Analyse | Grüne nicht mehr im Landtag - Weggeblasen
Die Grünen sind in Brandenburg aus dem Parlament geflogen. Für ihr Scheitern machen sie die SPD verantwortlich. Dietmar Woidkes Wahlkampfstrategie hat der Partei durchaus geschadet, doch das war nicht der einzige Grund. Von Hasan Gökkaya
Die Grünen sind raus und kein Klimaereignis wird vorzeitig etwas daran ändern. Dass weder die Partei die Fünfprozenthürde bei der Brandenburger Landtagswahl nehmen konnte noch ein Kandidat das Direktmandat gewonnen hat, ist ein Debakel. Die Folge: Die Grünen müssen in die außerparlamentarische Opposition gehen. Sprich: Alle Politiker, Fraktionsreferenten und Wahlkreismitarbeiter müssen Kisten packen, den Landtag und die Büros im Land verlassen.
Dem Landesverband bleibt nun wenig anderes übrig, als die nächsten fünf Jahre aus dem Hintergrund Forderungen zu stellen und zu hoffen, dass die Partei Gehör findet. Außerparlamentarische Opposition, das kann auch ein Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit sein. In Brandenburg erinnern sich die älteren Bündnis-Grünen: Ihre Partei war von 1994 bis 2009 nicht im Brandenburger Landtag vertreten, nur wenige Hundert Mitglieder hielten die Partei am Leben.
Eine brutale Serie von Wahlniederlagen
Als wäre diese Aussicht nicht schlimm genug, gaben der Bundesvorstand der Grünen und wenig später auch der Vorstand der Grünen Jugend ihre Rücktritte bekannt. Thüringen, Sachsen, dann Brandenburg: Die Serie von brutalen Wahlniederlagen war zu groß. "Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", sagte Parteichef Omid Nouripour. Er betonte: "Es braucht einen Neustart."
Apropos Neustart. Benjamin Raschke sitzt im Pressekonferenzraum des Brandenburger Landtags. An diesem Dienstag, zwei Tage nach der Wahl, will er der Presse Rede und Antwort stehen. Er wird viel erklären, hin und wieder wird das Wort "falsch" fallen, echte Selbstkritik wird es aber kaum zu hören geben.
Dabei müsste Raschke als bisheriger Fraktionsvorsitzender der Grünen und Co-Spitzenkandidat für den Wahlkampf doch so viel über das Debakel resümieren können. Doch was er auch sagt, es geht vor allem um die anderen.
Neuer Landtag? "Kraut und Rüben"
Das umstrittene Heizungsgesetz, ja, das habe die Partei zurückgeworfen, sagt er und geht gleich auf die politische Konkurrenz los. Der Landtag in seiner neuen Zusammensetzung sei "Kraut und Rüben". Die aktuelle Konstellation, um die nächste Regierung zu bilden, hält er für "chaotisch, gelinde gesagt." Er setzt später nach: "Das Wort Klima ist bisher nicht einmal gefallen."
Und der Wahlkampf der Grünen? "Viele Sachen haben wir im Wahlkampf richtig gemacht, manche Sachen falsch", bilanziert der 43-Jährige. Vor allem aber hätten die Grünen so schlecht abgeschnitten, weil der Machtkampf zwischen AfD und SPD zu ihren Lasten ausgetragen worden sei.
Grünen verlieren 47.000 Stimmen an SPD
Unrecht hat Raschke damit nicht: 75 Prozent der SPD-Anhänger gaben in einer Befragung von Infratest dimap im Auftrag der ARD an, dass sie nicht "überzeugt" seien von der Partei, die Sozialdemokraten aber wählten, um eine starke AfD zu verhindern.
Auch der Politikwissenschaftler Philipp Thomeczek sagt, die Grünen seien "in diesem polarisierenden Wahlkampf unter die Räder gekommen." Wählerinnen und Wähler würden genau wie Politiker auch auf Umfragen schauen und Schlüsse ziehen. Und so werden viele gedacht haben, "'ehe ich meine Stimme verschwende, wähle ich Woidke, um die AfD zu verhindern'", sagt der Wissenschaftler von der Universität Potsdam.
Fest steht, die Grüne konnten nicht davon profitieren, dass mehr Brandenburger wählten als noch vor fünf Jahren. Am Sonntag holte die Partei nur 62.000 Zweitstimmen – bei der Landtagswahl 2019 waren es noch 136.000. Die Wahlbeteiligung stieg von 61,3 Prozent auf einen Rekordwert von 72,9 Prozent.
Hätten am Sonntag weniger Menschen gewählt, wäre die Partei vermutlich im Parlament. Laut Wählerwanderung haben die Grünen 47.000 Stimmen an die SPD verloren. Das sind etwa drei Prozent – Stimmen, die den Grünen für einen sicheren Einzug in den Landtag gefehlt haben.
War Woidkes Duell der einzige Grund für den Absturz?
Hier und da setzt Raschke während der Pressekonferenz an, sagt, der Wahlkampf werde aufgearbeitet, gemeinsam mit allen Unterstützern vor Ort. Und er sagt, dass die Grünen nun vor einer neuen Chance stünden. "Menschen, die sich im Landtag nicht vertreten fühlen, die werden von den Grünen außerhalb des Parlaments vertreten."
Er klingt fast so, als sei das ein Erfolg. Etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich aber wegen des verpassten Einzugs neue Arbeit suchen.
War Woidkes Duell mit der AfD der einzige Grund für den Absturz der Grünen?
