Wahlkampf der Grünen - Im Gegenwind
Antje Töpfer, Spitzenkandidatin der Brandenburger Grünen, muss liefern, damit sie nach der Landtagswahl eine Chance zum Mitregieren hat. Einen Boost wie vor fünf Jahren gibt es für ihre Partei nicht, zu dominant ist ein anderes Thema. Von Hasan Gökkaya
Eine Broschüre? Die Frau schüttelt hastig den Kopf und läuft weiter. "Oh, da hat es jemand ganz eilig", sagt Antje Töpfer. Eine ältere Frau wenige Meter entfernt ist deutlich langsamer unterwegs. Töpfer streckt ihr einen Flyer hin. Die Seniorin stoppt ihren Rollator, sieht sich um, lächelt, winkt ab.
Hohen Neuendorf, Landkreis Oberhavel. Hier, direkt vor der S-Bahnhaltestelle, sollen Stimmen gewonnen werden. Antje Töpfer, die Spitzenkandidatin der Grünen und aktuell Staatssekretärin im Brandenburger Gesundheitsministerium, muss aber erst einmal warten. Warten auf die nächste Bahn, auf die nächste Fuhre von Wählern.
Das sei ihr immer noch lieber als an Haustüren zu klopfen, an Wahlständen gebe es häufiger mal echte Gespräche. Dazu gehörten auch Andersdenkende, sagt Töpfer im Gespräch mit rbb|24 und erinnert sich an eine Situation vom Tag zuvor. "Da kam ein älterer Herr in einem Elektrorollstuhl und sagte mir, dass er das BSW wählen wird. Das Gespräch war schon herausfordernd, da fielen Anschuldigungen wie 'ihr Kriegstreiber'."
Töpfer: "Das ist ein Angriffskrieg von Putin"
Kriegstreiber, diesen Begriff wird ihr Team an diesem Mittwoch in Hohen Neuendorf noch einmal hören, von einer Passantin mit Einkaufstüten, die beim Vorbeigehen sagt, dass sie einst Grüne-Wählerin gewesen sei, doch das sei vorbei, weil sich sich die Partei für die militärische Unterstützung der Ukraine aussprach.
Triggert so ein Vorwurf die 56-Jährige? "Hier findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt", sagt sie. "Das ist ein Angriffskrieg von Putin. Wenn wir die Unterstützung aufgeben, dann ist das einfach kein gutes Zeichen."
Töpfer, 56 Jahre alt, Vegetarierin, ist das neue Gesicht dieser Landtagswahl. Erst im März wurde die promovierte Lebensmittelchemikerin zur Spitzenkandidatin ihrer Partei gewählt. Oder wie sie es formuliert: Sie sei eben nicht schon ein Leben lang Politikerin, sondern eine "ganz normale" Frau, die vorher "ganz normale Jobs" gehabt habe.
Neu oder alt: Töpfer muss bei dieser Landtagswahl liefern, andernfalls droht ihre Partei unsichtbar zu werden. Um das zu verhindern, nimmt sie - anders als die SPD - Unterstützung von der Bundesprominenz an. Noch am Abend zuvor trat sie in Potsdam unter Applaus auf eine Bühne mit Co-Spitzenkandidat Benjamin Raschke und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Das grüne Trio beschwor den Geist der Partei, ein bisschen so, als ob daran erinnert werden muss, warum es die Grünen überhaupt gibt.
BrandenburgTrend: Grüne nur bei 5 Prozent
Vor fünf Jahren, bei der Landtagswahl 2019, brauchte es fast keine Bühnenauftritte mehr, um daran zu erinnern. "Fridays For Future" war auf den Straßen, Greta Thunberg in den Medien, das Flair der Grünen in der Gesellschaft angekommen. Diese Faktoren brachten der Partei Rekordergebnisse, mit knapp elf Prozent zog die Grüne in den Landtag. "Das war eine andere Zeit", resümiert Töpfer mit Blick auf heute und begründet so auch die bitteren Verluste seitdem.
