FDP-Wahlkampfauftakt in Potsdam - Von Lindner gekapert
Die FDP will zurück in den Brandenburger Landtag. Der Bundesvorsitzende gibt im Wahlkampf volle Rückendeckung. Beim Auftakt in Potsdam stellt sich jedoch die Frage, wer wirklich im Vordergrund steht: Spitzenkandidat Zyon Braun oder Christian Lindner? Von Oliver Noffke
Nach rund sechseinhalb Minuten bebt seine Stimme zum ersten Mal. "Diejenigen, die in Wahrheit die Probleme nicht lösen wollen, die sprechen über Krisen, die sprechen über Probleme wie bei der Migration. Sie wollen sie aber nicht lösen." Der Blick ist ernst. "Sondern sie wollen Kapital aus den Sorgen der Menschen schlagen, weil es in Wahrheit politische Glücksritter sind." Nicht wenige im Publikum halten seit Beginn ihre Smartphones in die Höhe, filmen, knipsen. Hin und wieder ist ein einzelnes Klatschen zu hören, manche nicken.
Das Problem ist nur: Der Mann, der beim Wahlkampfauftakt der FDP die Aufmerksamkeit an sich zieht, ist nicht Spitzenkandidat Zyon Braun. Sondern Christian Lindner.
Freitagabend in der Potsdamer Innenstadt. Vor dem Brandenburger Tor ist – groß wie ein Volleyballfeld – der Platz vor einer Bühne abgesperrt. Rund um den Metallzaun stehen Neugierige, Bummelnde, die Cafés ringsherum sind gut gefüllt. Die Bierbänke innerhalb der Absperrung ebenso, vor allem mit Parteimitgliedern und -prominenten.
Wer macht denn hier eigentlich Wahlkampf, Herr Braun - Sie oder der Bundesvorsitzende?
"Wir machen Wahlkampf im Schulterschluss mit der Bundespartei. Ich glaube das ist wichtig, weil die Menschen die Freien Demokraten kennen und nicht die Bundespartei und Landespartei oder Kreispartei." Wichtiger sei den Wählern wofür die FDP stehe, so Braun gegenüber rbb|24.
Die FDP lag im jüngsten BrandenburgTrend bei drei Prozent. Käme sie in den nächsten Landtag, es wäre eine gewaltige Überraschung. Nur zweimal ist das den Liberalen überhaupt gelungen. 1990 und 2009. Um den Wiedereinzug dennoch zu schaffen, setzt die FDP auf ihr bekanntestes Gesicht: den Bundesvorsitzenden Lindner. Bei mehr als 15 Auftritten werde er den Wahlkampf in Brandenburg unterstützen, sagt Braun. Lindner wirkt frisch, sicher und angriffslustig, erntet Zustimmung und kann sich über einige Fans im Publikum freuen. Er steht nur eben nicht zur Wahl.
Inwieweit die Hilfe von der Parteispitze Zugkraft entwickeln kann, ist schwer zu sagen. Denn auch bundesweit stößt die Partei aktuell nur auf geringe Zustimmung. Fünf Prozent ergab der ARD-DeutschlandTrend Anfang Juli [tagesschau.de]. Plus ein Prozentpunkt. Ähnlich wie bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist das vor allem auf die Arbeit der Ampel-Regierung zurückzuführen. Die Lindner als Bundesfinanzminister maßgeblich mit gestaltet.
Die selbsternannte Autofahrerpartei fordert einen zweiten Bahnring
Einige Themen, die die FDP mit ihren Wahlplakaten anspricht, besetzt sie im Wahlkampf allein. Natürlich sind da liberale Schlager dabei, die vor allem Selbstständige und Unternehmer ansprechen sollen wie etwa "Mehr Haben vom Leisten". Es sind aber auch ungewöhnliche Forderungen dabei. "Großen Bogen um Berlin. Mit zweitem Bahnring" zum Beispiel oder "Was wir gegen das Kalifat haben? Den Rechtsstaat".
Bei dem offenbar Hunderte Kilometer langen potentiellen Bahnprojekt rund um Berlin bleibt Braun auf Nachfrage im Ungefähren. Hauptsächlich könnte das durch die Wiederbelebung stillgelegter Strecken umgesetzt werden, sagt er.
