Kommentar | Sondierungen von SPD und BSW - Und sie bewegen sich doch

Mo 28.10.24 | 17:30 Uhr | Von Michael Schon
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Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Robert Crumbach, Landesvorsitzenden des BSW Brandenburg (l-r), bei der Landespressekonferenz im Brandenburger Landtagsgebäude. (Quelle: dpa/Bahlo)
Audio: rbb24 Inforadio | 28.10.2024 | Hecht, Nico | Bild: dpa/Bahlo

Die Kompromissformel für die Koalition von SPD und BSW in Brandenburg steht: Waffenlieferungen würden den Ukraine-Krieg nicht beenden - Mittelstreckenraketen in Deutschland seien "kritisch". Die Sätze sind inhaltlich hohl, aber nicht ungefährlich, kommentiert Michael Schon.

Die Gretchenfrage dieser Sondierungsgespräche klang wie aus einem bekannten Pop-Song: "Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit, wie weit willst Du gehen?" Im Fall von SPD-Chef Dietmar Woidke lautet die Antwort: sehr weit. Im Fall von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht: nicht ganz so weit.

Wagenknecht hat zumindest für den Augenblick mehr bekommen, als sie bei Verhandlungen über die Geschicke eines Bundeslandes vor der Wahl hätte erwarten können. Sie zwang den Ministerpräsidenten, der auch mit den Stimmen des BSW wiedergewählt werden will, eigene Positionen aus dem Wahlkampf zu räumen und auf Distanz zum SPD-Bundeskanzler und zu Beschlüssen des SPD-Präsidiums zu gehen. Das ist der Preis, den Woidke für eine Regierungsmehrheit im Land und seine Wiederwahl als Ministerpräsident zu zahlen bereit ist.

Viel Raum für Interpretationen

Dass die beiden Kernsätze aus dem Sondierungspapier zur Ukraine-Politik Interpretationsspielraum zulassen und je nach Parteifarbe gegensätzlich ausgelegt werden können, macht es nicht besser. Es sind Worthülsen, deren einziger Inhalt politischer Sprengstoff ist.

Es stimmt ja: Die Formulierung "der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können" bedeutet nicht, dass Woidke einen Stopp der Waffenlieferungen fordert. Auch hat er bei der Präsentation des Sondierungspapiers erneut betont, dass er die Ukraine weiter unterstützen würde. Wobei er anders als im Wahlkampf das Wort "militärisch" dabei vermied.

Ab sofort aber werden er und seine SPD die Frage beantworten müssen, warum die Ukraine dann überhaupt weiter mit Waffen unterstützt werden soll. Und wie der Krieg ohne weitere Waffenlieferungen so beendet werden kann, dass eine diplomatische Lösung "im Sinne des Budapester Memorandums" möglich ist, wie es ebenfalls im Sondierungspapier heißt. Im Budapester Memorandum erneuerten Russland, die USA und das Vereinigte Königreich 1994 ihre Verpflichtung, die Souveränität der Ukraine und ihre Grenzen anzuerkennen, inklusive Krim und Donbass.

Wie Russlands Präsident Wladimir Putin diese Frage beantwortet, zeigt er Nacht für Nacht mit Angriffen auch auf zivile Ziele in der Ukraine. Er darf sich nun auch darüber freuen, dass ein SPD-Ministerpräsident bereit ist, zum Machterhalt die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland infrage zu stellen.

Auch hier gilt: Natürlich ist der Satz nicht kategorisch formuliert. "Kritisch sehen" heißt nicht "ablehnen". Aber es heißt eben auch nicht, sie zu einem "wichtigen Baustein" für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland zu erklären, wie es SPD-Kanzler und SPD-Präsidium getan haben. Ebenfalls bedeutet es nicht, die Stationierung der US-Waffen in Westdeutschland besser zu erklären, wie Woidke noch vor Kurzem in seinem Gastbeitrag mit den CDU-Chefs aus Sachsen und Thüringen, Kretschmer und Voigt, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gefordert hat.

Das Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine bröckelt

Mit dem Ende der Sondierungsgespräche ist klar: Wagenknecht und ihren Verhandlern in Brandenburg ist es gelungen, den Kompass des in der Ukraine-Frage bisher auf Kurs der Ukraine-Unterstützer segelnden Woidke zu verschieben – und Signale senden zu lassen, die auch in Moskau, Kiew und Berlin empfangen werden können: Das Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine mit Waffen bröckelt; auch bei denen, die politische Verantwortung tragen. Das kann Wagenknecht ihren Wählern als Erfolg verkaufen. Von wegen, Landespolitik hat nichts mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun.

