Stichprobe Brandenburg | Finsterwalde - Die Ersten kommen zurück

Mi 14.08.19 | 17:21 Uhr | Von Fanny Steyer
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Finsterwalde (Quelle: rbb|24/Fanny Steyer)
Bild: rbb|24/Fanny Steyer

In Finsterwalde im Landkreis Elbe-Elster stehen viele Läden leer, Jugendliche langweilen sich, die Zuganbindung ist schlecht. Viele Probleme in der Stadt hängen mit Landflucht zusammen. Und doch gibt es Rückkehrer. Von Fanny Steyer

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Finsterwalde, Landkreis Elbe-Elster, an einem sommerlichen Mittwochmorgen. In einem hellen Raum hängen rot und gelb angemalte Holzkästen an den Wänden. In den Kästen stehen und liegen weiße Tonteller, Tassen und rote Ohrringe, alles Produkte von regionalen Firmen. Davor macht sich eine große, braunhaarige Frau, Stephanie Auras-Lehmann, Notizen.  Die 37-Jährige ist die Gründerin der Beratungsstelle "Comeback Elbe-Elster" [externer Link].

Andrea Muda kommt mit ihrem Hund in den Laden. Sie stammt aus der Region, hat 18 Jahre lang in der Schweiz gelebt und ist jetzt seit zwei Wochen zurück in Finsterwalde. "Die Stadt inspiriert mich", sagt sie. Eine Wohnung hat sie schon gefunden, einen Job aber noch nicht.

Stephanie Auras-Lehmann (Quelle: rbb|24/Fanny Steyer)
Stephanie Auras-Lehmann | Bild: rbb|24/Fanny Steyer

Hilfe für Rückkehrer

Stephanie Auras-Lehmann weiß, wie es ist zurückzukehren. Als sie 2009 der Liebe wegen aus New York zurück nach Finsterwalde kam, fehlte ihr Anschluss in der Stadt. In Finsterwalde geboren, gründete die gelernte Reiseverkehrskauffrau im Jahre 2012 die "Willkommensagentur", wie sie sie nennt. Ihr Ziel: den Menschen helfen, die in die alte Heimat zurückkehren wollen und einen Job, einen Kitaplatz oder einfach Anschluss suchen.

"Am Anfang hatten wir eine Anfrage pro Quartal, jetzt bekommen wir zehn bis zwölf Anfragen pro Monat", sagt sie. Ursprünglich war ihre Agentur eine private Initiative, mittlerweile wird sie von einem Verein getragen und über die Staatskanzlei des Landes Brandenburg finanziert.

Dirk mit Smiley-Jackett (Quelle: rbb|24/Fanny Steyer)
Dirk mit Smiley-Jackett | Bild: rbb|24/Fanny Steyer

Der Wegzug könnte dramatisch werden

Seit Gründung ihrer Agentur hat Auras-Lehmann 500 Beratungen durchgeführt. Ein Drittel der Menschen, die von der Agentur beraten wurden, seien in den Landkreis Elbe-Elster zurückgekehrt, sagt sie. Allerdings gibt es keine Statistik darüber, wie viele Menschen insgesamt als Rückkehrer nach Brandenburg kommen. Ende 2018 kündigte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke an, 2019 mehr Geld in die Hand nehmen zu wollen, um weggezogene Landeskinder wieder zurückzuholen. Die Gesamtfördersumme für entsprechende Projekte wollte er von 200.000 auf 230.000 Euro im Jahr anheben.

Zwischen 2011 und 2017 sind die Einwohnerzahlen in Finsterwalde um 2,8 Prozent gesunken. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahre 2017 [externer Link] prognostiziert, dass Finsterwalde bis 2030 fast 20 Prozent seiner Bevölkerung verlieren wird. Hingegen sollen die Einwohnerzahlen im Land Brandenburg insgesamt nur um 3,5 Prozent schrumpfen.

"Hier gibt es keine Orte für Jugendliche"

In Stephanie Auras-Lehmanns Agentur sitzen jetzt zwei Männer. Sie planen eine Tandem-Tour, um Ost- und Westdeutschland zu verbinden. Beide sind hier geboren. Einer von ihnen, Dirk Herrmann, ist nie aus Finsterwalde weggezogen. Sein Freund Jens Scheibel hingegen war 22 Jahre weg. Er hatte in Finsterwalde eine Lehre angefangen. "Dann ist die Firma pleite gegangen, und meine Eltern haben mich überzeugt, in den Westen zu gehen", sagt Jens Scheibel. Auf seinen Händen sind viele Tattoos, eins davon trägt die Namen seiner zwei Töchter. "Ich hatte Frau und Kinder, jetzt bin ich geschieden und deshalb für einen Neuanfang wieder hierhingezogen".

