Bundeskanzler Scholz in Brandenburg - Käse statt Woidke
Olaf Scholz kommt im Osten nicht gut an. Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Brandenburg geht nun auch Ministerpräsident Dietmar Woidke auf Distanz zu ihm. Darüber reden will der Bundeskanzler lieber nicht. Von Hasan Gökkaya
Noch vor dem Mittagessen beamt Olaf Scholz sich weg. Ein Monitor zeigt, was der Kanzler gerade aus einer Vogelperspektive sieht – eine Bühne und Sitzplätze, es ist das Große Festspielhaus in Salzburg. Scholz schaut sich ein wenig um, gibt sich reserviert, redet wenig, obwohl gerade mehr als ein Dutzend Menschen um ihn herumstehen, in einem Videostudio am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam-Babelsberg. "Da könnte man ja einen Abend verbringen", sagt er dann doch und lächelt ein wenig. Nach etwa einer Minute zieht er die VR-Brille ab und kommt zurück in die Realität, eine in der noch viele Termine anstehen, eine in der es Wahlkampf braucht, um Wahlen zu gewinnen. Umso mehr, wenn die eigene Partei im Sinkflug ist.
Der Kanzler tourt gerade für seine "Sommerreise" durch den Wahlkreis 61, jenes Wahlgebiet in dem der SPD-Politiker 2021 als Direktkandidat für den Bundestag gewählt wurde – mit großem Abstand zur Zweitplatzierten, der aktuellen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Seitdem ist der Wahlkreis "Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II", wie er offiziell heißt, der politische Code für Olaf Scholz. Hier ist auch jener Großraum, in der sich die SPD nicht ganz so stark ducken muss. Wenigstens in Potsdam holte die Partei entgegen dem Landestrend bei der diesjährigen Kommunalwahl die meisten Stimmen (19,4 Prozent) und in Potsdam-Mittelmark verlor sie immerhin nur geringfügig. Also eigentlich ein Heimspiel für Scholz. Eigentlich.
SPD angeschlagen im Osten
Tatsächlich ist der Kanzler während seiner dreitägigen Tour, zu der er auch die Presse eingeladen hat, in einer schwierigen Phase. In Ostdeutschland stehen Wahlen an. In Thüringen und Sachsen kommt die SPD in Umfragen nur auf etwas mehr als fünf Prozent, in Brandenburg schneidet sie zwar deutlich besser ab, doch ihr droht bei der Landtagswahl am 22. September im Vergleich zu 2019 (26,2 Prozent) ein Verlust um mehrere Prozentpunkte. Und: Die AfD könnte stärkste Partei werden. Sieht sich Scholz als das bundesweit prominenteste SPD-Gesicht dafür in der Verantwortung? Eine drängende Frage.
Zudem bebt es in der Regierungskoalition, Grünen-Chef Omid Nouripour nannte die Ampel-Koalition zuletzt sogar eine "Übergangsregierung" [tagesschau.de], Sahra Wagenknecht, die mit ihrer Partei BSW in Ostdeutschland erstarkt ist, fordert die Ampel-Koalition zum Ende auf. Scholz hat sicher keine einfache Regierungsphase abbekommen; da ist die Corona-Pandemie gewesen, da ist der Ukraine-Krieg und der größer werdende Rechtsruck in Europa. Fakt ist aber, dass die Marke "Scholz" schwer angeschlagen ist, das ist offenbar auch seinem Genossen Dietmar Woidke bewusst. Der Brandenburger Ministerpräsident stellte vor wenigen Tagen klar, dass er in seinem Bundesland auf Wahlkampfauftritte mit dem Bundeskanzler Scholz verzichtet. Dabei geht es auch bei ihm um sehr viel: Siegt die SPD in Brandenburg nicht, ist Woidke weg. Schmerzt eine solche Absage den Bundeskanzler?
Scholz hört zu, nickt, hört zu, nickt
Viele Fragen, die Scholz nun beantworten könnte. Doch vor dem Hasso-Plattner-Institut gibt er im Beisein von Brandenburgs Wissenschafts- und Kulturministerin Manja Schüle erst ein Abschlussstatement ab - und ist dann schnell weg. Er weiß offenbar, welche Fragen ihn erwarten, er weicht einem rbb-Reporter aus. SPD-Ministerin Schüle wird ihm später Rückendeckung geben, sagen, Scholz sei nicht wegen der Landtagswahl in Brandenburg unterwegs, sondern als Wahlkreisabgeordneter in seinem Wahlkreis. Im gleichen Gespräch wird sie aber noch betonen, dass sich in den nächsten Wochen noch viel ändern könne, was die Landtagswahl angeht. "Wir kämpfen 24 Stunden, sieben Tage die Woche."
Ludwigsfelde (Teltow-Fläming). Scholz' Autokolonne erreicht die 20 Kilometer weiter südlich gelegene ADAC-Straßenwacht. Auf dem Stützpunkt glänzen gelbe Einsatzfahrzeuge, Scholz wird durch die Halle geführt. Auf zwei großen Monitoren stoppt er, hier erfährt er von der Geschäftsführung, wie der Automobil-Club seine Einsätze koordiniert. 70 Autos seien an diesem Tag in der Region unterwegs. Scholz hört zu, runzelt die Stirn, hier und da ein Nicken, es fallen kaum Worte. Kathleen Andersohn springt ein. Sie ist Straßenwachtfahrerin beim ADAC für die Region Berlin/Brandenburg, sie führt den Kanzler zu einem Einsatzfahrzeug.