Ganz nebenbei wurde heute vorerst auch die Frage beantwortet, ob Wagenknecht in den Ländern überhaupt regieren lassen möchte: Ja, sie will. Hier hat sie sich bewegt, auch wenn sie noch so lange die Notbremse ziehen kann, bis die Tinte unter dem eigentlichen Koalitionsvertrag getrocknet ist. Das ist auch eine Botschaft an die Verhandler von CDU, BSW und SPD in Dresden und Erfurt.

Die Ukraine-Formel ist ausbuchstabiert. Ein eventuelles Scheitern von Koalitionsverhandlungen in Sachsen und Thüringen wird sich nun nicht mehr darauf schieben lassen, dass die BSW-Chefin aus dem Saarland mit Blick auf die Bundestagswahl vor der Verantwortung kneift.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.10.2024, 15:39

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Beitrag von Michael Schon

81 Kommentare

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  1. 81.

    "Nächstes Jahr wird Kanzler Merz davon völlig unbeeindruckt weitreichende Waffensysteme ohne Einsatzbeschränkungen an die Ukraine liefern. Und Präsidentin Harris wird mit gutem Beispiel vorangehen."

    Hoffentlich!

  2. 80.

    Nein, das ist nicht erstaunlich, denn Putin und dieser Krieg ist aktuell die grösste Gefahr für die freiheitliche westliche Welt. Alles andere ist unwichtig und lässt sich lösen. Auch sie berührt doch dieses Thema sehr, sonst hätten sie sich ihren Kommentar gespart.

  3. 79.

    Wenn Sie keine Hirnwäsche durchlaufen haben, dann müssten Sie längst begriffen haben, dass den gewünschten Waffenstillstand nur der Putin "anleiern" kann!!!
    Die trotzige Verweigerung diese Realität zu akzeptieren ist für dieses Land einfach nur noch peinlich, zumal es viele hiesige Zeitgenossen sind.

  4. 78.

    Ehrlich gesagt,wie manche meinen das jeder ausser die drei keine Diplomatie will und somit Kriegstreiber ist ist eine bodenlose Frechheit.
    Der Verbrecher sitzt in Moskau, ist es so schwer dem ZUZUHÖREN ???
    Russland ist unbesiegbar....Die Nordkoreaner sind wohl auf Shoppingtour oder was?
    Putin WILL den großen Krieg das sollte auch jeder einfach gestrickte Bürger begriffen haben.

  5. 77.

    Wie verquer wird nicht nur von ihnen Herr Thomas argumentiert. Ziel ist es nicht den Ukrainern einen Diktatfrieden überzuhelfen. Ziel ist es, dass dort das Morden und das Zerstören des Landes aufhört. Das unsere Sicherheit geschwächt werden ist genau so ein Hirngespinst. Sie können sicher sein, falls es zur militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO kommen sollte, werden als erstes die Raketenstandort anvisiert. Wenn dann ihre Wohnung in der Nähe sich befinden sollte, dann können sie ihr neues Freiheitsgefühl ausleben. Ich meinte natürlich nicht ausleben sondern aussterben. Ich bin gespannt, wie begeistert sie danach noch sind, wenn Gliedmaßen fehlen sollten oder ihre Gedärme freigelegt sind.

  6. 76.

    Die Forderung ist abartig und krankhaft, Landespolitikern das Recht abzusprechen, gegen Krieg, Mord und Verbrechen auftreten. Jeder steht da mit in der Verantwortung. Wenn die übergeordnete Ebene falsch liegt, muss notfalls selbst das Heft in die Hand genommen werden. Es ist verantwortungslos, nicht zu reagieren wenn die Bundesregierung falsche Entscheidungen trifft und den Kopf wie Vogel Strauß einfach in den Sand zu stecken und das Land in die Katastrophe laufen zu lassen.

  7. 75.

    Jana von wem haben sie die Information, dass Putin nicht verhandeln will? Wo und wann zeigt Selensky Verhandlungsbereitschaft? Ein Vorschlag meinerseits, die beiden Herren einigen sich, beide Länder verschmelzen miteinander und treten gemeinsam der NATO bei, d.h. wenn sie dann noch wollen.

  8. 74.

    Selenskyj ist im Gegensatz zu Putin demokratisch gewählt. Ich kann nicht erkennen, dass die Ukrainer seinen Rücktritt fordern um ihre oder Wagenknechts Forderungen umzusetzen.
    Im Gegenteil, die Ukrainer sehen jeden Tag was es bedeutet, wenn sie „Frieden“ mit Putin schließen.

  9. 73.

