CDU-Wahlkampfauftakt in Brandenburg - Der gedrosselte Herr Redmann
Die CDU will in Brandenburg den nächsten Ministerpräsidenten stellen. Momentan fehlt es aber nicht nur an der nötigen Zustimmung unter den Wählern. Der Spitzenkandidat wird immer noch von einer Rollerfahrt zurückgehalten. Von Oliver Noffke
"Trinkst du alkoholfrei?" Die Angesprochene schaut verdutzt. Zur Sicherheit prüft sie die Bierflasche. "Nee, ich bin mit dem Fahrrad hier." Die umstehende Runde lacht. Dürfe man das denn sagen, fragt einer. Wieder lacht die Runde, nur gedämpfter. Vorn, neben den Lautsprechern, bereitet sich Jan Redmann auf die Eröffnung des Wahlkampfs vor. Doch selbst hier wird der Spitzenkandidat der Brandenburger CDU das Thema nicht los.
Kleßen-Görne im Havelland. Der Montagabend hätte kaum lauschiger über die kleinste Gemeinde in Brandenburg fallen können. Sonnenschein, kühle Brise. Bratwurstduft hängt in der Luft. Auf der Wiese vor dem schmalen Gemeindehaus wehen türkisblaue Luftballons und weiße mit Deutschlandstreifen. Das Gebläse einer Hüpfburg bekämpft erfolgreich die Musik aus den Boxen.
Seit zehn Tagen ist Redmann den Führerschein los. Er war nachts betrunken mit einem E-Scooter durch Potsdam gefahren und dabei einer Polizeistreife aufgefallen. Zu Beginn des Abends wird Redmann wiederholt von Journalisten danach gefragt. Die anwesende Parteiprominenz ebenso. Immer wieder witzelt jemand darüber.
Aus der Defensive kann er gerade nicht angreifen
Kurz nach 18 Uhr geht Generalsekretär Gordon Hoffmann in seiner Anmoderation in die Offensive. "Wir wissen alle, dass die Rollerfahrt keine gute Idee war." Es klingt wie: Nun ist aber auch mal gut. Dann legt er nach. Dass es in der Sache demnächst eine Sondersitzung im Landtag geben soll, sei völlig überzogen. "Gibt es denn nichts Wichtigeres?" Die Frage ist auch rhetorisch, denn sie dient dem Spitzenkandidaten direkt als Rampe.
"Wir Brandenburger kennen ja unnormale Zeiten", beginnt dieser. Jan Redmann will der nächste Ministerpräsident von Brandenburg werden. Die CDU hat kein Wahl-, sondern ein Regierungsprogramm aufgesetzt. Im jüngsten BrandenburgTrend standen die Christdemokraten bei 19 Prozent, gleichauf mit der SPD, beide vier Punkte hinter der AfD. Dennoch braucht der Spitzenkandidat am Montag ein paar Takte, um sich einzugrooven.
Redmann wirkt nicht nervös, sondern gedrosselt. Im Parlament kanzelt der Jurist Fragen, die er frech findet, problemlos im Stakkato ab. Aus der Defensive heraus angreifen kann er. Doch Attacke gäbe gerade den falschen Eindruck. Der 44-Jährige weiß schließlich selbst, dass der Roller keine gute Idee war. Er sagt es auch immer wieder. Redmann freut sich viel, sucht die Augen der Wähler. Er trägt Jeans und hat die Hemdsärmel hochgekrempelt.
Den einzigen Hauch eines offenen Angriffs erlaubt er sich zu Anfang. Die, die mit Angst Politik machten, böten keine Lösungen, sagt er da. Mehr Beachtung schenkt er dem Thema nicht. Im Rest seiner Rede setzt Redmann auf CDU-Klassiker. Allen voran die Bedeutung des Handwerks und der Landwirtschaft. Und von wem beides bedroht wird.
Weniger Auftakt, mehr Generalprobe
Zuerst holt Redmann einen Zimmermeister zu sich. Er fragt nach den Problemen und lenkt das Gespräch schnell zum Punkt. Der Handwerker findet nur schwer geeignete Auszubildende, an den Schulen werde das Falsche gelehrt, findet er, und für Auszubildende werde zu wenig getan. Redmann lächelt bei jedem Treffer und verbreitet seine Zustimmung ans Publikum. Dass dies als klarer Hieb gegen die SPD verstanden werden kann, stört Redmann nicht.
