Wahlkampf der AfD - Der Scharfmacher
Die AfD hat vor der Landtagswahl in Brandenburg ihre Anhänger in Werder (Havel) mobilisiert. Dort machten Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt und Alice Weidel deutlich, dass sie weiterhin vor allem auf eines setzen: Ängste. Von Hasan Gökkaya
Auf der einen Seite stehen Hunderte Demonstranten. Hinter der Absperrung und den Polizisten halten sie Plakate hoch, rufen laut, protestieren gegen Rechtsextremismus.
Auf der anderen Seite stehen Menschen in einer mehr als 100 Meter langen Warteschlange an. Sie hoffen, durch die Sicherheitskontrolle zu kommen, sie wollen in den Saal, sie wollen das Duo live sehen, ihre Reden nicht verpassen, die von AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt und Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD.
Bismarckhöhe, Werder, 19 Uhr. "Hier ist der Saal voll, draußen ist eine Schlange. Wir sind mehr!", ruft René Springer ins Mikrofon. Der Landesvorsitzende der AfD Brandenburg erntet großen Applaus. Und weil an diesem Donnerstag fast 500 Plätze belegt sind und weil es in dem prunkvollen Ballsaal in Werder (Havel/Potsdam-Mittelmark) in der Bismarckhöhe wie auf einem Konzert hallt, ist das eigene Wort in solchen Momenten kaum zu verstehen. Es dauert dann keine weiteren zehn Minuten, bis der Saal mit den Kronleuchtern auf AfD-Betriebstemperatur ist. Von "Kriminellen" und "sogenannten Flüchtlingen" ist auf der Bühne zu hören.
Wegen der AfD ist das keine gewöhnliche Landtagswahl
Der Mann, der Dietmar Woidke als Ministerpräsidenten ablösen will, steht jetzt auf der Bühne und macht klar, worum es am 22. September gehe. Das sei keine gewöhnliche Landtagswahl, ruft Hans-Christoph Berndt in die Menge. Und der 68-Jährige hat Recht. Es ist eine Wahl, in der die Brandenburgerinnen und Brandenburger entscheiden, ob die SPD tatsächlich erstmals nicht stärkste Kraft im Land wird. Es ist eine Wahl, die deutlich machen wird, wie stark die Parolen einer Partei, die der Landesverfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall führt, verfangen können. Die deutlich machen wird, wie groß die Zustimmung für einen Politiker wie Berndt sein kann, der Asylbewerber, Asylberechtigte und Geflüchtete von öffentlichen Veranstaltungen pauschal ausschließen will und vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gelistet ist. Umso mehr nach den Ergebnissen in Sachsen und Thüringen ist es aber auch eine Wahl, die das Ausland interessiert, wo ebenfalls gefragt wird: Wie rechts ist Deutschland?
Besonders die AfD hat von Anfang an auf eine drastische Verschärfung der Asylpolitik gesetzt - und tatsächlich hat sich das Thema als dominierend durchgesetzt. Im jüngsten BrandenburgTrend führt die AfD die Umfrage mit 27 Prozent an, allerdings dicht gefolgt von der SPD (26 Prozent). Ohnehin kann die Partei auf einen rasanten Erfolg zurückblicken, trat sie doch erst vor zehn Jahren erstmals bei einer Landtagswahl an. Sie holte damals 12,2 Prozent der Stimmen, fünf Jahre später waren es 23,5 Prozent. Aktuell stellt sie die zweitgrößte Fraktion.
AfD-Spitzenkandidat erinnert gerne an früher
Kann Berndt, von Beruf Laborarzt, Gründer des vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistisch" gelisteten Vereins Zukunft Heimat, die AfD tatsächlich zur stärksten Kraft machen?
Auf der Bühne spricht er schnell, verhaspelt sich nicht und greift gerne zu Begriffen, die historisch sind. Er erinnert hier und da an Publizisten von früher, zitiert Aussagen, aber am Ende ist auch bei Berndt im Kern genau das zu hören, was auf so vielen AfD-Veranstaltungen gesagt wird. "Messerattacken, Gruppenvergewaltigungen, Asozialität und Depressionen, das erleben wir, wenn wir die nationalstaatliche Ordnung und den nationalstaatlichen Rahmen verlassen", ruft er ins Publikum. Es gibt Applaus.
Dann spricht er über einen britischen Migrationsforscher, der gesagt haben soll, dass der Nationalstaat Solidarität ermögliche, zu viel Einwanderung jedoch dieses "Engagement" zerstöre. "Genau so ist es", setzt der Spitzenkandidat nach, und taucht wieder in die Vergangenheit ab. Immer wieder seien es "unsere Vorfahren" gewesen, die das Land aufgebaut hätten. Deutschland sei seit Jahrhunderten Kriegsschauplatz gewesen, der Dreißigjährige Krieg, der Siebenjährige Krieg und die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkriegs, zählt Berndt auf. "Immer wieder ist Deutschland zerstört worden und immer wieder haben unsere Vorfahren sich ans Werk gemacht."
