Linke-Wahlkampf in Dahme-Spreewald - Robin Hood braucht Stimmen
Die Linke durchläuft eine schwierige Phase – der Einzug in den Landtag steht bei der kommenden Wahl auf der Kippe. In Zeuthen geht Spitzenkandidat Sebastian Walter auf Tuchfühlung zur Basis – und gibt Einblicke, wo Fehler gemacht wurden. Von Hasan Gökkaya
Der Mann, der die Ärmel hochgekrempelt hat, holt zum Rundumschlag aus. Ministerpräsident Dietmar Woidke? Ein SPD-Politiker, der Zahlen schönrede und die Armut im Land nicht sehe. Die Grünen? Längst keine Friedensstifter mehr, vielmehr die größte Kriegspartei der Bundesrepublik, setzt der Redner nach. Rund 30 Zuschauer nicken, klatschen. Sebastian Walter ist aber noch nicht fertig.
Die AfD? Spalter wie der IS und somit Verbündete im Geiste, sagt Walter. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)? Mit Blick auf die Positionierung in der Asylpolitik gebe es kaum Unterschiede zwischen BSW und AfD. Und seine Linke? "Schwierig, aber nicht aussichtslos". Walter kommt gerade aus dem Landtag, wo in einer Sondersitzung über den Anschlag in Solingen diskutiert wurde. Sein Eindruck: "Alle anderen Parteien sind nach rechts gerutscht."
Der 1,94 Meter große Spitzenkandidat der Linken braucht hier im Bürgerhaus Zeuthen (Dahme-Spreewald) nicht mit Gegenwind zu rechnen. Nicht nur, weil die Gemeinde bei 33,8 Grad ihren heißesten Tag des Jahres erlebt. Sondern auch, weil zu diesem öffentlichen Termin nur Parteimitglieder und Sympathisanten der Linken gekommen sind. Die Veranstaltung heißt zwar "Walter (ge)grillt", deutet also neben Bratwurst auch kritische Fragen an, die werden an diesem Donnerstag aber nicht gestellt.
Es geht ums politische Überleben
Sebastian Walter, kurze Haare, Brille, freundliches Gesicht, wollte einst Lehrer werden und hat in zehn Jahren eine steile Karriere in der Politik hingelegt. Mit nur 34 Jahren ist er das universale Gesicht der Linken in Brandenburg - Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Fraktionsvorsitzender, Co-Landeschef, Stadtverordneter in Eberswalde (Barnim), alles gleichzeitig.
Seit 2019 sitzt er nun im Landtag, in seinen Reden fallen Wörter wie "Konzerne", "Verknappung", "Profiteure". Die AfD bezeichnete er im Landtag auch schon mal als die "größte Trümmertruppe" und vergangenes Jahr den AfD-Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt sowie den AfD-Landtagsvizepräsidenten Andreas Galau als "Nazischwein".
Die meisten der 4.300 Parteimitglieder im Land sind ältere Menschen. Und so ist Walter – ob gewollt oder ungewollt – das junge Gesicht einer alternden Partei. Ein gut klingender Titel für jemanden, der sich auf einem Wahlplakat auch mal als "Robin Hood" verkauft – also jener Filmheld, der Reiche ausraubt und die Beute den Armen gibt. Doch das selbstgewählte Image alleine reicht offensichtlich in Brandenburg nicht aus. Das zeigt die dramatische Situation in der sich die Linke befindet. Die Abwärtsspirale konnte auch Walter bisher nicht stoppen.
Und so blickt die Linke, die sich in Brandenburg einst mit Ergebnissen von mehr als 27 Prozent rühmen durfte, die jahrelang mitregierte, Minister stellte, in den Abgrund. Sie muss nämlich um den Einzug in den Landtag bangen, da sie in Umfragen nur bei vier bis fünf Prozent landet – weit hinter der AfD und dem BSW. Es ist gut möglich, dass die Linke zur Bundestagswahl 2025 demontiert sein wird, wenn sie in Thüringen, Sachsen und Brandenburg scheitert. Wie konnte es soweit kommen?
Kritik an Parteispitze? Nicht hier
Keine einfache Frage, auch nicht für die Menschen im Bürgerhaus Zeuthen, hier und da fallen Ideen: die Corona-Pandemie, der gesellschaftliche Wandel, das hohe Alter der Mitglieder, außerdem sei da Sahra Wagenknecht, da sei die AfD, heißt es. Claudia Mollenschott, stellvertretende Parteivorsitzende des Kreistages Landkreis Dahme-Spreewald, fügt hinzu, die Presse habe es ihrer Partei aber auch nicht leicht gemacht, da sie in der Berichterstattung zu selten vorkomme. Viele Gedanken werden geäußert, Kritik an der Partei selbst oder ihrer Spitze ist kaum zu hören. Vielleicht hat der Spitzenkandidat klare Worte?
