gewählt. In der kommenden Legislaturperiode besteht das Parlament aus vier Fraktionen. Zuletzt gab es vor 20 Jahren so wenig politische Meinungsvielfalt.
Seit das Bundesland im Oktober 1990 wiedergegründet wurde, haben sich die Kräfteverhältnisse im Parlament immer wieder verschoben. Die Farbkombinationen der Koalitionen haben sich mehrmals geändert, der Frauenanteil unter den Abgeordneten hat zu- und wieder abgenommen, der Anteil der Briefwähler hat sich vervielfacht.
In den vergangenen 34 Jahren ist aber auch einiges konstant geblieben: zum Beispiel die Parteizugehörigkeit des Ministerpräsidenten. Lange waren die Bürgerinnen und Bürger auch eher mäßig an ihrer Palramentswahl interessiert. 2024 war das anders, die Wahlbeteiligung lag deutlich höher als sonst, erstmals stimmten deutlich mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten ab.
Die Ministerpräsidenten-Partei
Lediglich zwei Parteien waren bisher durchgehend im Landtag vertreten: SPD und CDU. Das Amt des Ministerpräsidenten ist in Brandenburg dabei durchgehend in der Hand der Sozialdemokraten gewesen.
Die ersten 30 Tage nach seiner Gründung kam Brandenburg ohne Ministerpräsidenten aus. In dieser Zeit führte Jochen Wolf als Landesbevollmächtigter kommissarisch die Regierung. Wolf hatte im Oktober 1989 die Sozialdemokratische Partei in der DDR mitgegründet. Im Juni 1990 wurde er Regierungsbevollmächtigter für den Bezirk Potsdam. Seine Aufgabe bestand darin, nach dem Zerfall der Deutschen Demokratischen Republik den Übergang zu organisieren. Der erste ordentlich gewählte Ministerpräsident Brandenburgs war Manfred Stolpe.
Manfred Stolpe regierte Brandenburg bisher am längsten
Unter der Führung des Kirchenjuristen Stolpe erlebten die Sozialdemokraten ihre stärksten Jahre. Bei den Landtagswahlen von 1990 und 1999 landete die SPD mit deutlichem Abstand vor der zweitplatzierten CDU. Dazwischen, im Jahr 1994, musste Stolpe nicht einmal Koalitionspartner umwerben. Mit klarer absoluter Mehrheit konnte er fünf Jahre durchregieren. Nie wieder genoss ein Ministerpräsident in Brandenburg derartig großzügige Beinfreiheit. Zudem war - bis jetzt - niemand länger im Amt: Manfred Stolpe schaffte 4.255 Tage.
Sein Nachfolger kann die zweitlängste Amtszeit vorweisen. 4.052 Tage war Matthias Platzeck Ministerpräsident von Brandenburg. Dietmar Woidke folgt dicht dahinter. Am 1. Oktober würde er Platzeck überholen.
Zweimal führte Platzeck seine Partei als stärkste Kraft durch eine Landtagswahl. Doch so starke Ergebnisse wie unter Stolpe erreichte die SPD in Brandenburg nie wieder. Unter Woidke wurde daraus zunächst ein Trend: Auch bei den Wahlen von 2014 und 2019 waren die Sozialdemokraten am Ende die stärkste Kraft. Ihr Stück vom Kuchen wurde jedoch immer schmaler. In diesem Jahr konnte Woidke das ändern. Wieder wurde die SPD stärkste Kraft, mit einem deutlich besseren Ergebnis als vor fünf Jahren.
Brandenburger Farbverläufe
1990 erreichten die Christdemokraten mit knapp 30 Prozent Stimmenanteil ihr nach wie vor bestes Ergebnis. Mittlerweile stehen sie bei deutlich weniger als der Hälfte davon: 12,1 Prozent - das war das bislang schlechteste CDU-Ergebnis bei einer Landtagswahl in Brandenburg. In der Zwischenzeit befanden sich die Ergebnisse der Partei in stetiger Bewegung, mal auf, mal ab. Mal wurde die Partei zweitstärkste Kraft, andere Male landete sie auf Platz drei. Nun stellt sie die kleinste Fraktion.