Ein Menschenfänger, das ist er nicht
Andersohn erklärt ihre Arbeit. Scholz hört zu, nimmt sich Zeit, spricht er, ist er leise, wer etwas weiter hinten steht, wird ihn nicht verstehen können. Die Presse lauert auf eine interessante Bemerkung, hier und da stellt Scholz auch eine kurze Frage, etwa ob die Kunden, die den ADAC rufen, freundlich seien. "Meistens", sagt Andersohn. Wo sie vorher gearbeitet habe, will er wissen. "In einer dunklen und nassen Werkstatt", ganz anders als beim ADAC, betont sie. Scholz nickt, ins Reden verfällt er nicht.
Unter Journalisten gilt Scholz als ausweichend oder wiederholend, wenig charismatisch und monoton in seiner Ausdrucksweise, ein besonders beliebter Interviewpartner ist er deshalb nicht. Klar wird an diesem Tag, dass er auch vor laufenden Kameras und selbst in einer durch ein PR-Team kontrollierten Umgebung an seinem Stil offenbar nichts ändern wird. Ein Menschenfänger, das ist er nicht. Ziemlich sicher aber ein Profi, der ahnt, wohin die Reise an diesem Tag inhaltlich gehen könnte, wenn er sich Fragen der Journalisten stellt. Scholz bedankt sich bei Andersohn für ihre Arbeit und geht durch den Hintereingang raus.
Auf eine Packung Heumilch im Schenkenländchen
Münchehofe (Dahme-Spreewald), 60 Kilometer weiter südöstlich, Scholz steht vor Tanks, Kesseln und Leitungen. Das Unternehmen Gläserne Molkerei verarbeitet Bio-Milch zu Butter, Joghurt und Käse - sichtbar durch große Fenster. Hier im Schenkenländchen wurde die SPD bei der Landtagswahl 2019 zweitstärkste Kraft mit 25,4 Prozent, die AfD erhielt 29,4 Prozent. Warum ist Scholz eigentlich hier, so weit entfernt von seinem Wahlkreis 61? Weil sie ihn eingeladen habe, sagt Nadine Graßmel, SPD-Landtagskandidatin für Dahme-Spreewald, dem rbb. Als Wahlkampfhilfe für die Landtagswahl? "Das habe ich überhaupt nicht so für mich betrachtet", sagt sie dem rbb. Der Kanzler? Ein Mensch, der sich eben für verschiedene Themen interessiere, erzählt sie weiter.
Scholz schaut auf die Produktionsanlagen, wirkt ein bisschen lockerer als im Vergleich zu den Terminen vorher. Hier erfährt er wieder etwas, etwa über fette Schlagsahne, über Heumilch und über die Generation Z: Die jungen Leute würden Buttermilch eher als ein Produkt von früher sehen und weniger interessiert daran sein, wird ihm gesagt.
"Käse?" Geschäftsführer Philippe Thömmes bietet Graßmel und Scholz Probierhäppchen an. Scholz kaut, schluckt, nickt, ein lautes "Mmh" gibt es nicht. Im Verkauf gehe es den Käsetheken gar nicht so gut, sagt Thömmes weiter, die Zahl der Theken gehen runter, sie würden quasi aussterben. "Da kaufen wir noch", kontert Scholz und wirklt ein bisschen stolz, lächelt. Wie und welchen, das entscheide er spontan an der Theke.
Scholz, ein Käsethekenunterstützer, vielleicht eine gute Voraussetzung für die nächste Aufgabe. Ihm wird ein Käselaib in die Hand gedrückt und gefragt wie schwer dieser sei. Scholz muss schätzen: "2,5 Pfund". Mit dieser alten Bezeichnung für die Einheit von Masse hatte wohl niemand gerechnet, so dauert es zwei Sekunden, bis die Umrechnung durch ist. Also rund 1,2 Kilogramm. Nein, das Laib ist deutlich schwerer erfährt Scholz, nämlich mehr als 4 Kilogramm. Der Kanzler runzelt die Stirn, "wie eine Hantelstange", sagt er.
Keine Lust auf Fragen von Journalisten
Das wäre geklärt, aber was ist mit der SPD in Brandenburg, in Thüringen, in Sachsen? Was denkt er über seinen Genossen Woidke? Nach Käselaib und erneutem Ausweichen der Frage eines rbb-Reporters ist klar: Scholz will darüber nicht reden. Und weil es wohl die Sorge gibt, dass im Anschluss an ein Abschlussstatement unbequeme Fragen fallen, wird das Programm spontan geändert.
Gut möglich, dass er mit seiner Tour einfach auf Tuchfühlung in seinem Wahlkreis gehen will - mit dem einen oder anderen Umweg. Das ändert jedoch nichts daran, dass Wahlen vor der Tür stehen. Daran wurde der Kanzler auch beim Verlassen des Geländes erinnert: Am Tag vorher wurde der Straßenzugang beschmiert. In großer fetter Schrift ist noch zu lesen: "Frieden ohne Waffen".
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 23.08.2024, 19:30 Uhr
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