Was er an diesem Abend nicht sagen wird: Der Zweite Weltkrieg begann mit Hitlers Überfall auf Polen. Er war die Folge von nationalistischer, rassistischer Politik einer rechtsextremen deutschen Partei. Was er auch nicht sagen wird, ist, dass es Zuwanderer aus verschiedenen Nationen waren, die später in großen Teilen der Industrie, im Baugewerbe und in Produktionshallen schufteten und erheblich zum deutschen Aufschwung beitrugen.
Alice Weidel setzt auf scharfe Formulierungen
Berndt klopft noch die Themen des AfD-Zehnpunkteplans ab. Studienplätze müssten reglementiert, die "kranke Ideologie des Regenbogens" von Schulen "entfernt werden". Und Russland? Die Sanktionspolitik müsse sofort enden, sie habe ja nur Deutschland geschadet. Es gibt Applaus. Doch der Star des Abends ist nicht Berndt, sondern Weidel, wie an der Reaktion des Publikums zu erkennen ist.
Die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion setzt weniger auf komplexere Zusammenhänge. Deutschland? "Ein Hippiestaat!". Angela Merkel? Eine in Wahrheit "voll grüne Kanzlerin". Klimawandel? "Weg mit Sonne und Wind, zurück zu Kohle", wird sie im Laufe des Abends rufen. Einen Lacher fürs Publikum inklusive persönlicher Diffamierung hat sie auch noch: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nennt sie "Karl Kautabak", macht sich über seine Zähne lustig, bezeichnet ihn als "nicht hygienischen" Menschen. Ein paar Worte an den Präsidenten der Ukraine hat sie auch: "Wir haben 200.000 wehrpflichtige Ukrainer hier, die sollte man alle zurückschicken, um Selenskyj einen Dienst zu erweisen."
Mit welchem Weltbild verlassen Jugendliche diese AfD-Veranstaltung?
Ein Begriff wie "Gruppenvergewaltigungen" fällt häufiger, wie ein Mantra, das jeder AfD-Politiker mehrmals wiederholen muss. Ohne jegliche Einordnung werden dann Zahlen präsentiert. Etwa als Weidel angibt, dass es laut BKA seit 2015 52.000 Sexualdelikte gegen Frauen gegeben habe – dabei geht ein Raunen durchs Publikum. Ob die große Zahl sich explizit auf Flüchtlinge als mögliche Täter bezieht, lässt Weidel offen, fasst aber knapp zusammen: "Das ist völlig neu in diesem Land."
Im Saal sitzt auch eine Gruppe Jugendlicher, geschätzt nicht älter als 16 Jahre alt. Sie erleben, wie eine bundesweit prominente Politikerin, die unter Beifall den Saal betrat, pauschal muslimische Schüler dämonisiert. "Was ist an unseren Schulen los?", fragt Weidel. Schüler würden von "muslimischen Mobs" Prügel kriegen, "weil sie Nicht-Muslime sind, immer hier ins Gesicht", sagt sie weiter und wedelt exemplarisch die Hand. Wenig überraschend: Es gibt Applaus, obwohl auch diese Aussage ohne Zahlen und ohne Einordnung geliefert wird.
Mit welchem Weltbild im Kopf werden diese Jugendlichen die AfD-Veranstaltung verlassen und am Montag zurück in die Schule gehen, wo sie möglicherweise in die Gesichter ihrer nicht biodeutschen Mitschüler blicken werden?
Zum Schluss die Nationalhymne
Vielleicht eine Frage, die Hans-Christoph Berndt beantworten kann, jener Mann, der entweder in die Regierung kommen oder solange abwarten will, bis sich die künftige Koalition selbst zerlege, wie er sagt. Tatsächlich wird Berndt sich wohl in der Opposition wiederfinden, denn bis heute gibt es keine Partei, die mit der AfD koalieren will.
Und die Schüler? "Die freuen sich, dass sich endlich jemand um ihre Sorgen kümmert", sagt der Spitzenkandidat im Gespräch mit rbb|24. Ist das der richtige Ansatz in einer Zeit, in der es wohl kaum Klassen ohne biodeutsche Schüler gibt und es wohl ohne kulturelle Verständigungen nicht klappen kann? Was ist mit jenen Schülern, die nicht "mobben, schlagen, unterdrücken", was ist mit der Mehrheit?
Berndt denkt, es müsse erst einmal sichergestellt werden, dass "die einheimischen Schüler nicht länger Opfer von migrantischer Gewalt" würden. "Nur wenn das ein Ende hat, kann man über Respekt miteinander reden", sagt Berndt, der zuvor auf der Bühne noch von "hergelaufenen Arabern" sprach.
Zum Schluss singen Politiker und Zuschauer die deutsche Nationalhymne. Eine normale AfD-Veranstaltung geht zu Ende.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 13.09.2024, 19:30 Uhr