"Unbekannt verzogen" - Bürgermeister von Hoppegarten meldet SPD-Konkurrenten ab

Weil er eine "Scheinadresse" angegeben habe, wird ein SPD-Politiker in Hoppegarten kurz vor der Anmeldefrist für die Bürgermeisterwahl aus dem Melderegister gestrichen - vom Bürgermeister höchstpersönlich. Sein Konkurrent vermutet Kalkül. Von Sarah Mühlberger
Wenn am 1. September in Hoppegarten (Märkisch-Oderland) ein neuer Bürgermeister gewählt wird, wird Volkmar Seidel nicht auf dem Wahlzettel stehen. Dabei wäre der 60-jährige SPD-Fraktionschef gern zur Wahl angetreten und hatte sich auch durchaus gute Chancen ausgerechnet: "Ich bin bei uns in der Gemeinde weithin bekannt", sagt Seidel.
Doch als er sich Mitte Juni die Wählbarkeitsbescheinigung abholen wollte, eigentlich reine Formsache, lehnte die Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamts ab - "auf Anweisung des Bürgermeisters Herrn Knobbe".
Karsten Knobbe, Politiker der Linken und seit acht Jahren Bürgermeister von Hoppegarten, einer 18.000-Einwohner-Gemeinde östlich von Berlin, warf seinem Konkurrenten eine "Scheinadresse" vor und ließ ihn aus dem Melderegister streichen: "Unbekannt verzogen" sei Seidel. In einem Schreiben des Bürgermeisters an Seidel, das rbb|24 vorliegt, heißt es: "Die Zählerstände des Jahres 2018 weisen darauf hin, dass eine Wohnnutzung durch Sie nicht stattfindet."
Um als Bürgermeister zu kandidieren, reicht es, irgendwo in Deutschland gemeldet zu sein. Eine Wohnung vor Ort ist keine Voraussetzung, wohl aber eine Meldebescheinigung, die nur vom Wohnort ausgestellt werden kann. Da Hoppegarten sich nicht zuständig erklärte, konnte sich Volkmar Seidel nicht fristgerecht zur Bürgermeisterwahl anmelden.

Der Bürgermeister hält sein Vorgehen für legitim
Die Verbrauchsdaten, die belegen sollen, dass der SPD-Kandidat gar nicht in Hoppegarten wohnt, hatte Knobbe sich von Seidels Hausverwaltung nennen lassen. Dieses Vorgehen hält der Bürgermeister für legitim: "Das ist unsere Wohnung", sagt er zu rbb|24 - die Wohnung gehört der Gemeinde -, "wir haben darauf Zugriff." Gegenüber der "Märkischen Oderzeitung" hatte der Bürgermeister zudem von einer Notöffnung der Wohnung wegen Legionellen gesprochen, bei der im Herbst 2018 festgestellt worden sein soll, dass in der Wohnung kein Wasserhahn angeschlossen war. Seidel selbst erfuhr erst durch die Zeitung von der vermeintlichen Notöffnung seiner Wohnung.
Inzwischen rudert der Bürgermeister zurück: Er habe das mit der Notöffnung falsch verstanden. Es habe jedoch einen Routinetermin mit einem Handwerker gegeben, dieser habe den fehlenden Wasserhahn der Hausverwaltung mitgeteilt, die wiederum den Bürgermeister informierte.
Knobbe bleibt auch im Gespräch mit rbb|24 bei seiner Darstellung, dass Seidel nicht in der angemeldeten Wohnung lebe: "Wenn jemand in der Winterperiode keinen Strom verbraucht, kann mir niemand erzählen, dass er in der Wohnung wohnt."

Beide Männer kennen sich seit vielen Jahren
"Zutreffend ist, dass ich wenig zu Hause bin", sagt Volkmar Seidel zu rbb|24. "Ich bin die meiste Zeit in meinem 20 Meter entfernten Büro und eigentlich nur zum Schlafen in der Wohnung." Er koche auch nicht, weswegen es in seiner Küche tatsächlich keine Spüle gebe. Im Bad gebe es ganz reguläre Wasseranschlüsse, die er nutze. Den Strom rechne er im Übrigen über einen eigenen Anbieter ab, diese Werte gingen nicht an die Hausverwaltung.
Dass er sich überhaupt derart rechtfertigen muss, findet Seidel eigentlich unangemessen. "Es kann doch nicht sein, dass ein Bürgermeister willkürlich Menschen abmeldet und damit auch noch durchkommt", sagt er.
Die beiden Männer kennen sich seit vielen Jahren. Volkmar Seidel trat bereits 2011 bei der Bürgermeisterwahl in Hoppegarten an, damals noch als parteiloser Kandidat, später trat er der SPD bei. Seit fünf Jahren sitzt Seidel in der Gemeindevertretung, auch vorher saß er als Geschäftsführer des SC Dynamo Hoppegarten in vielen Sitzungen. "Ja, ich bin unbequem", sagt er über sich selbst. "Aber darf man das denn nicht?" Seidel hält das Vorgehen des Bürgermeisters für rein politisch motiviert.
"Wir haben nur die geltenden Gesetze umgesetzt"
Der Bürgermeister weist das im Gespräch mit rbb|24 zurück: "Herr Seidel hat doch den Rechtsbruch begangen, nicht wir. Wir haben nur die geltenden Gesetze umgesetzt." Er als Bürgermeister sei rechtlich verpflichtet zu handeln, wenn ihm Tatsachen wie die vermeintliche Scheinadresse Seidels bekannt werden. "Das hat nichts mit Wahlen zu tun."
Warum mischt sich ein Bürgermeister überhaupt höchstpersönlich in Meldeangelegenheiten ein? "Der Fall ist mir zugetragen worden", sagt Karsten Knobbe. "Ich als Chef der Behörde musste dann handeln."
Auf die Frage, warum er seinen Konkurrenten so kurz vor der Wahl aus dem Melderegister hat streichen lassen, so dass dieser kaum Zeit hatte, rechtzeitig zu reagieren, entgegnet Knobbe, dass er von den "Indizien" erst kurzfristig erfahren habe.
Auch seinen Sitz in der Gemeindevertretung verlor Seidel
Volkmar Seidel hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der gemeldeten Wohnung seinen Hauptwohnsitz zu haben und forderte eine Korrektur des Melderegisters. Ohne Erfolg. Das Einwohnermeldeamt lehnte die Wiederanmeldung ab. Erst als ihm ein Freund einen Mietvertrag für eine andere Wohnung in Hoppegarten ausstellte, wurde Seidel wieder in das Melderegister aufgenommen - anderthalb Stunden, nachdem die Frist zur Einreichung der Kandidatur als Bürgermeister endete. Für die SPD geht nun eine parteilose Kandidatin ins Rennen.
Für Volkmar Seidel hatten die sieben Tage, in denen er nicht gemeldet war, noch weitere Folgen: Er verlor seinen Sitz in der Gemeindevertretung Hoppegarten, in die er erst im Mai wieder gewählt worden war, "durch den Wegfall einer Voraussetzung seiner jederzeitigen Wählbarkeit", wie es im Beschluss des Wahlausschusses heißt.
Seidel will dagegen vorgehen, hat jedoch bereits jetzt Anwaltskosten in Höhe von mehreren Tausend Euro. "Viele in meinem Umfeld raten mir, den Kampf aufzugeben." Aber die Willkür einfach so hinnehmen will er auch nicht.
Seidel hat den Bürgermeister angezeigt, unter anderem wegen übler Nachrede und Verleumdung, wegen des Ausspähens von Daten und wegen Amtsmissbrauchs.