Kommentar | Sondierungen von SPD und BSW - Und sie bewegen sich doch
Die Kompromissformel für die Koalition von SPD und BSW in Brandenburg steht: Waffenlieferungen würden den Ukraine-Krieg nicht beenden - Mittelstreckenraketen in Deutschland seien "kritisch". Die Sätze sind inhaltlich hohl, aber nicht ungefährlich, kommentiert Michael Schon.
Die Gretchenfrage dieser Sondierungsgespräche klang wie aus einem bekannten Pop-Song: "Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit, wie weit willst Du gehen?" Im Fall von SPD-Chef Dietmar Woidke lautet die Antwort: sehr weit. Im Fall von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht: nicht ganz so weit.
Wagenknecht hat zumindest für den Augenblick mehr bekommen, als sie bei Verhandlungen über die Geschicke eines Bundeslandes vor der Wahl hätte erwarten können. Sie zwang den Ministerpräsidenten, der auch mit den Stimmen des BSW wiedergewählt werden will, eigene Positionen aus dem Wahlkampf zu räumen und auf Distanz zum SPD-Bundeskanzler und zu Beschlüssen des SPD-Präsidiums zu gehen. Das ist der Preis, den Woidke für eine Regierungsmehrheit im Land und seine Wiederwahl als Ministerpräsident zu zahlen bereit ist.
Viel Raum für Interpretationen
Dass die beiden Kernsätze aus dem Sondierungspapier zur Ukraine-Politik Interpretationsspielraum zulassen und je nach Parteifarbe gegensätzlich ausgelegt werden können, macht es nicht besser. Es sind Worthülsen, deren einziger Inhalt politischer Sprengstoff ist.
Es stimmt ja: Die Formulierung "der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können" bedeutet nicht, dass Woidke einen Stopp der Waffenlieferungen fordert. Auch hat er bei der Präsentation des Sondierungspapiers erneut betont, dass er die Ukraine weiter unterstützen würde. Wobei er anders als im Wahlkampf das Wort "militärisch" dabei vermied.
Ab sofort aber werden er und seine SPD die Frage beantworten müssen, warum die Ukraine dann überhaupt weiter mit Waffen unterstützt werden soll. Und wie der Krieg ohne weitere Waffenlieferungen so beendet werden kann, dass eine diplomatische Lösung "im Sinne des Budapester Memorandums" möglich ist, wie es ebenfalls im Sondierungspapier heißt. Im Budapester Memorandum erneuerten Russland, die USA und das Vereinigte Königreich 1994 ihre Verpflichtung, die Souveränität der Ukraine und ihre Grenzen anzuerkennen, inklusive Krim und Donbass.
Wie Russlands Präsident Wladimir Putin diese Frage beantwortet, zeigt er Nacht für Nacht mit Angriffen auch auf zivile Ziele in der Ukraine. Er darf sich nun auch darüber freuen, dass ein SPD-Ministerpräsident bereit ist, zum Machterhalt die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland infrage zu stellen.
Auch hier gilt: Natürlich ist der Satz nicht kategorisch formuliert. "Kritisch sehen" heißt nicht "ablehnen". Aber es heißt eben auch nicht, sie zu einem "wichtigen Baustein" für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland zu erklären, wie es SPD-Kanzler und SPD-Präsidium getan haben. Ebenfalls bedeutet es nicht, die Stationierung der US-Waffen in Westdeutschland besser zu erklären, wie Woidke noch vor Kurzem in seinem Gastbeitrag mit den CDU-Chefs aus Sachsen und Thüringen, Kretschmer und Voigt, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gefordert hat.
Das Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine bröckelt
Mit dem Ende der Sondierungsgespräche ist klar: Wagenknecht und ihren Verhandlern in Brandenburg ist es gelungen, den Kompass des in der Ukraine-Frage bisher auf Kurs der Ukraine-Unterstützer segelnden Woidke zu verschieben – und Signale senden zu lassen, die auch in Moskau, Kiew und Berlin empfangen werden können: Das Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine mit Waffen bröckelt; auch bei denen, die politische Verantwortung tragen. Das kann Wagenknecht ihren Wählern als Erfolg verkaufen. Von wegen, Landespolitik hat nichts mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun.
Ganz nebenbei wurde heute vorerst auch die Frage beantwortet, ob Wagenknecht in den Ländern überhaupt regieren lassen möchte: Ja, sie will. Hier hat sie sich bewegt, auch wenn sie noch so lange die Notbremse ziehen kann, bis die Tinte unter dem eigentlichen Koalitionsvertrag getrocknet ist. Das ist auch eine Botschaft an die Verhandler von CDU, BSW und SPD in Dresden und Erfurt.
Die Ukraine-Formel ist ausbuchstabiert. Ein eventuelles Scheitern von Koalitionsverhandlungen in Sachsen und Thüringen wird sich nun nicht mehr darauf schieben lassen, dass die BSW-Chefin aus dem Saarland mit Blick auf die Bundestagswahl vor der Verantwortung kneift.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.10.2024, 15:39
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