"1990 sind die ostdeutschen Länder ja alle vom gleichen Ausgangspunkt gestartet", sagt er rbb|24 im Anschluss. "Und wie hat sich das Land durch 30 Jahre SPD-Bildungspolitik entwickelt?" Während Sachsen im Ländervergleich Spitzenpositionen einnehme, sei Brandenburg auf dem absteigenden Ast. "Insofern ist eine Bildungspolitik mit CDU-Handschrift besser für dieses Land."
Anschließend geht es auf Terrain, das vom zweiten Koalitionspartner verantwortet wird. Nun wird ein Landwirt befragt. Wieder muss Redmann nicht aussprechen, wer auf dem Gebiet gerade was falsch mache. Dass es gegen Bündnis 90/Die Grünen geht, wird spätestens klar, als der Landwirt schildert, wie ihm durch strengeren Naturschutz Flächen verloren gehen. Die wirtschaftliche Situation der Agrarbetriebe werde aktuell zu stark durch Umweltauflagen belastet, sagt der Landwirt. "Auch wenn es Moorschutz ist, es geht ja um unser Eigentum."Es klingt nicht wütend, sondern genervt. Redmann schließt, "Landwirtschaft ist kein Selbstzweck", und lenkt die Aufmerksamkeit direkt zum Grill.
Redmann greift die Zange, öffnet die Haube und sofort ist genug für alle da. Die CDU ist vorbereitet in Kleßen-Görne. Allerdings wirkt der Abend weniger wie ein Auftakt, sondern eher wie eine Generalprobe. Das liegt zum einen an der sichtlichen Zurückhaltung des Spitzenkandidaten.
Geschickt eingefangen
Nur einmal passiert etwas Unvorhergesehenes und kurz scheint ihm der Abend zu entgleiten. Als Redmann das Gespräch mit dem Zimmermann abmoderieren will, zieht dieser ein paar Blatt Papier aus der Tasche. Ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht sei das, sagt er. Was Redmann unternehmen wolle, damit Wahlen in Deutschland nicht mehr verfassungswidrig seien. Das Publikum wird mucksmäuschenstill.
2012 hatte das Bundesverfassungsgericht moniert, dass die Regelung der Sitzverteilung im Bundestag "die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien" verletze [bundesverfassungsgericht.de]. Im Netz wird das Urteil oft missverstanden oder absichtlich verdreht. Das Gericht habe alle Wahlen seit 1956 für ungültig erklärt, wird dann fälschlicherweise behauptet. Tatsächlich bezieht sich das Bundesverfassungsgericht lediglich auf die Sitzverteilung [faktencheck.afp.de]. Seither ringen die Parteien im Bundestag um eine entsprechende Reform [tagesschau.de].
"Wir werden auch weiter in kleine Orte gehen"
Redmann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, bleibt höflich. Als Jurist könne er sagen, so ein Urteil gebe es nicht. Er schaue es sich aber gern an, vielen Dank. Applaus. Aus den Reihen der anwesenden CDU-Mitglieder eine Mischung aus Aufatmen und Anfeuern.
Sie bestimmen das Publikum. Minister sind gekommen, Bundestagsabgeordnete und Direktkandidaten. Das zeigt Unterstützung für den Landesvorsitzenden. Die vielen CDUler können aber nicht überspielen, wie wenig tatsächlich los ist. Das gute Dutzend Journalist:innen plus Crews hat schnell die potenziellen Wähler durchgefragt.
Einerseits trifft die CDU mit der Ortswahl einen Punkt, der viele in Brandenburg juckt: das Gefühl, die Landbevölkerung werde vergessen. "Das 49-Euro-Ticket bringt hier niemanden etwas", sagt zum Beispiel Ortsvorsteher René Krüger dem rbb.
"Wenn man Hunderte Menschen erwartet, führt das dazu, dass man sich um kleine Orte gar nicht mehr kümmert, sondern nur noch in größere Städte geht", sagt Redmann. "Wir werden auch weiter in kleine Orte gehen."
Andererseits wirkt der Abend in Kleßen-Görne angesichts von rund 150 Anwesenden und mit einem Kandidaten, der sich seit Tagen für eine Verfehlung rechtfertigen und erklären muss, ein Stückweit wie ein Probelauf.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 23.07.2024, 19:30 Uhr