Das Plakat mit dem Kalifat spielt offenbar auf Rufe religiöser Hardliner bei einer Demonstration an, die vor einigen Wochen in Hamburg stattgefunden hatte. Gegen eine bestimmte Gruppe Menschen richte sich der Spruch allerdings nicht, beteuert Braun. "Es geht mir gar nicht um das Wort, sondern es geht mir um die Haltung und die Stärkung des Rechtsstaats." Der Staat müsse gut ausgebildete Menschen aus dem Ausland die Einwanderung erleichtern, "illegale Migration" müsse eingeschränkt werden. Damit seien vor allem Menschen gemeint, die in den Sozialstaat einwandern wollten, so Braun.
In seiner Rede verbindet Lindner illegale Migration allerdings mit dem Jahr 2015. Jener Zeit als insbesondere aus Syrien, Afghanistan und Irak Hunderttausende Menschen nach Deutschland geflüchtet waren. In allen drei Ländern wüteten damals Bürgerkriege oder intensive Kämpfe.
Ziel: Juniorpartner
Wem die FDP Stimmen abjagen will? Den Grünen. Lindner stichelt in seiner Rede mehrfach gegen seinen Koalitionspartner. Einmal rauscht ihm ein Es-hätte-noch-schlimmer-kommen-können,-wenn wir-nicht-da-gewesen-wären aus dem Mund, garniert mit einem fröhlichen Blick ins Publikum. Zyon Braun teilt in seiner Rede zwar hauptsächlich gegen die Brandenburger SPD und die CDU aus, aber auch er schielt vor allem auf Grün. "Wir wollen die Mitte in diesem Land wieder stark machen", sagt der gelernte Bankkaufmann.
Er hofft, als Juniorpartner mit SPD und CDU im Landtag koalieren zu können. Der dritte Partner in einer Regierung sei entscheidend, sagt Braun rbb|24. "Ich will, dass die CDU beispielsweise bei der Schuldenbremse einen Stich sieht. Das schafft sie aber nicht mit den Grünen." Ob das nicht heißt, die CDU hätte dann Probleme, sich gegen die FDP durchzusetzen. "Das wäre ja gut fürs Land", ist Braun überzeugt.
Bei der Europawahl vor zwei Monaten konnte die FDP laut Infratest Dimap rund 30.000 Stimmen von den Grünen abziehen - bundesweit [tagesschau.de]. Gleichzeitig hat sie mehr als eine Million Wählerinnen und Wähler an die Union verloren. Etwa ebenso viele frühere FDP-Anhänger sind lieber zu Hause geblieben, als sich an der Europawahl zu beteiligen. Mehr als 400.000 machten ihr Kreuz lieber bei der AfD, etwa halb so viele beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Auch enttäuschte Grünen-Wähler:innen haben bei der Europawahl zum Großteil nicht gewählt oder sind zur CDU geschwenkt. Keine der beiden Parteien konnte von der Schwäche der anderen profitieren.
Die Kameraleute fragen nach Lindner
Ob die FDP wirklich Menschen überzeugen kann, die sich für Umwelt- und Naturschutz interessieren, ist zumindest fraglich. Der 29-jährige Zyon Braun stellt in seiner Rede unmissverständlich fest: "Wir werden den Kulturkampf gegen das Auto in diesem Land beenden." Auch der Hinweis, es gäbe in der Region jede Menge "grüne Wiese, die gestaltet werden will", werden Naturfreunde eher als Drohung denn als Angebot verstehen.
Als Lindner mit seiner Rede durch ist, sind 37 Minuten vergangen. Die Moderatorin holt Spitzenkandidat Braun mit auf die Bühne. Gemeinsames Lächeln für Fotos. In der Ecke der Medienvertreter wird es etwas unruhiger. Lindner soll nochmal zu ihnen kommen, wird gefordert. In Seelenruhe beantwortet dieser ihre Fragen, nimmt sich Zeit. Ein halbes Dutzend Fernsehteams ist gekommen. Als die Presse fertig gefragt hat, gönnt sich der Bundesfinanzminister noch eine Viertelstunde für Selfies.
Dann drängen die Assistenten. Der nächste Termin steht an. Als Lindner samt Team von seinen Bodyguards weitergeführt wird, leert sich der Platz vor dem Brandenburger Tor schlagartig.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.08.2024, 9 Uhr