Anders ist es bei der Partei Die Linke. Ihre Vorgängerin, die PDS, konnte ihr Ergebnis eine Zeitlang kontinuierlich verbessern. Bei der ersten Landtagswahl im Oktober 1990 lag die Partei bei gut 13 Prozent. Den Höhepunkt ihrer Beliebtheit erreichte sie 2004. Knapp blieb die PDS damals unter 28 Prozent. Nach dem Namenswechsel konnte die Partei ihr gutes Ergebnis in der Mark zunächst verteidigen, knapp über 27 Prozent der Stimmen entfielen 2009 auf Die Linke. Seitdem hat ihre Beliebtheit kontinuierlich abgenommen. Nun scheiterte die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde. Damit gibt es erstmals in einem ostdeutschen Bundesland einen Landtag ohne Beteiligung der Linke.
Während die Zustimmung zur Politik der Dauergäste im Landtag über die Jahrzehnte eher und stark nachgelassen hat, ist die Parteienlandschaft deutlich vielfältiger geworden. Ab 1994 waren SPD, CDU und Linke-Vorgängerin PDS zu dritt im Landtag. Fünf Jahre später schaffte es die rechtsextreme DVU erstmals in den Landtag. Sie blieb noch eine zweite Legislatur. 2009 konnte die FDP zum ersten Mal seit 1990 erneut den Sprung in den Landtag schaffen. Wiederholen konnten die Liberalen das seitdem nicht wieder. Zuletzt erhielt sie lediglich 0,8 Prozent der abgegeben Stimmen.
Ebenfalls 2009 schafften es Bündnis 90/Die Grünen erstmals nach dem Parteizusammenschluss in den Potsdamer Landtag. Bei der ersten Wahl, knapp zwei Jahrzehnte zuvor, hatte nur eine Hälfte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Das Bündnis 90, ein Zusammenschluss aus DDR-Bürgerbewegungen wie dem Neuen Forum, erreichte fast neun Prozent der Stimmen. Die frühen Brandenburger Grünen verpassten hingegen mit 4,3 Prozent den Einzug. Erst im darauffolgenden Jahr schlossen sich beide Parteien zusammen. Von 2009 bis 2024 war Bündnis 90/Die Grünen durchgehend im Landtag vertreten.
Die AfD schaffte 2014 erstmals den Einzug, genau wie BVB/Freie Wähler. Letztere scheiterten zwar an der Fünf-Prozent-Hürde. Da Christoph Schulze im Wahlkreis Teltow-Fläming III das Direktmandat holte, konnte die Partei aufgrund der Grundmandatsklausel dennoch ins Parlament einziehen.
2019 dann konnten die Freien Wähler, aber vor allem die AfD ihre Ergebnisse verbessern. Die AfD wurde zweitstärkste Kraft hinter der SPD. Die fuhr ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis in Brandenburg seit der Wiedervereinigung ein.
Die Freien Wähler sind nun nicht mehr im Landtag vertreten. Die AfD erreichte 2024 hingegen ihr bisher stärkstes Ergebnis. Im Landtag wird sie mehr als ein Drittel der Mandate halten - und damit die sogenannte Sperrminorität.
Aus dem Stand erzielt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in diesem Jahr ein Ergebnis von knapp 13,5 Prozent. Keine sechs Monate zuvor war der Brandenburger Landesverband erst gegründet worden. Nun könnte die Partei Teil der nächsten Regierung sein.
Die Parteien mit den meisten Zweitstimmen je Wahlkreis
Wie dominant die Sozialdemokraten über Jahrzehnte die politische Landschaft beherrscht haben, wird beim Blick auf die Wahlkreise deutlich. Weist man ihnen die Farben der jeweils stärksten Partei bei den Zweitstimmen zu, erscheint Brandenburg nach den allermeisten Wahlen ganz oder größtenteils rot. Nach einigen Wahlen durchbrochen vom Schwarz der CDU oder fuchsiafarbenen Wahlkreisen, in denen die PDS beziehungsweise Die Linke das beste Ergebnis erzielen konnte.
