SPD im Woidke-Wahlkampf - "Dann sing'wa noch'n Lied"
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke steht in Umfragen besser da als die Spitzenkandidaten der Konkurrenz - aber auch besser als seine eigene Partei. Kaum verwunderlich also, dass die SPD im Wahlkampf vor allem auf ihn setzt. Von Oliver Noffke
Natürlich singt Dietmar Woidke mit. Schließlich ist er seit acht Jahren Ehrenmitglied im Männerchor Ruhland. "Märkische Heide", das Brandenburglied, kann der Ministerpräsident aus dem Stegreif. Die Arbeiterhymne "Laßt uns wie Brüder treu zusammen stehn" ist musikalisch gesehen sozialdemokratische Flur. Ebenfalls textsicher. Beide Lieder waren vor dem Auftritt abgesprochen. Als die letzten Noten verklungen sind, der Applaus verhallt, fehlt jedoch der Anschluss im Programm.
Die Sänger sind voller Freude über die Darbietung mit sich selbst beschäftigt. Woidke steht für einen kurzen Moment ganz verloren in ihrer Mitte. "Wie geht’s jetzt weiter", fragt er in Richtung seines Wahlkampfteams. Das ist gerade ebenfalls mit sich im Gespräch. Woidke guckt noch einmal streng. Bringt auch nichts. "Na dann sing'wa noch'n Lied", beschließt der Ministerpräsident. Das haben wiederum alle gehört. Die zumeist älteren Herren des Chors sind in Ekstase. "Rauschen die Quellen im Talesgrund" soll es sein - ein Heimatlied. Diesmal fragt Woidke nach einer Textkladde. Für die Strophen. Der Refrain sitzt.
Wahlkampfkonzept lässt sich in einem Wort zusammenfassen
Dienstagabend in Arnsdorf einem Ortsteil von Ruhleben, Oberspreewald-Lausitz. Und momentan viel wichtiger: im Wahlkreis 38. Quasi CDU-Kernland. Nur einmal konnte ein SPD-Politiker bei einer Landtagswahl das Direktmandat für Brandenburgs südlichsten Zipfel ergattern. 1994, lange her. Davor lag die Gegend in der Hand der Christdemokraten. Danach ebenso. Seit 1999 sitzt Ingo Senftleben für den Wahlkreis im Landtag. Mehrfach übertraf die SPD hier die CDU bei den Zweitstimmen, teilweise deutlich. Doch diese Zeiten sind vorbei. Den größten Zuspruch kann aktuell die AfD erwarten.
Die SPD beginnt hier ihre "Strohballen-Tour". 24 Termine, 24 Ortschaften. Bis Ende August will sie mit ihrem 62 Jahre alten Spitzenkandidaten vor allem Dörfer und kleine Städte in ganz Brandenburg besuchen.
Die Partei geht mit eigener Bühne auf Tour. Groß genug für eine achtköpfige Blaskapelle (Auftakt: Schwarzheider Blasmusikanten) plus Direktkandidat:innen und eben den Ministerpräsidenten. Daneben stehen zwei zentnerschwere Strohpuppen, ebenso charmant wie bedrohlich, ein Strohschwein und eine Strohmaus oder Strohkatze. Strohballenkunst, stark kubistisch geprägt und anstrengend zu installieren. Für den Ministerpräsidenten wird dafür vor Ort offensichtlich angepackt. Es ist geradezu erstaunlich, wie viele Vereine, Gruppen oder zumindest deren Köpfe in den Abend eingebunden sind.
Nach der Gesangszugabe greift Woidke mit einem gekonnten Blick nach seinem Team. "Wohin?" Sekunden später sitzt er an einem der Tische zwischen den potenziellen Wählerinnen und Wählern. Rund 200 sind gekommen. Hauptsächlich Generation Babyboomer und deren ältere Geschwister. Auch ein paar knapp ü- oder u-30 sind vor Ort sowie einige Kinder. Die SPD selbst ist recht übersichtlich anwesend. Das passt zum Konzept des Wahlkampfs. In einem Wort zusammengefasst lautet es: Woidke.
Kandidat ohne Rückenwind
"Wer Woidke will, wählt SPD", steht auf den Wahlplakaten. Es klingt ein bisschen wie "Sie kennen mich". Jener Todeskuss, den Angela Merkel ihrem Konkurrenten Peer Steinbrück 2013 in einem Fernsehduell aufgedrückt hatte. Damals konzentrierte die CDU ihren Bundestagswahlkampf ebenfalls auf eine Person. Und Merkel lieferte. Nur knapp verpasste ihre Partei die absolute Mehrheit im Bundestag. Kann so eine Strategie elf Jahre später in Brandenburg für die SPD aufgehen?
In Brandenburg stehen die Sozialdemokraten aktuell bei weitem nicht so desaströs da wie in Thüringen oder Sachsen. In letzterem droht die SPD Anfang September gar an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Dass es in der Mark besser aussieht, ist vor allem Woidke zu verdanken.
