Landtagswahl - Das ist über Brandenburger Nichtwähler bekannt
Immer wieder werden Nichtwähler als die größte Wählergruppe beschrieben, obwohl sie auf die Stimmabgabe verzichten. Doch seit Jahren wird die Gruppe der Nichtwähler immer kleiner. Unklar, wer davon profitieren könnte. Von Juan F. Álvarez Moreno
Würden alle Nichtwähler in Brandenburg eine fiktive Partei wählen, dann wäre sie die mit Abstand stärkste Kraft im Parlament. Bei der Landtagswahl 2019 hätte sie mehr Stimmen als alle Regierungsparteien – SPD, CDU und Grüne – zusammen erhalten.
Bei der vergangenen Wahl entschieden sich von mehr als zwei Millionen Wahlberechtigten in Brandenburg mehr als 800.000 gegen die Stimmabgabe. Bei der Wahl 2014 gab es mehr als 1.100.000 Nichtwähler.
Am seltensten wählten bei der Brandenburger Landtagswahl 2019 die Anwohner der Wahlkreise Barnim I (52,3 Prozent), Brandenburg an der Havel II (52,7 Prozent) und Uckermark I (54,4 Prozent). Brandenburg an der Havel und die Uckermark gehören zu den einkommensschwächsten Regionen Brandenburgs.
2019 konnte die AfD überdurchschnittlich viele ehemaligen Nichtwähler für sich gewinnen: Laut Schätzungen von Infratest/Dimap für die ARD machten etwa 115.000 von ihnen ihr Kreuz bei der AfD. Nur halb so viele entschieden sich für die SPD, den damaligen Wahlgewinner.
Nichtwähler ist nicht gleich Nichtwähler
Doch wie sieht ein Nichtwähler typischerweise aus? Die Forschung erkennt dabei einige Merkmale: Je weniger Geld ein Mensch hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass er auf die Stimmabgabe verzichtet. Zudem kommen zahlreiche Studien zu dem Ergebnis, dass Menschen mit einem niedrigeren Bildungsgrad häufiger Nichtwähler sind. Und auch längst belegt: Jüngere Menschen wählen seltener als ältere.
Nichtwählern wird traditionell ein geringes Interesse an Politik zugeschrieben. Das ist bei zwar bei vielen so, doch es gibt viele weitere Gründe. Eine bedeutende Gruppe bilden die bedingten oder unechten Nichtwähler. Das sind zum Beispiel diejenigen, die keine Wahlbenachrichtigung erhalten, weil sie umgezogen sind oder sich im Ausland aufhalten. Dazu zählen auch Verstorbene, die noch im Wählerverzeichnis stehen, aber auch durch Krankheit verhinderte Menschen.
Darüber hinaus sprechen Politikwissenschaftler von bekennenden Nichtwählern, also politisch interessierte Menschen, die aus Unzufriedenheit mit der Regierung, dem Parteiensystem oder der Demokratie auf die Stimmabgabe verzichten. Andere überzeugte Nichtwähler gehören hingegen einer politikfernen Minderheit an – und lehnen beispielsweise Wahlen aus religiösen Gründen ab.
Eine weitere Gruppe von Nichtwählern kann man eigentlich als Gelegenheitswähler einordnen. Sie entscheiden bei jeder Wahl – je nachdem, wie wichtig ihnen diese erscheint –, ob sie ihre Stimme abgeben wollen.
Und für das Nichtwählen gibt es schließlich auch ganz banale Gründe: Es gibt Wahlberechtigte, die am Wahltag versäumen, ins Wahlbüro zu gehen – oder vor der Wahl verpasst haben, Briefwahl zu beantragen.
Trotz allem lässt sich in den vergangenen Jahren ein neuer Trend beobachten: Die Wahlbeteiligung steigt in Brandenburg seit 2014 kontinuierlich. Damals nahm weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten an der Kommunal- und Europawahl sowie an der Landtagswahl teil – der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. 2019 stieg die Zahl auf etwa 60 Prozent der Wahlberechtigten. Und bei der Kommunal- und Europawahl im vergangenen Mai waren es bereits mehr als 65 Prozent. Auch bei der Bundestagswahl gibt es seit 2009 immer weniger Nichtwähler.
Höhere Wahlbeteiligung in polarisierten Zeiten
Zu den Nichtwählern in Brandenburg gibt es keine aktuellen Studien, wie Timm Beichelt, Politikwissenschaftler und Professor für Europa-Studien an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) dem rbb sagt. Dass die Wahlbeteiligung bei den vergangenen Wahlen gestiegen ist, wundert Beichelt nicht. "In polarisierten Zeiten ist es nicht unüblich, dass die Wahlbeteiligung nach oben schnellt."
Bei dieser Wahl beschäftige das Thema Migration viele Wahlberechtigte. Zur Wahl stünden diesmal gleich zwei Parteien – die AfD und das BSW –, die zu dieser Frage "eine kontroverse Position" einnehmen, so der Professor. Das Thema mobilisiere aber gleichzeitig Gegner und Befürworter von Migrationsbeschränkungen, deswegen sei schwer einzuschätzen, welche Partei davon profitieren werde. "Beide Lager versuchen daher mit besonders deutlichen und sichtbaren Botschaften, ihre jeweilige Wählerschaft zu mobilisieren", sagte Politikwissenschaftler Beichelt.
Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus dem Januar unterstützt die These, dass diesmal nicht nur die AfD ehemalige Nichtwähler mobilisieren könnte [stern.de]. Etwa die Hälfte der Nichtwähler würde demnach bei der Annahme, dass die AfD die Wahl gewinnen könnte, überlegen, zur Wahl zu gehen und eine andere Partei zu wählen.
Am 22. September wird sich zeigen, ob die Nichtwähler noch mal weniger werden und wer am meisten davon profitiert. Eines steht bereits fest: Die fiktive Nichtwähler-Partei mag nach der Wahl auch rein rechnerisch wieder als stärkste Kraft zählen, doch ohne Vertreter im Parlament bleibt ihr Einfluss auf die Politik weiterhin sehr begrenzt.