Draußen, auf einer Holzbank, bei Slush-Eis und Kippe, findet er sie. Er räumt persönliche Fehler ein. Die Partei hätte sich deutlicher positionieren müssen – statt zu missionieren "und den Leuten die Welt zu erklären", sagt Walter im Gespräch mit rbb|24. Auch er habe sich in unnötige Themen reinziehen lassen, etwa in Kulturkämpfe mit der AfD und so Wähler verschreckt. Zum Beispiel beim Thema Gendern: "Ich halte Gendern für richtig, aber ich zwinge ja niemanden, das zu tun."
Walter: "Sie kann komplexe Themen in drei Sätzen auf den Punkt bringen"
Und die Ukraine? "Wir haben zu lange versucht, das Thema Frieden zu umschiffen, ohne dabei klar sein zu können. Jetzt stellen wir fest, dass Frieden im Osten Deutschlands das wahlentscheidende Thema ist", resümiert er. Besser hinbekommen hat das offenbar die frühere Bundestagsfraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, die inzwischen ihre eigene Partei, das BSW, gegründet hat. Für den Landesverband Brandenburg tritt der Arbeitsrichter Robert Crumbach als Spitzenkandidat an – Wagenknechts Position schwebt über dem Bündnis: keine militärische Hilfe für die Ukraine. Wie steht Walter zu ihr? Er kenne sie persönlich, habe sie sogar zu einem Rededuell aufgefordert, dem sie bis heute nicht nachgekommen sei.
Möglicherweise, weil Wagenknecht ein Duell mit Walter nicht nötig hat. Im BrandenburgTrend von Anfang Juli kommt das BSW auf 16 Prozent – während die Linke um den Einzug ins Parlament zittert, darf das BSW übers Mitregieren nachdenken.
Walter gibt dem BSW eine kurze Halbwertszeit, die Links-Rechts-Positionierung der Partei sei politisch zu breit gestreut. Er sagt aber auch, dass sie eine "riesige mediale Projektionsfläche" sei, eine die bei ehemaligen Linken-Wählern verfangen habe. "Sie kann komplexe Themen in drei Sätzen auf den Punkt bringen. Ihre Analysefähigkeit ist krass, das was aber danach kommt, ist immer ein bisschen schwierig, finde ich."
Walter hat noch rund drei Wochen, um seine Partei in den Landtag zu bringen. Ein Thema, mit dem er punkten will: kostenloses Mittagessen für alle in Kita, Hort und Schulen. Im Bürgerhaus bezeichnete Walter es als "Frechheit", wenn die Frage falle, wie das denn bezahlt werden solle. Sie werde nämlich immer nur dann gestellt, wenn es darum gehe, Armut zu bekämpfen.
Weit kam seine Partei mit ihrem Vorschlag bisher nicht. Mit der Begründung tat sich die Koalition aber in der Tat schwer. SPD-Bildungspolitikern Elske Hildebrandt verwies zuletzt lediglich darauf, dass es zahlreiche Maßnahmen zur finanziellen Entlastung gebe, etwa der Wegfall von Kita-Beiträgen für Familien mit einem Haushaltsnettoeinkommen bis 35.000 Euro.
Landtag geht auch ohne fünf Prozent
Eine Hoffnung hat die Partei noch, auch wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht nimmt. In Brandenburg dürfen Parteien, die mindestens ein Direktmandat gewinnen, so viele Abgeordnete nach Potsdam schicken, wie ihnen anteilig nach Zweitstimmen zustehen. Viele Joker hat die Linke dafür nicht, macht sich nun aber Hoffnungen, dass Kerstin Kaiser, vor vielen Jahren mal Fraktionsvorsitzende, das Direktmandat im Wahlkreis 36 rund um Strausberg holt.
Die Mauer und die Verglasung des Bürgerhauses Zeuthen gibt nach – die Hitze zieht in den Raum, an Tisch eins werden die ersten Handfächer gezückt. Draußen steht der Grill bereit, Würste mit und ohne Fleisch sollen bald brutzeln. Vorher gibt es ein Quiz zu absolvieren. Kugelschreiber und Zettel werden verteilt, Walter spielt mit. Die erste Frage mit drei möglichen Antworten wird an die Wand projiziert. Eine schwierigere gibt es gleich zu Anfang, sie bezieht sich auf das Werk "Die Akkumulation des Kapitals", geschrieben von Rosa Luxemburg. Eine Frage weiter muss man nur den Namen des Spitzenkandidaten der Linken kennen; Walter schmunzelt.
Dann die nächste Frage: "Wofür steht die Linke?" Als Antwortoptionen sind im Angebot "A) soziale Gerechtigkeit, B) Antifaschismus, C) Reiche unterstützen". Die Frage sorgt für Irritationen, es wird ein wenig getuschelt. Dann eine Wortmeldung vom Tisch ganz hinten. "Sind auch Mehrfachnennungen möglich oder ist das als scharfe Kritik an der Partei zu verstehen?"