Alles ganz anders als 2019
Unbestritten ist, dass die Partei bereits Gegenwind verspürte, als der Wahlkampf noch gar nicht so richtig gestartet war. Da waren die Aggressionen gegen Partei-Mitglieder und Unterstützer der Grünen, die teils auf offener Straße attackiert wurden. "Wir, als Grüne, werden nur noch angefeindet, egal was wir machen", sagte eine Sprecherin des Kreisverbandes in Oberhavel, nachdem ein Unterstützer der Partei attackiert wurde. Die Partei ließ sich davon aber größtenteils nicht einschränken, klopfte weiter an Haustüren, baute Stände auf, sprach Menschen auf der Straße an.
Doch bereits am Anfang machte sich bemerkbar: Die Wahlen kommen nicht zur besten Zeit für die Grünen. Ganz anders als bei der Landtagswahl 2019, als "Fridays For Future" noch auf den Straßen war, Greta Thunberg im Fernsehen rauf und runter lief und ein Wahlergebnis von knapp 11 Prozent nicht nur bei Grünen für Aufbruchsstimmung sorgte.
"Migrationskritische Stimmen waren populärer"
Doch dann kam Corona, die AfD wurde stärker, Kriege und Krisen flammten auf, Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine kamen ins Land. Die Grünen setzten währenddessen weiterhin auf ihre Themen, die ihrer Meinung nach eigentlich nicht zur Debatte stehen sollten: Der Ausstieg aus der Kohleverstromung gehöre "spätestens 2030" vollzogen, Geflüchtete sollten dezentral untergebracht und natürlich das Klima geschützt werden. Zunächst weniger auf dem Radar, aber von der AfD als Thema gesetzt, einer Partei mit Rechtsextremisten im Kader, wurde zum Leid der Grünen zunehmend nur noch über Einwanderung und Asylpolitik gesprochen.
Die Grünen halten bekanntlich wenig von Abschiebungen, betonen eher den Weg der Integration. Oder wie Wissenschaftler Thomeczek resümiert: "Inhaltlich haben die Grünen auch verloren, weil migrationskritische Stimmen populärer waren."
Und so redete auch die Co-Spitzenkandidatin Antje Töpfer, die vor Raschke auf Listenplatz 1 stand, nie besonders gern über das Thema Migration. Sie sagte selbst einmal auf Nachfrage von rbb|24, dass ihre Position zu dem Thema gerade "möglicherweise von Nachteil" sei.
Ein entgleister Wahlkampf
Man kann den Grünen nicht vorwerfen, von ihren Prinzipien abgerückt zu sein. Die Partei stand zu ihrem Wahlprogramm wie auch zu Antje Töpfer, die bis vor kurzem für die meisten Brandenburger eine Unbekannte war.
Möglicherweise wäre Töpfer, die bisher als Staatssekretärin im Gesundheitsministerium arbeitete, eine solide Spitzenkandidatin, wenn der Wahlkampf sich um regional wichtige Themen wie Strompreise, Naturschutz, die Gesundheitsversorgung oder gesunde Ernährung gedreht hätte. Doch die letzten Wochen ging es nicht darum, sondern um Migration, Zuwanderung, Krieg und Frieden – sowie der Ansage von Dietmar Woidke, sich zu entscheiden zwischen ihm und der AfD. Die eher ruhige Töpfer verblasste in diesem kantigen Wahlkampf schnell.
Dann kam der Wahlsonntag, wo der Klimaschutz nur noch für neun Prozent der Wählerinnen und Wähler die größte Rolle spielte, das Thema Zuwanderung war für 17 Prozent entscheidend.
Grüne wirken auf viele Menschen belehrend
Allerdings war schon die Ausgangslage für die beiden Spitzenkandidaten der Grünen schlecht: Da ist die Dauerkritik auf Bundesebene an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), da ist die schwindende Zufriedenheit mit der bisherigen Landesregierung in Brandenburg. Laut der Befragung von Infratest dimap waren kurz vor der Wahl nur 16 Prozent mit der Arbeit der Grünen in der Landesregierung zufrieden, 79 Prozent waren "weniger / gar nicht zufrieden" (der Rest gab "Weiß nicht / keine Angabe" an).
Demnach waren Kompetenzzuweisungen an die Partei in allen Bereichen rückläufig. "Nur ein Fünftel und damit weniger als halb so viele wie 2019 setzen in Brandenburg in der Klima- und Umweltpolitik auf die Öko-Partei", heißt es.
Wie tief der Argwohn gegen grünes Engagement sitzt, zeigen auch diese Zahlen der Befragung. Zwei Drittel der Brandenburgerinnen und Brandenburger (68 Prozent) waren der Meinung, die Grünen würden es mit dem Umwelt- und Klimaschutz übertreiben, vor fünf Jahren hatten das nur 57 Prozent kritisiert. 66 Prozent der Befragten meinen, die Grünen wollten den Menschen vorschreiben, wie wir zu leben haben.
Raschke: "Noch nicht einmal das Hochwasser war wahlentscheidend"
Zurück im Landtag.
Die Pressekonferenz ist fast zu Ende, als noch einmal nach Gründen für das Scheitern der Grünen gefragt wird. Das geplante Jagdgesetz, der frühere Kohleausstieg, der Streit um Biber und Wölfe, das Agrarstrukturgesetz. Was hatte den Hauptanteil, will ein Journalist von Raschke wissen.
Die Antwort kommt schnell: "Hauptanteil hatte, dass keines dieser Themen bei der Wahl eine Rolle gespielt hat. Noch nicht einmal das Hochwasser war wahlentscheidend, obwohl es fast vor der Tür stand."
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