Doch die Stärke der SPD wirklich einzuschränken, gelang erst der AfD vor fünf Jahren. Die Wahl von 2019 teilte das Land: Im Süden und Osten war die AfD am stärksten, im Norden und Westen die SPD. Im gleichen Jahr konnte sich Bündnis 90/Die Grünen zum ersten Mal in einem Wahlkreis die Konkurrenz hinter sich lassen. Aktuell ist das Land gespalten SPD und AfD kamen bei der Landtagswahl 2024 auf ähnlich hohe Ergebnisse. Beide Parteien konnten zudem jeweils in 22 Wahlkreisen die meisten Zweitstimmen gewinnen.
Mindestens ein Drittel wählte lange nicht
Das Interesse an Landtagswahlen war in Brandenburg bislang mäßig ausgeprägt. Lediglich 1990 und 2019 gaben mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Mit Wahlbeteiligungen von 67,1 Prozent, beziehungsweise 67 Prozent gelang dies denkbar knapp. Einen Tiefpunkt gab es 2014. Nicht einmal die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger stimmte damals ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 47,1 Prozent.
Die Wahlbeteiligung im Jahr 2024 war hingegen so hoch wie noch nie zuvor bei einer Landtagswahl in Brandenburg: 72,9 Prozent der Wahlberechtigten machten von ihrem Stimmrecht gebrauch.
Die Gruppe der Nichtwähler birgt in Brandenburg enormes Potential. Das wird deutlich, wenn ihr Anteil in Relation zu den Stimmen für die Parteien betrachtet wird. Unter den Wahlberechtigten waren die Nichtwähler bisher jedes Mal die größte Gruppe. Diese Darstellung zeigt zudem, welchen Zuspruch die Parteien in der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung tatsächlich haben. Der hohe Anteil an Nichtwählenden lässt die farbigen Balken deutlich schrumpfen.
Ein Beispiel: Bei der Landtagswahl 1994 entfielen auf die SPD mehr als 54 Prozent der abgegebenen Stimmen. Allerdings lag damals die Wahlbeteiligung bei mäßigen 56 Prozent. Das heißt, tatsächlich stimmten nur 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Sozialdemokraten. Im Parlament erreichten sie allerdings eine absolute Mehrheit und konnten fünf Jahre allein regieren, ohne Kompromisse mit Koalitionspartnern aushandeln zu müssen.
Zunehmende Briefwahl, variierendes Geschlechterverhältnis
Die Zahl derer, die per Brief bei der Landtagswahl abstimmen, hat sich in Brandenburg in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht. 1990 wurden 3,7 Prozent der Stimmen per Brief abgegeben. 2024 war es fast ein Drittel: 32,7 Prozent der Wahlberechtigten machten Briefwahl.
Diese Entwicklung hatte durch Corona einen enormen Schub erhalten. Viele im Land hatten während der Pandemie zum ersten Mal auf dem Postweg gewählt. Die Europawahl Anfang Juni hat gezeigt, dass Briefwahl mittlerweile deutlich beliebter ist als vor der Pandemie.
Ursprünglich richtete sich die Briefwahl an Menschen, die etwa aus Krankheits- oder Altersgründen nicht persönlich ins Wahllokal gehen können. Bis vor einigen Jahren musste die geplante Abwesenheit am Wahlsonntag noch bei den zuständigen Ämtern begründet werden. Diese Hürde existiert seit einigen Jahren nicht mehr.
Im Vergleich zu anderen deutschen Parlamenten hatte der Brandenburger Landtag lange Zeit einen relativ hohe Frauenanteil unter den Abgeordneten. Doch seit 2004 ist diese Entwicklung rückläufig. Von einer Parität, also einem ausgeglichenen Anteil von Männern und Frauen, kann aktuell keine Rede sein. Lediglich nach der Wahl von 1990 waren weniger Frauen im Brandenburger Landtag als jetzt.
Ein Grund dafür ist das Ausscheiden von der Linken und den Grünen. Ihre Fraktionen hatten stets die meisten Frauen in ihren Reihen. Mit AfD, BSW und CDU sind nun drei Parteien im Landtag, die alle einen sehr geringen Frauenanteil ausweisen können.
Hinweis: Die Angaben für 2024 basieren auf dem vorläufigen Endergebnis der Landtagswahl.
Mitarbeit: Mariia Friede, Carmen Gosling, John Hennig, Matilda Schroth und Nikolai Tillmann-Cahsor