"Unbekannt verzogen" - Bürgermeister von Hoppegarten meldet SPD-Konkurrenten ab

Fr 05.07.19 | 11:52 Uhr | Von Sarah Mühlberger
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Picknickwiese an der Galopprennbahn Hoppegarten. (Quelle: Frank Sorge)
Bild: imago/Frank Sorge

Weil er eine "Scheinadresse" angegeben habe, wird ein SPD-Politiker in Hoppegarten kurz vor der Anmeldefrist für die Bürgermeisterwahl aus dem Melderegister gestrichen - vom Bürgermeister höchstpersönlich. Sein Konkurrent vermutet Kalkül. Von Sarah Mühlberger

Wenn am 1. September in Hoppegarten (Märkisch-Oderland) ein neuer Bürgermeister gewählt wird, wird Volkmar Seidel nicht auf dem Wahlzettel stehen. Dabei wäre der 60-jährige SPD-Fraktionschef gern zur Wahl angetreten und hatte sich auch durchaus gute Chancen ausgerechnet: "Ich bin bei uns in der Gemeinde weithin bekannt", sagt Seidel.

Doch als er sich Mitte Juni die Wählbarkeitsbescheinigung abholen wollte, eigentlich reine Formsache, lehnte die Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamts ab - "auf Anweisung des Bürgermeisters Herrn Knobbe".

Karsten Knobbe, Politiker der Linken und seit acht Jahren Bürgermeister von Hoppegarten, einer 18.000-Einwohner-Gemeinde östlich von Berlin, warf seinem Konkurrenten eine "Scheinadresse" vor und ließ ihn aus dem Melderegister streichen: "Unbekannt verzogen" sei Seidel. In einem Schreiben des Bürgermeisters an Seidel, das rbb|24 vorliegt, heißt es: "Die Zählerstände des Jahres 2018 weisen darauf hin, dass eine Wohnnutzung durch Sie nicht stattfindet."

Um als Bürgermeister zu kandidieren, reicht es, irgendwo in Deutschland gemeldet zu sein. Eine Wohnung vor Ort ist keine Voraussetzung, wohl aber eine Meldebescheinigung, die nur vom Wohnort ausgestellt werden kann. Da Hoppegarten sich nicht zuständig erklärte, konnte sich Volkmar Seidel nicht fristgerecht zur Bürgermeisterwahl anmelden.

Der Bürgermeister von Hoppegarten Karsten Knobbe. (Quelle: dpa/Bernd Settnik)
Der Bürgermeister von Hoppegarten Karsten Knobbe. | Bild: dpa/Bernd Settnik

Der Bürgermeister hält sein Vorgehen für legitim

Die Verbrauchsdaten, die belegen sollen, dass der SPD-Kandidat gar nicht in Hoppegarten wohnt, hatte Knobbe sich von Seidels Hausverwaltung nennen lassen. Dieses Vorgehen hält der Bürgermeister für legitim: "Das ist unsere Wohnung", sagt er zu rbb|24 - die Wohnung gehört der Gemeinde -, "wir haben darauf Zugriff." Gegenüber der "Märkischen Oderzeitung" hatte der Bürgermeister zudem von einer Notöffnung der Wohnung wegen Legionellen gesprochen, bei der im Herbst 2018 festgestellt worden sein soll, dass in der Wohnung kein Wasserhahn angeschlossen war. Seidel selbst erfuhr erst durch die Zeitung von der vermeintlichen Notöffnung seiner Wohnung.

Inzwischen rudert der Bürgermeister zurück: Er habe das mit der Notöffnung falsch verstanden. Es habe jedoch einen Routinetermin mit einem Handwerker gegeben, dieser habe den fehlenden Wasserhahn der Hausverwaltung mitgeteilt, die wiederum den Bürgermeister informierte.

Knobbe bleibt auch im Gespräch mit rbb|24 bei seiner Darstellung, dass Seidel nicht in der angemeldeten Wohnung lebe: "Wenn jemand in der Winterperiode keinen Strom verbraucht, kann mir niemand erzählen, dass er in der Wohnung wohnt."

Volkmar Seidel (Quelle: privat)
Volkmar Seidel | Bild: privat

Beide Männer kennen sich seit vielen Jahren

"Zutreffend ist, dass ich wenig zu Hause bin", sagt Volkmar Seidel zu rbb|24. "Ich bin die meiste Zeit in meinem 20 Meter entfernten Büro und eigentlich nur zum Schlafen in der Wohnung." Er koche auch nicht, weswegen es in seiner Küche tatsächlich keine Spüle gebe. Im Bad gebe es ganz reguläre Wasseranschlüsse, die er nutze. Den Strom rechne er im Übrigen über einen eigenen Anbieter ab, diese Werte gingen nicht an die Hausverwaltung.

