Regierungsbildung - Wie SPD und BSW in Brandenburg eine Koalition schmieden wollen
Am Montag beginnen erstmals Koalitionsverhandlungen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht – nur sechs Wochen nach der Wahl in Brandenburg. Die Verhandler haben einen straffen Zeitplan und geben sich diskret. Was bislang bekannt ist – und was nicht. Von Hanno Christ
- Vier Arbeitsgruppen verhandeln
- BSW mit mehreren Bundesfunktionären am Tisch
- Wahl des Ministerpräsidenten für den 11. Dezember geplant
Auftakt und Zeitplan
Der Verhandlungsort ist den Spitzen beider Verhandlungsgruppen bestens bekannt: Wie schon bei den Sondierungen treffen sich die Beteiligten in der Brandenburger SPD-Zentrale im Regine-Hildebrandt-Haus in der Alleestraße. Die SPD übt also das Hausrecht aus. Eine erste Machtdemonstration? Eher nicht. Das Hildebrandt-Haus muss nicht extra angemietet werden und ist damit die sparsamste Variante für Gesprächsrunden, die sich über mehrere Wochen ziehen werden. Die junge Partei BSW verfügt bislang über keine eigenen Geschäftsräume, die Platz für Gespräche bieten könnten.
Geht es nach den Vorstellungen beider Seiten, soll eine neue Landesregierung noch in diesem Jahr stehen. Die Gespräche müssten bis Ende November zu einem Ende kommen, damit die Verhandler die Ergebnisse in ihren Parteien diskutieren und darüber abstimmen können. Die SPD hat für den 6. Dezember einen Parteitag angesetzt. Demnach könnte sich SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke am 11. Dezember einer Wiederwahl im Landtag stellen. Beide Seiten geben sich schon vor Beginn der Verhandlungen streng diskret. Nicht einmal sonst übliche Auftaktbilder der Verhandlungen für Pressevertreter sind vorgesehen.
Was wird verhandelt?
Den wohl strittigsten Punkt – Aufrüstung und militärische Unterstützung der Ukraine – haben beide Seiten bereits in einem Sondierungspapier abgeräumt, das am Montag vor einer Woche vorgestellt wurde. Darin heißt es unter anderem: "Wir sehen(…) die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch. Es braucht konkrete Angebote, um wieder zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zu kommen."
Die SPD Brandenburgs hat damit einen großen Schritt auf das BSW zugemacht – und einen großen weg von der Außenpolitik der SPD-geführten Bundesregierung. Auf Bundesebene hat das den Brandenburger Genossen teils herbe Kritik beschert, landespolitisch haben Woidke und seine Sondierer damit aber pragmatisch eine Brücke gebaut, über die das BSW gehen konnte.
Die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht jedenfalls lobte den Brandenburger Kompromiss und gab damit ihr grünes Licht für den nächsten Schritt: Koalitionsverhandlungen. Die langwierig ausgehandelten Formulierungen im Sondierungspapier dürften sich auch in einer Präambel eines Koalitionsvertrages wiederfinden. Daran – so heißt es – werde nicht mehr gerüttelt, auch weil für Wagenknecht damit ihr Alleinstellungsmerkmal für die Bundestagswahl steht oder fällt.
Über die Inhalte in den Koalitionsgesprächen ist strenges Stillschweigen vereinbart. Halten sich alle Beteiligten daran, dürfte in den nächsten Wochen wenig über die Verhandlungen zu hören sein, ähnlich wie schon bei den Sondierungen. Allerdings lässt die Aufteilung von Arbeitsgruppen Rückschlüsse auf Schwerpunkte einer künftigen Koalition zu.
Folgende vier Arbeitsgruppen sind vorgesehen:
- Bildung, Wissenschaft, Kultur, Sport
- Inneres, Kommunales, Digitalisierung, Justiz, Migration, Europa
- Wirtschaft, Energie, Arbeit, Integration, Gesundheit, Soziales
- Infrastruktur, Landwirtschaft, Umwelt
Bemerkenswert dabei ist, dass Migration wie Integration als eigene Themen hervorgehoben werden, Klimaschutz dagegen – ein Schwerpunkt der alten Regierung unter Beteiligung der Bündnisgrünen – gar nicht mehr auftaucht. Bei vielen Themen von Schulreformen bis hin zu Kohleverstromung und dem Erhalt von Krankenhausstandorten ließen sich große Schnittmengen schon in den Wahlprogrammen der beiden Parteien ablesen. Strittige Punkte dürften vor allem Themen der Inneren Sicherheit werden: Das BSW etwa beharrt auf mehr Kontrolle des Verfassungsschutzes, die SPD hat sich dagegen für eine Stärkung ausgesprochen. BSW-Chef Robert Crumbach lehnt den Verfassungstreuecheck als juristisch nicht haltbar ab, die SPD macht Verfassungstreue weiterhin zu einer Einstellungsvoraussetzung in den Landesdienst.