Mit gewaltigem Abstand ist er der Beliebteste unter den Spitzenkandidaten aller Parteien. Im jüngsten BrandenburgTrend sagten 55 Prozent der Befragten, sie seien mit seiner Arbeit zufrieden. 33 Prozent sagten, sie seien das nicht. Er war damit der einzige, der mehr positive Resonanz erfuhr als negative. Zudem war er der einzige, zu dem sich mehr als ein Drittel der Befragten überhaupt äußern wollte oder konnte. Woidke kennen hingegen fast alle. Seit 2013 ist der studierte Diplom-Agraringenieur im Amt. Womit er zu den dienstältesten Ministerpräsidenten gehört. Nur in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt haben sie längere Regierungszeiten.
Allerdings ist die Partei aktuell deutlich unbeliebter als der Kandidat. Bei der Europa- und den Kommunalwahlen Anfang Juni erlitt die SPD in Brandenburg herbe Verluste. Rückenwind vom Bundesverband ist nicht zu erwarten. Die Ampelregierung steht in Umfragen anhaltend schlecht da. Im ARD-DeutschlandTrend [tagesschau.de] erhielt die Kanzlerpartei SPD zuletzt nur 14 Prozent bei der Sonntagsfrage.
"Es sind ja noch siebeneinhalb Wochen", so Woidke zu rbb|24. Je näher die Landtagswahl rücke, desto weniger würden die Menschen auf die Bundespolitik schauen. "So langsam wird das in den nächsten Wochen kommen, dass die Landtagswahl stärker in den Fokus kommt."
Die Kehrseite des Amtsbonus'
Woidke hält zu Beginn des Abends eine Rede, die sowohl seine Stärken und Schwächen zeigt. Er spricht frei und flott, sitzt dabei schwer im Amt. Beim Publikum kommt das an. Immer wieder klatschen oder freuen sich einige. Woidke dankt allen, die sich freiwillig bei einer Feuerwehr engagieren, und erwähnt die Industrieansiedelungen im Land. "Wir waren sieben Jahre lang immer unter den Top drei beim Wirtschaftswachstum in Deutschland."
Mittlerweile werde Brandenburg für seinen Erfolg von anderen Bundesländern auch beneidet, nicht alle würden sich darüber freuen. Damit es so weiter gehe, sei "Weltoffenheit, Toleranz und Demokratie" erforderlich. Er fügt hinzu: "Ausländerfeindlichkeit hat in diesem Land nichts verloren und das können wir uns in Brandenburg auch für die Zukunft nicht leisten." Ein guter Teil der Leute gibt ihm dafür laut Applaus. Andere bleiben unbewegt.
Woidkes Amtsbonus hat eine Kehrseite. Im Rennen um das Ministerpräsidentenamt ist er der Gejagte. Viel Platz, um hart gegen andere auszuteilen, bleibt da oft nicht.
So sagt er: "Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, die Zahl der Polizisten und Polizistinnen wieder steigen zu lassen." Anschließend betont er, es habe schonmal keine Einstellungen bei der Landespolizei gegeben, als die CDU das Innenministerium geführt hatte. Allerdings stellt die CDU auch aktuell den Innenminister; und zur Zeit der Kürzungen die SPD den Regierungschef. 2010 hatte der SPD-Genosse und damalige Innenminister Rainer Speer sogar das Ziel ausgegeben, die Polizeistärke von 8.900 auf 7.000 zu verringern. Damals war die Regierung von einer weiter sinkenden Bevölkerungszahl ausgegangen. Nun sagt Woidke: "Wir wollen auf 9.000 Polizistinnen und Polizisten kommen. Das sind 500 mehr als heute."
Kopf an Kopf auf Rang zwei
An vier oder fünf Tischen nimmt sich Woidke am Abend eingehend Zeit, um mit Arnsdorfern zu reden. Dann hat er genug gesessen. Schnurstracks geht er auf eine Gruppe jüngerer Leute um die 30 zu und verwickelt sie in ein Gespräch. Es geht um Fördermöglichkeiten für Dorfprojekte und die Wahlkampftour. Fotos werden geknipst. Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße fällt ihm die Rolle des Landesvaters leicht. Als sich Woidke nach einer Viertelstunde für Interviews verabschiedet, ist die Runde doppelt so groß.
Wenn am Wahltag die Brandenburgerinnen und Brandenburger so wählen, wie es aktuelle Umfragen einfangen, könnte die Koalition aus SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen weiterhin regieren. Allerdings mit deutlich knapperer Mehrheit. Die Frage für Dietmar Woidke in so einem Szenario wäre, ob er dann weiterhin Ministerpräsident sein kann. Momentan liegen SPD und CDU in Umfragen gemeinsam auf dem zweiten Platz hinter der AfD, der ein potenzieller Koalitionspartner fehlt.
Die Frage für die SPD wird am Ende sein: Reicht Woidkes Strahlkraft dafür?
Sendung: Antenne Brandenburg, 31.07.2024, 7:06 Uhr