Dass er sich überhaupt derart rechtfertigen muss, findet Seidel eigentlich unangemessen. "Es kann doch nicht sein, dass ein Bürgermeister willkürlich Menschen abmeldet und damit auch noch durchkommt", sagt er.

Die beiden Männer kennen sich seit vielen Jahren. Volkmar Seidel trat bereits 2011 bei der Bürgermeisterwahl in Hoppegarten an, damals noch als parteiloser Kandidat, später trat er der SPD bei. Seit fünf Jahren sitzt Seidel in der Gemeindevertretung, auch vorher saß er als Geschäftsführer des SC Dynamo Hoppegarten in vielen Sitzungen. "Ja, ich bin unbequem", sagt er über sich selbst. "Aber darf man das denn nicht?" Seidel hält das Vorgehen des Bürgermeisters für rein politisch motiviert. 

"Wir haben nur die geltenden Gesetze umgesetzt"

Der Bürgermeister weist das im Gespräch mit rbb|24 zurück: "Herr Seidel hat doch den Rechtsbruch begangen, nicht wir. Wir haben nur die geltenden Gesetze umgesetzt." Er als Bürgermeister sei rechtlich verpflichtet zu handeln, wenn ihm Tatsachen wie die vermeintliche Scheinadresse Seidels bekannt werden. "Das hat nichts mit Wahlen zu tun."

Warum mischt sich ein Bürgermeister überhaupt höchstpersönlich in Meldeangelegenheiten ein? "Der Fall ist mir zugetragen worden", sagt Karsten Knobbe. "Ich als Chef der Behörde musste dann handeln."

Auf die Frage, warum er seinen Konkurrenten so kurz vor der Wahl aus dem Melderegister hat streichen lassen, so dass dieser kaum Zeit hatte, rechtzeitig zu reagieren, entgegnet Knobbe, dass er von den "Indizien" erst kurzfristig erfahren habe.

Auch seinen Sitz in der Gemeindevertretung verlor Seidel

Volkmar Seidel hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der gemeldeten Wohnung seinen Hauptwohnsitz zu haben und forderte eine Korrektur des Melderegisters. Ohne Erfolg. Das Einwohnermeldeamt lehnte die Wiederanmeldung ab. Erst als ihm ein Freund einen Mietvertrag für eine andere Wohnung in Hoppegarten ausstellte, wurde Seidel wieder in das Melderegister aufgenommen - anderthalb Stunden, nachdem die Frist zur Einreichung der Kandidatur als Bürgermeister endete. Für die SPD geht nun eine parteilose Kandidatin ins Rennen.

Für Volkmar Seidel hatten die sieben Tage, in denen er nicht gemeldet war, noch weitere Folgen: Er verlor seinen Sitz in der Gemeindevertretung Hoppegarten, in die er erst im Mai wieder gewählt worden war, "durch den Wegfall einer Voraussetzung seiner jederzeitigen Wählbarkeit", wie es im Beschluss des Wahlausschusses heißt.

Seidel will dagegen vorgehen, hat jedoch bereits jetzt Anwaltskosten in Höhe von mehreren Tausend Euro. "Viele in meinem Umfeld raten mir, den Kampf aufzugeben." Aber die Willkür einfach so hinnehmen will er auch nicht.

Seidel hat den Bürgermeister angezeigt, unter anderem wegen übler Nachrede und Verleumdung, wegen des Ausspähens von Daten und wegen Amtsmissbrauchs.

Beitrag von Sarah Mühlberger

14 Kommentare

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  1. 14.

    Komisch, dass keiner hinterfragt, ob die Vorwürfe des Bürgermeisters nicht vielleicht zutreffen und seine Handlungen somit (wenn auch indirekt) gerechtfertigt sind. Die Wohnung, die Herr Seidel "besetzt" und - wie ich aus zuverlässiger Quelle von einem Anwohner in der dortigen Adresse weiß - nicht nutzt, könnte an eine Familie abgegeben werden, die diesen Wohnraum tatsächlich dringend benötigt und auch entsprechend nutzt. Außerdem finde ich es, angesichts der Wohnungsnot (und damit meine ich den Mangel bezahlbarem Wohnraum für Geringverdiener), unverantwortlich eine günstige Wohnung zu mieten, dann aber nicht zu nutzen. Das weist doch darauf hin, dass auch Herr Seidel nicht ehrlich ist. Mich wundert allerdings auch, warum der Mietvertrag unter diesen Umständen nicht seitens der Hausevrwaltung gekündigt wird. Bei der Gemeindepolitik möcht ich mal Mäuschen spielen...