Über allen Themen wird die Frage schweben, ob die Projekte überhaupt finanzierbar sein werden. Die allgemein schlechte wirtschaftliche Lage wird auch vor dem Brandenburger Haushalt nicht Halt machen. Für die nächsten Jahre erwartet die amtierende Finanzministerin Katrin Lange (SPD) rückläufige Steuereinnahmen. Zudem hat die Ausgabenpolitik der vergangenen Jahre die Reserven schrumpfen lassen. Der Brandenburger Haushalt wird auf Kante genäht sein, allzu große Sprünge dürfte die nächste Koalition nicht machen können.
Wer welches Ministerium mit welchen Aufgaben bekommen könnte – so heißt es – werde ganz am Schluss verhandelt werden und sei noch nicht festgelegt. Die Besetzung der Arbeitsgruppen aber lässt Spekulationen zu, wer dafür infrage kommen könnte.
Wer verhandelt wo?
Je Arbeitsgruppe werden beide Seiten drei Verhandler oder Verhandlerinnen und einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin schicken. Die jeweiligen Landesvorsitzenden Woidke und Robert Crumbach werden in einer übergeordneten Hauptverhandlungsgruppe dabei sein, die am Ende die maßgeblichen Entscheidungen trifft. Die Mitglieder dieser Gruppe, die sich überwiegend bereits in den Sondierungen gemeinsam beraten hatten, bilden ein fast schon eingespieltes Team.
Manja Schüle ist derzeit noch Wissenschaftsministerin und zusammen mit SPD-Generalsekretär David Kolesnyk sowie SPD-Bildungssprecherin Katja Poschmann in der Arbeitsgruppe Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport. Vom BSW sitzen dort die neue Landtagsvize-Präsidentin Jouleen Gruhn, der Landtagsabgeordnete Falk Peschel und Patrick Wahl, Geschäftsführer der Bundestagsgruppe des BSW.
In der Arbeitsgruppe Inneres wird von der SPD die stellvertretende Landesvorsitzende und amtierende Finanzministerin Katrin Lange sein, die selbst bereits Staatssekretärin im Innenministerium war, außerdem die Landtagsabgeordneten Uwe Adler und Annemarie Wolff. Das BSW schickt die Landtagsabgeordneten Niels-Olaf Lüders und Sven Hornauf in das Gremium, sowie den ehemaligen langjährigen Linken-Abgeordneten Hans-Jürgen Scharfenberg. Scharfenberg war einst innenpolitischer Sprecher der Linken im Parlament.
In der Arbeitsgruppe, die unter anderem Wirtschaft und Energie behandelt, sitzen von der SPD der Fraktionsvorsitzende Daniel Keller, der Landtagsabgeordnete Björn Lüttmann sowie überraschend Stephanie Albrecht-Suliak. Sie ist Bezirksleiterin Nordost der Bergbau-Gewerkschaft IGBCE. Ihre Teilnahme ist ein Zeichen, dass Strukturwandel und der damit verbundene Kohleausstieg eine übergeordnete Rolle bei den Gesprächen spielen werden. Das BSW wird in der Arbeitsgruppe durch den Landesvorsitzenden Robert Crumbach vertreten, sowie durch den Landtagsabgeordneten Andreas Kutsche und Friederike Benda, die stellvertretende Parteivorsitzende im Bund.
Den Koalitionsvertrag in Sachen Infrastruktur, Landwirtschaft und Umwelt für die SPD aushandeln sollen für die SPD die Chefin der Staatskanzlei Kathrin Schneider, der parlamentarische Geschäftsführer im Landtag Ludwig Scheetz und die Landtagsabgeordnete Hanka Mittelstädt. Die Landwirtin war zuvor Chefin des Agrarlobby-Vereins pro agro e.V.. Auch einer ihrer Stellvertreter in der Arbeitsgruppe, der Landtagsabgeordnete Johannes Funke, ist als gleichzeitiger Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Agrarlobbyist. Die Personalien sind Hinweise darauf, dass die Agrarpolitik der künftigen Jahre wieder eine deutliche konservativere Ausrichtung bekommen könnte.
Das BSW wird in der Gruppe vertreten von Detlef Tabbert, dem Bürgermeister von Templin, sowie von den Landtagsabgeordneten Gunnar Lehmann und Stefan Roth, der im Landtag auch parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion ist.
Wer nicht am Tisch ist – und dann wieder doch
Sahra Wagenknecht verhandelt offiziell nicht mit in Brandenburg. Die Ereignisse in Thüringen lassen aber den Schluss zu, dass das BSW in den Ländern nicht an ihr vorbei verhandeln wird. Die koalitionsentscheidende Frage über die Ausrichtung der Friedens- und Sicherheitspolitik haben die Sondierer schon geklärt. Das könnte den Verhandlern mehr Beinfreiheit bei den übrigen landespolitischen Themen geben, die für Wagenknecht bei der Vorbereitung auf die Bundestagswahl weniger gewichtig sind.
Auffällig: Anders als die SPD entsendet das BSW in Brandenburg vergleichsweise viele Mitglieder aus der Bundesebene in die Verhandlungen. Das mag der deutlich dünneren Personaldecke geschuldet sein, könnte aber auch ein Indiz dafür sein, dass die Bundesspitze um Wagenknecht genau wissen möchte, was da in Brandenburg verhandelt wird. Die Parteisatzung gibt ihr große Einflussmöglichkeiten auch in den Landesverbänden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 04.11.2024, 9 Uhr