Meinung | Landtagswahl Brandenburg - Der entgleiste Wahlkampf
Migration, Zuwanderung, aber auch die Frage von Krieg und Frieden in der Ukraine dominierten den Wahlkampf in Brandenburg. Wichtige andere Themen fielen dagegen runter. Eine fatale Entwicklung, kommentiert Hanno Christ.
Erinnern Sie sich noch an die Debatte um die sogenannten Netzentgelte? Noch vor wenigen Monaten verging kaum eine Pressekonferenz, in der Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nicht die himmelschreiend ungerechte Organisation der Stromverteilung in Deutschland anprangerte. Ausgerechnet jene Regionen, in denen besonders viel erneuerbare Energie erzeugt wird - wie Brandenburg oder Schleswig-Holstein - bezahlen besonders hohe Strompreise. Schuld daran sind die bösen Netzentgelte.
Anfang September verkündete die Bundesnetzagentur, der gordische Knoten sei durchschlagen. Schon ab Januar werden die Entgelte neu geregelt, diesmal aber gerechter. Für Brandenburger Haushalte können dabei immerhin mehrere Hundert Euro plus im Jahr herausspringen. Doch mitten im Wahlkampf schrumpfte der Durchbruch auf nicht mehr als eine Meldung.
Trotz des Erfolges: Netzentgelte klingen eben nicht nach schmissigem Wahlkampfschlager. In der Brandenburger Staatskanzlei legten sie denn offenbar auch keinen großen Wert mehr darauf, sich die Finger wund zu schreiben. So tröpfelte aus der Regierungszentrale nur ein dürrer Mehrzeiler, dass man sich über die Neuordnung der Entgelte freue. Punkt. Weiter im Wahlkampf.
Wahlprogramme spielen kaum eine Rolle mehr
Wahlkämpfe wischen zuweilen beiseite, was eben noch wichtig schien. Stattdessen rücken schrille, emotionale Themen in den Vordergrund. Geschichten, mit denen Wählerinnen und Wähler möglichst zügig zu erreichen – und bestenfalls zu überzeugen - sind. Es wird verkürzt, zugespitzt, emotionalisiert, auch verfälscht. So ist er nun mal, könnte man meinen und alles so hinnehmen, wie es immer war.
In diesem Brandenburger Wahlkampf aber rieb man sich zuweilen verwundert die Augen. Monatelang hatten die Parteien an Wahl- und Regierungsprogrammen gefeilt, um sie auf den letzten Metern über den Haufen zu werfen. Offenbar trauten sie ihrer eigenen Arbeit nicht mehr. Statt bücherdicker Pamphlete hätte es am Ende auch eine DIN-A4-Seite mit zwei Punkten getan: Migration und Zuwanderung, dicht gefolgt von Krieg und Frieden in der Ukraine. Ach so: Und die Ampel braucht eine Klatsche. Hauptsache weg damit.
Die Wählerinnen und Wähler waren empfänglich für derlei emotional besetzte Themen, einige Parteien - allen voran AfD, BSW, SPD und CDU - haben verlässlich geliefert und Emotionen geschürt. Den vorläufigen Schlusspunkt unter die wochenlange Debatte zur Migration lieferte dieser Tage der Brandenburger Innenminister Michael Stübgen (CDU), der eine jahrelange Forderung der AfD aufgreift und zum wiederholten Mal das individuelle Recht auf Asyl abschaffen will.
Gleiches hatte Alexander Gauland bereits 2017 gefordert, damals als AfD-Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag. So ändern sich Zeiten und Forderungen. Oder eben auch nicht.
Anschlag von Solingen überlagert die Wahlkämpfe
Der Anschlag von Solingen vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hat eine Kaskade von Asylverschärfungen und Forderungen danach ausgelöst. Dabei hätten bereits andere tödliche Angriffe von Asylbewerbern in den Jahren zuvor ähnliche Folgediskussionen verdient. Es brauchte wohl erst Wahlkämpfe wie die in Ostdeutschland, um einen solchen Überbietungswettbewerb loszutreten. Dabei gehören diese Bundesländer noch immer zu den Regionen mit den niedrigsten Ausländeranteilen deutschlandweit.
Einmal mehr drehte sich die Debatte weniger um die Gestaltung von Integration, sondern vor allem um die negativen Folgen der Zuwanderung – auch in Brandenburg. Die AfD trieb die Diskussion einmal mehr auf die Spitze, fabulierte von Betretungsverboten bei öffentlichen Veranstaltungen für Asylbewerber und verteilte Stichwaffen an Wahlkampfständen, damit sich Deutsche gegen Ausländer zur Wehr setzen können. Es waren Exzesse eines Wahlkampfes, der thematisch schon längst entgleist war.
Wichtige Themen kommen zu kurz
Es stimmt: Migration ist eines der großen Themen unserer Zeit, viele Probleme, die damit einhergehen, sind noch immer ungelöst. Was auch stimmt: Parteien müssen sich im Wahlkampf voneinander abgrenzen, zuweilen auch mit schrillen Thesen. Doch ist es richtig, deswegen die meisten anderen Themen beiseite zu wischen?
Mit der Frage nach Krieg und Frieden in der Ukraine hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ein Feld besetzt, doch den Menschen gleichzeitig Sand in die Augen gestreut. In Brandenburg wird nicht über den Weltfrieden entschieden, so schön das klingen mag.
Die meisten demokratischen Parteien haben offenbar kein Selbstvertrauen in die Wirkmacht eigener Themen gehabt, die die Menschen in diesem Land nicht minder beschäftigen: Wie etwa die eklatante Bildungskrise angepackt werden kann. Wie Pflege bezahlbar bleibt. Wie sich das Land auf die existenziellste aller Krisen, den Klimawandel, vorbereiten und wie die Energiewende gewuppt werden kann.
Der Wahlkampf in Brandenburg ist sicherlich einer der spannendsten in der Geschichte des Landes, sein Ausgang offener denn je. Thematisch war er allerdings enttäuschend und eine Rolle rückwärts in vergessen geglaubte Zeiten.
Es ist zu wünschen, dass nach der Wahl Pragmatismus und Sachlichkeit zurückkehren, um eine stabile Regierung zu zimmern. Von diesem Wahlkampf wird ein Kater bleiben. Und der Zweifel, ob die Parteien wirklich wissen, worauf es ankommt.
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