  2. 12.

    Tatsache ist, dass man einen Wohnsitz in DEUTSCHLAND braucht, um sich hier zum Bürgermeister wählen lassen zu können. Möchte man im Ortsparlament (Gemeindevertretung) mitarbeiten, muss man im Ort wohnen (irgendwie logisch).
    Herr Seidel konnte nur wenige Tage nach der Entfernung aus dem Melderegister einen neuen Wohnsitz vorweisen. Hätte er sich dann an Fristen für die Abgabe der Kandidatur gehalten, hätte er sich sehr wohl zur Wahl als Bürgermeister aufstellen lassen können. Hat er aber nicht.
    Ich finde es sehr bedauerlich, dass der RBB sich vor den Karren von Herr Seidel hat spannen lassen. Guter Journalismus sieht für mich anders aus.

  3. 11.

    >" Gegenüber der "Märkischen Oderzeitung" hatte der Bürgermeister zudem von einer Notöffnung der Wohnung wegen Legionellen gesprochen, bei der im Herbst 2018 festgestellt worden sein soll, dass in der Wohnung kein Wasserhahn angeschlossen war. Seidel selbst erfuhr erst durch die Zeitung von der vermeintlichen Notöffnung seiner Wohnung.
    Inzwischen rudert der Bürgermeister zurück: Er habe das mit der Notöffnung falsch verstanden. Es habe jedoch einen Routinetermin mit einem Handwerker gegeben, dieser habe den fehlenden Wasserhahn der Hausverwaltung mitgeteilt, die wiederum den Bürgermeister informierte.
    Auf die Frage, warum er seinen Konkurrenten so kurz vor der Wahl aus dem Melderegister hat streichen lassen, so dass dieser kaum Zeit hatte, rechtzeitig zu reagieren, entgegnet Knobbe, dass er von den "Indizien" erst kurzfristig erfahren habe.<

    SO SO , der Bürgermeister wurde im Herbst vom Handwerker informiert, hat aber von den Indizien erst kurzfristig erfahren...GANZ SCHÖN LINK(S

  4. 10.

    "Zutreffend ist, dass ich wenig zu Hause bin", sagt Volkmar Seidel zu rbb|24. "Ich bin die meiste Zeit in meinem 20 Meter entfernten Büro und eigentlich nur zum Schlafen in der Wohnung." Er koche auch nicht, weswegen es in seiner Küche tatsächlich keine Spüle gebe."

    Mag jeder leben wie er mag, aber das klingt für mich sehr traurig. Ein Leben im Büro. Mit 60 Jahren.

  5. 9.

    Die haben sich nicht wirklich gewandelt. Der Geist scheint noch derselbe, wie solche Methoden zeigen. Im Übrigen: Es sind keine Nachfolger, es ist immer noch dieselbe Partei, die sich nur zwei Mal umbenannt hat.

  6. 8.

    Dann hoffe ich mal auf die Bürger. Am 01.09. können sie mit ihrer Stimme so ein Verhalten werten.

  7. 7.

    Wichtig ist, wir bekämpfen die Gefahr von rechts. Immer nach rechts schauen. Und immerhin: Früher hätten die Vorgängerpartei der "Linken" und deren "Schild und Schwert" noch ganz andere Methoden drauf gehabt. Sie haben sich also gewandelt. Und immer nach rechts schauen, bitte.

  8. 6.

    Jetzt würde mich nur noch interessieren, in welchem Verein der Bürgermeister diese Methoden gelernt hat ? Das ist ja wie vor 89 ;)

  9. 5.

    In ganz Berlin und in Brandenburg sollte man die SPD zum Teufel jagen.

  10. 4.

    .. traurig zu lesen was für Methoden eine Gemeinde verwendet, jeder sollte eine Chance erhalten zu kandidieren egal ob parteilos oder als Parteiangehöriger. Jemanden als Bürger oder nicht Bürger so zu behandeln, finde ich sehr geschmacklos.Sollen sich mal fragen ob sie selber so behandelt werden möchten.

  11. 3.

    Zersetzung fast wie aus dem Lehrbuch. Das so etwas heute noch möglich ist...

  12. 2.

    Mir erscheint hier,dass der Datenschutz, auch ohne Verdacht auf eine strafbare Handlung, willkürlich ausgehebelt wurde. Die Motivation dahinter ist eigentlich gut sichtbar und gerade in diesem verantwortungsvollen Umfeld, nicht gerade vertrauenserweckend.

  13. 1.

    ...und ich dachte immer, Mahlow sei schlimm ;)))))

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