    Er wird ihnen nicht im Klartext seine Ziele ausbuchstabieren, bis auch sie endlich irgendetwas begreifen. Im Gegenteil er sonnt sich gerade in soviel westlicher Naivität:
    „ Bei dem Brics-Gipfeltreffen erklärte Putin, der Illusion, dass Russland eine strategische Niederlage in der Ukraine erleiden könnte, könne nur jemand verfallen, der Russlands jahrhundertealte Einheit und Geschlossenheit nicht kenne.“

  10. 71.

    Ein Hoch auf die selbsternannten Demokraten , die mit demokratischen Waffen demokratischen Frieden herbei bomben wollen, dass das nicht gut gehen kann liegt doch auf der Hand.
    Das Verhandeln ist doch nicht das Aufgeben der Ukraine, dass Verhandeln ist Pflicht und Gebot im Sinne des Friedens in Europa, auch und vor allem mit Russland, dass als Aggessor an den Tisch muss, dass ist auch Pflicht und Verpflichtung unseres Landes, ganz besonders sogar. USA, China, Indien, Europa, der Weltgemeinschaft muss an einem Ende des Krieges gelegen sein.
    Dafür Ostdeutsche zu dikteditieren , die diese Sichtweise zumindest mal aufwerfen, bei allem Respekt, respektlos.
    Inklusive Papst und vieler anderer, die Verhandlungen einfordern.
    Ach stimmt ja, Putin will nicht verhandeln.

  11. 70.

    Nein, Kriegsverbrechen wie in Butscha müssen aufgeklärt werden. Und selbstverständlich ist ein Angriffskrieg illegal. Dennoch ist es zur Schonung ukrainischer Soldaten sinnvoll, eine Verhandlungslösung anzustreben.

  12. 69.

    Na gerade auf dem BRICS-Treffen hat er doch Verhandlungsbereitschaft signalisiert.

  13. 68.

    Vielleicht sollten man sich gar nicht so aufregen. Lasst die Koalitionäre doch in eine unverbindliche Präambel schreiben, was sie wollen. Nächstes Jahr wird Kanzler Merz davon völlig unbeeindruckt weitreichende Waffensysteme ohne Einsatzbeschränkungen an die Ukraine liefern. Und Präsidentin Harris wird mit gutem Beispiel vorangehen.

  14. 67.

    Auch ich bin der Überzeugung, dass am Ende Verhandlungen zum Frieden führen werden. Allerdings bin ich nicht so blauäugig, die Vergangenheit sollte auch Ihnen das nachvollziehbar machen, dass das Niederlegen der Waffen durch die Ukraine den Agressor dazu bringt auch so zu handeln. Während die Ukraine inne hält zieht der Aggressor weitere Beteiligte und Truppen nach um dann erneut zuzuschlagen. Wo sind die Anzeichen von Friedensverhandlungen von Seiten des Aggressors? Nordkoreanische "Blauhelme"? Und kommen Sie mir bitte nicht mit Istanbul 2022.

  15. 66.

    So ein Quatsch mit der Verhandlungsmasse! Putin will nicht verhandeln, Putin braucht den Krieg um von seinen Raubzug im Inneren abzulenken. Putins Kamarilla haben Russland völlig ausgeplündert und in eine faschistische Diktatur verwandelt.

    Soldaten meckern nicht und Bürger in Angst und Schrecken auch nicht. Sie können in ihrem geliebten Russland verhaftet werden wenn sie ein leeres Schild hochhalten.

    Kursk und die eigenen Leute sind Putin völlig egal. Sie vertreten hier Angriffskrieg und Kriegsverbrechen.

  16. 65.

    Haben sie meine Antwort #45 überhaupt gelesen und auch verstanden?
    Putin wird nicht verhandeln und in Kursk wird er erstmal in Seelenruhe die Nordkoreaner verheizen.
    Putin verhandelt erst, wenn er verhandeln MUSS! Wie ich bereits erwähnte, er erklärte es unlängst auf Nachfrage bei BRICS in Kasan.
    Sie sollten dem Mann einfach mal ZUHÖREN!!

  17. 64.

    Es ist ja nicht verkehrt, über den Tellerrand hinauszublicken. Aber umgekehrt sollte doch auch nicht ignoriert werden, dass es bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen primär um Landespolitik geht.

  18. 63.

    Was das Resultat von Verhandlungen wäre, ist doch völlig unklar. Auf jeden Fall verfügt die Ukraine doch über Verhandlungsmasse

  19. 62.

    Es gibt Menschen die über den Tellerrand hinzuschauen. Der Wahlkampf des BSW war doch vergleichbar - Themen der Bundesebene in den Vordergrund gerückt.