Landtagswahl in Brandenburg - SPD und AfD ringen um Stimmenmehrheit
Brandenburg steht vor einer Zäsur. Seit 1990 sind die Sozialdemokraten die stärkste Kraft im Landtag. Doch nun könnte in der Mark zum ersten Mal die AfD die größte Fraktion in einem Länderparlament stellen. Von Claudia Stern
Das Bild mag abgenutzt scheinen: Und doch steht Brandenburg am Sonntag nicht weniger als eine Schicksalswahl bevor. Das Potsdamer Parlament kannte seit der Wende bislang nur eine stärkste Kraft: die SPD. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik könnte hier nun die AfD als stärkste Kraft in einen Landtag einziehen. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) warnte für den Fall zuletzt bereits mehrfach vor einem möglichen Imageschaden für das Land Brandenburg.
Außerdem müssen die Sozialdemokraten wie schon bei den Landtagswahlen in Bayern (-10,9 Prozent) und Hessen 2018 (-10,9) sowie der Bürgerschaftswahl in Bremen (-7,9) und der Europawahl im Mai (-11,4) mit hohen Verlusten rechnen.
AfD könnte stärkste Kraft werden
Bei der letzten Landtagswahl in Brandenburg vor fünf Jahren gewann die SPD noch deutlich mit 32 Prozent und schmiedete eine Regierungskoalition mit der Linken. Die CDU wurde mit 23 Prozent größte Oppositionsfraktion.
Die AfD zog 2014 aus dem Stand mit zwölf Prozent ins Parlament ein – mehr als in Sachsen und Thüringen. Ob die weiteren Stimmenzuwächse sie diesmal sogar zur größten Fraktion werden lassen, ist eine der spannenden Fragen des Wahlabends. Bei der Europawahl im Mai war die AfD mit 20 Prozent stärkste Kraft in Brandenburg, während die SPD auf magere 17 Prozent kam. Auch in den Umfragen vor der Wahl lagen die Rechtspopulisten durchgängig bei etwa 20 Prozent.
SPD im Endspurt wieder im Aufwind
Der jüngste BrandenburgTrend vom 22. August sah die SPD mit 22 Prozentpunkten jedoch wieder leicht im Aufwind – und gleichauf mit der AfD. Während CDU und Linke im Vergleich zu 2014 ebenfalls mit Verlusten rechnen müssen, ist auch in Brandenburg ein politischer Player erstarkt, den im Osten jahrelang niemand ernsthaft auf dem Schirm hatte. Bündnis 90/Die Grünen, die 2009 erstmals seit 1990 wieder in den Potsdamer Landtag einzogen und vor fünf Jahren auf 6,2 Prozent kamen, werden ihr Ergebnis im Braunkohleland Brandenburg wohl verdoppeln können. Auch die FDP und BVB/Freie Wähler machen sich Hoffnungen auf den (Wieder-)Einzug in den Landtag.
Antreten werden zudem die Piraten, die Ökologisch-Demokratische Partei, die Tierschutzpartei und die vegane V3-Partei. Den Prognosen zufolge werden sie zusammen aber nur auf rund zwei Prozent der Stimmen kommen.
Wahlkampfthemen Klima und Braunkohle
Die massiven Stimmenzuwächse bei AfD und Grünen dürften in erster Linie mit den Wahlkampfthemen Klimawandel und Braunkohle-Ausstieg zu tun haben. Denn einerseits profitieren auch die Brandenburger Grünen vor allem im Berliner Speckgürtel vom allgemeinen Bundestrend und der Klimadebatte; andererseits punktet in den strukturschwachen Berlin-fernen Gebieten die AfD mit ihrem Pro-Braunkohle-Kurs.
Denn der Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohleverstromung in der Lausitz bedeutet auch den Verlust von tausenden Arbeitsplätzen in der Region. Das verunsichert die Menschen - trotz Milliardenhilfen vom Bund.
Ein weiteres Problem ist die mangelnde Infrastruktur in dem dünn besiedelten Flächenland: Schleppender Breitbandausbau, schlechte Mobilfunkversorgung und zunehmend verstopfte Pendlerwege in die Hauptstadt machen vielen zu schaffen.
Schwierige Koalitionsbildung
Die Regierungsbildung in Potsdam wird deshalb in jedem Fall spannend - und keine leichte Aufgabe. Denn für die traditionelle Zweier-Koalition wird es aller Voraussicht nach in keiner einzigen Konstellation reichen. Für eine Dreier-Koalition wären rein rechnerisch viele Varianten denkbar.
Ein Bündnis mit der womöglich größten Fraktion AfD haben alle Parteien kategorisch abgelehnt, auch der CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben distanzierte sich zuletzt von Gesprächsangeboten: "Eines steht vor der Wahl fest: Die CDU wird mit der AfD keine Regierungsarbeit machen." Eine Minderheitsregierung der Rechtspopulisten ist ebenfalls nicht denkbar, denn dafür müsste sich der Landtag mehrheitlich für einen AfD-Ministerpräsidenten Andreas Kalbitz aussprechen – dem zuletzt mehrfach Verbindungen in die rechtsextreme Szene vorgeworfen und nachgewiesen wurden.
Die Zeichen stehen auf Rot-Rot-Grün
Dass SPD und Linke die gemeinsame Regierungsarbeit gerne fortsetzen würden, haben sie in den vergangenen Wochen und Monaten oft bekundet. Möglich wäre das beispielsweise zusammen mit den Grünen - auch inhaltlich die naheliegendste Variante.
Sollte eine Koalition nicht zustande kommen, könnte sich Rot-Rot einen anderen Partner suchen. Als unwahrscheinliche Variante wäre ein Bündnis mit der CDU denkbar. Doch für die Brandenburger CDU ist die SPD als Koalitionspartner keine Wunschoption. Die Linkspartei wiederum fremdelt mit den Christdemokraten.
Rechnerisch ebenfalls möglich wäre eine sogenannte "Kenia-Koalition" aus SPD, CDU und Grünen oder sogar eine Regierung ganz ohne die SPD – aus CDU, Grünen und Linken. Doch auch diese beiden Optionen dürften wegen inhaltlicher Differenzen deutlich komplizierter sein als Rot-Rot-Grün.
Kleine Parteien könnten Zünglein an der Waage sein
Mit der FPD als dritter im Bunde reicht es nach derzeitigem Stand in keiner Konstellation. Sollten die BVB/Freien Wähler entgegen der aktuellen Prognosen in den Landtag einziehen, dürfte sogar eine Vierer-Koalition zur Mehrheitsbildung nötig werden – ebenfalls ein Novum in Deutschland. Die kleinen Parteien könnten dann zum Zünglein an der Waage werden.
Es wird also Kompromissbereitschaft gefragt sein bei der Regierungsbildung. Und der nötige Wille, denn Fakt ist: Viel Zeit für langwierige Koalitionsverhandlungen haben die Parteien nicht. Nach seiner Konstituierung Ende September muss der neue Landtag innerhalb von drei Monaten einen Ministerpräsidenten wählen. Schafft er das nicht, gibt es Neuwahlen.