Bei der Europawahl im Sommer wurde das Rekordergebnis der Grünen von 2019 beinahe halbiert. Die Partei verlor besonders viele junge Wähler bis 25 Jahre, ein Minus von 23 Prozent. Bei den Kommunalwahlen im Juni holte die Grünen 6,7 Prozent, ein Minus von 4,4 Prozentpunkten. Im aktuellen BrandenburgTrend kommt die Partei sogar nur noch auf fünf Prozent - ein Wiedereinzug in den Landtag steht auf dem Spiel.
Dabei hat Töpfer, die beim Segeln gerne mal den Kurs angibt und eine Leidenschaft für Kung Fu hat, so viel vor. Sie will in die Fußstapfen von Grünen-Politikerin und Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher treten. Sie will die medizinische Versorgung auf dem Land verbessern. Schön wäre es, wenn alle 54 Krankenhaus-Standorte in Brandenburg behalten werden könnten, da nicht alle Krankenhäuser selbst die kommenden Jahre überleben würden, sagt sie. Bekanntlich stehen Kliniken in Brandenburg vor erheblichen Finanzierungsproblemen, besonders auf dem Land. Hunderte Millionen Euro wurde bereits in die Hilfe von Klinken gepumpt, die Lage bleibt jedoch prekär.
Aber Umfragewerte von fünf Prozent bei den Zweitstimmen? Das könnte genug sein, um in den Landtag zu kommen, aber viel zu wenig, um sich sicher in einer künftigen Regierung zu sehen.
"Kein Grund. auf Parolen oder Symbolpolitik zu setzen"
Und jetzt? "Kein Grund, auf Parolen oder Symbolpolitik zu setzen", sagt Töpfer. "Am Ende wären das ja nur Versprechen, die ich nicht halten kann, deshalb bringt das nichts." Ein Seitenhieb gegen die anderen Parteien, eine Anspielung auf das Thema Asylpolitik, das den Wahlkampf dominiert. "Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, sollte man zurückführen. Vor allem wenn es Rückführungsabkommen gibt", sagt sie. "Aber Afghanistan ist nun einmal schwierig, weil dort die Taliban regieren, darüber müssen wir nicht reden."
Töpfer erwähnt zwar das Wort Abschiebungen, es wirkt aber nicht wie eins, das sie gerne benutzt. Häufiger betont sie die Bedeutung von Integration. Ein Nachteil im Wahlkampf, wenn AfD, CDU und auch SPD auf eine Verschärfung der Flüchtlingspolitik pochen und so sogar punkten?
Töpfer denkt nach. "Das ist möglicherweise von Nachteil", sagt sie. "Fakt ist, dass wir diese Parolen aber nicht brüllen werden. Wenn Menschen kein Recht haben, hier zu bleiben und straffällig werden, müssen sie ihre Strafe absitzen und abgeschoben werden. Aber nicht, wenn sie ein Recht auf Asyl haben, dann müssen wir zusehen, dass wir sie integrieren."
Vielleicht ist es Töpfers Art, vielleicht die fehlende Medienerfahrung. Sie spricht jedenfalls überraschend ehrlich über ihre Erwartungen und sagt, dass sie bei der Wahl nicht mit einem zweitstelligen Ergebnis rechne. An diesem Mittwoch war der aktuelle BrandenburgTrend aber noch nicht veröffentlicht und ihre Partei stand bei einer vorherigen Umfrage bei sieben Prozent.
Wie konnte es so weit kommen? Sicherlich ist das Image der Partei angeschlagen, auf dem Land stärker als in der Stadt. Vielleicht werden die Grüne zu häufig als belehrend statt erklärend wahrgenommen. Zumindest steht kaum eine andere Partei so stark für gesellschaftliche Veränderungen wie die Grünen. Mal aus gutem Grund, Stichwort Klimawandel.
Mal aus einem Grund, der mittlerweile jeden in der Partei nerven dürfte, Stichwort Fleischkonsum. Es ist mehr als zehn Jahre her, dass der "Veggie Day", vorgeschlagen von der Bundespartei, in Deutschland Diskussionen auslöste, in den Medien rauf und runter gespielt wurde. Dieser eine Tag in der Woche, so der Vorschlag, an dem in öffentlichen Kantinen vegetarisches Essen angeboten werden sollte, kam nie, blieb aber für immer haften. Und so nutzen Gegner bis heute die Chance aus, die Grüne als Verbotspartei darzustellen.
Hass und Angriffe besonders gegen Grüne
Vorurteile kann Töpfer durch Gespräche im Wahlkampf möglicherweise lösen, bei Hass ist dies viel schwieriger oder gar unmöglich. Unwohl fühle sie sich im Wahlkampf nicht, sagt sie, obwohl Unterstützer und Abgeordnete ihrer Partei jüngst besonders häufig ins Visier von Hasskriminalität gerieten.
Einige Beispiele: Da ist der Februar 2023, als die damalige Berliner Verkehrssenatorin Bettina Jarasch eine Revolverkugel in einem Briefkuvert zugeschickt bekam. Da ist der Februar 2024, als die Polizei in der Prignitz wegen Hetzplakaten gegen die Grünen ermittelte. Da ist der August, als ein 68-jähriger Wahlkampfhelfer der Grünen hier in Hohen Neuendorf zu Boden gestoßen wurde. Aus einem Lagebild des BKA geht zudem hervor, dass Grünen-Politiker 2023 häufig Opfer von Hasskriminalität gegen Politiker wurden, berichtet der "Spiegel".
Warum so oft die Grünen? Töpfer sieht die Ursache besonders im Rechtspopulismus, spricht von einem Aufstacheln in sozialen Medien, "ich glaube, das macht etwas mit den Menschen." Nicht geholfen haben dürfte aber auch, dass die anderen etablierten Parteien oft die Grünen kritisieren. DIe AfD sowieso, aber auch die CDU, SPD, Linke, BVB / Freie Wähler: Es wirkt, als könnten die Grünen angegriffen werden, ohne potentielle Wähler zu vergraulen.
Vielleicht ist das sogar so? "Es ist schon auffällig und absurd, dass die Grünen an allem schuld sein sollen. Wir sind die kleinste Partei in der Koalition, wir stellen nicht den Ministerpräsidenten", sagt Töpfer dazu.
Grüne setzen auf Fortführung der Kenia-Koalition
Sollten die gewonnenen Sitze der Grünen ausreichen, wäre Töpfer noch immer abhängig von anderen. Die CDU und SPD könnten vermutlich mit dem BSW eine Koalition gründen - wenn sie wollten. Den Grünen zumindest bleibt kaum etwas anderes übrig, als auf das berühmte "Weiter so" zu setzen. "Realistisch, unter den aktuellen Bedingungen, wäre es wohl die Koalition, die wir gerade haben", sagt Töpfer auf die Frage, mit wem sie denn gerne in einer Regierung sein würde.
Dabei hatte CDU-Spitzenkandidat Jan Redmann bereits im Mai den Grünen eine Absage erteilt. Seitdem ist es aber ruhiger geworden, vielleicht kann die CDU ihre Allergie gegen die Grünen doch überwinden. Töpfer, die das für Wahlkampfgetöse hält, will abwarten.
18:30 Uhr, der Stand wird abgebaut, echte Gespräche mit den Leuten hat es kaum gegeben. Ein anwesender Landtagskandidat der Grünen nutzt aber die Chance und drückt noch zwei Radfahrern beim Vorbeifahren Flyer in die Hand. Es wirkt ein wenig gewagt, da diese nicht abbremsen, sondern sich die Flyer während der Fahrt mit einer Hand greifen und mit der anderen Hand das Lenkrad halten.
Töpfer sagt scherzhaft, das soll er lieber lassen, es könne doch zu einem Unfall kommen. Und setzt nach: "Dann würde man die Grünen auch noch dafür verantwortlich machen."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 07.09.2024, 19:30 Uhr
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