Sein Freund Dirk lacht. "Du warst ja für mich der Verräter! Du bist weggezogen. Das machen viele junge Leute hier. Man muss hier aber durchhalten", sagt Dirk und lacht. Sein Anzug ist komplett mit schwarz-gelben Smileys bedruckt. "Hier in Finsterwalde gibt es keine Orte für Jugendliche. Die gammeln nur rum! In der DDR hatten wir Jugendclubs und Sport-AGs, ich habe damals dort Zaubertricks gelernt und Fußball gespielt", sagt er.

Geschlossener Laden in Finsterwalde (Quelle: rbb|24/Fanny Steyer)
Geschlossener Laden in Finsterwalde | Bild: rbb|24/Fanny Steyer

Guter Zusammenhalt, wenig Fachärzte

Auf dem Marktplatz ist es mittags laut. Autos fahren vorbei, Familien und Rentner sitzen draußen und essen Eis. Nachmittags wird es wieder ruhig. Eine Gruppe Jugendlicher unterhält sich vor dem Tourismusbüro. Eine von ihnen ist Franziska Sonntag. "Wir wollten eigentlich ins Kino, aber der Film, den wir sehen wollten, läuft heute nicht. Es gibt heute nichts zu tun hier", sagt sie. "Die nächste Disco ist 30 Minuten von hier entfernt". Franziska Sonntag ist 17 Jahre alt. Nach dem Abitur will sie wegziehen. "Ich war gerade ein Jahr lang in Texas, dort sind die Leute viel freundlicher als hier." In Finsterwalde sind 14,6 Prozent der Einwohner unter 18.

In der Langen Straße, nicht weit vom Marktplatz, räumt Restaurantbesitzerin Ricarda Barich Stühle und Tische nach dem Mittagessen wieder rein. Dann raucht sie auf einem Stuhl in der Sonne. "Ich mag den Zusammenhalt in dieser Straße, alle helfen sich gegenseitig", sagt sie. Sie grüßt immer wieder Passanten, sie kennt fast alle hier. "Was mich nervt, ist die Zuganbindung nach Dresden, man braucht über zwei Stunden. Mit dem Auto sind es nur 45 Minuten." sagt Barich. Was sie noch beschäftigt? "Der schlechte Internetanschluss. Ich wohne etwas außerhalb, dort ist er katastrophal. Und dass wir hier nicht genug Fachärzte haben."

Geschlossener Laden in Finsterwalde (Quelle: rbb|24/Fanny Steyer)
Geschlossener Laden in Finsterwalde | Bild: rbb|24/Fanny Steyer

Die Wahl ist noch kein großes Thema

In der Stadt ist die Landtagswahl noch kein großes Thema. Es hängen keine Wahlplakate. Die 35-jährige Pflegerin Erdmute Rex wird - wie immer - die CDU wählen. "Ich interessiere mich aber nicht für Politik. Ich muss es sowieso nehmen, wie es kommt", sagt sie. Der 46-jährige Passant Christian, der nur seinen Vornamen nennen will, wird nicht wählen gehen. "Ich war noch nie wählen, das interessiert mich nicht." Der Mann im Smiley-Anzug, Dirk Ehrmann, hingegen wird wählen gehen. "Ich wähle immer die kleinen Parteien, die nicht an die Macht kommen", sagt er. Er verfolgt seit dem Jahr 2000 keine Nachrichten, könnte sich aber vorstellen, Bürgermeister zu werden. Die Restaurantbesitzerin Ricarda Barich sagt: "Ich bin parteilos, ich wähle immer nur Leute, die ich mag." Auch sie könnte sich vorstellen, Bürgermeisterin zu werden.

Für Edeltraut Rex, die Mutter von Erdmute Rex, gibt es in Finsterwalde "keinen Grund zu meckern". "Was wir haben, haben wir. Was wir nicht haben, haben wir nicht", sagt die 76-Jährige und tunkt ihre Bockwurst in Senf. Ihr Sohn ist nach Finsterwalde zurückgekommen. Wegen der Arbeit - und wegen Mutti.

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Fanny Steyer

6 Kommentare

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  1. 6.

    Naja,
    erst wurde uns die Kreisverwaltung weggenommen (verlegt in ein unbekanntes Dorf jwd. am Rande um Frau Hildebrand zu huldigen), dort wurde dann auch ein neues Krankenhaus auf die grüne Wiese gesetzt während man in Finsterwalde später die Geburtenstation schloss...
    Das Finanzamt ging nach Calau, um auch diesem Dorf was Gutes zu tun...
    Zuganbindung ist mäßig, da die Bahnkreuze nun mal in Doberlug-Kirchhain und Falkenberg sind. Der ganze Landkreis Elbe-Elster ist eine Fehlkonstruktion. Den Namen kann sich doch nur ein Wessi der vorher Angelkarten verteilt hat und dann nach Potsdam befördert wurde (sorry für die Polemik aber so war es doch) ausgedacht haben. Der Landkreis hätte Niederlausitz heißen sollen und die Kreisstadt hätte Finsterwalde heißen sollen. Hat auch was mit Identität zu tun.
    Wenn man all das berücksichtigt läuft es eigentlich noch ganz gut. Der langjährige Bürgermeister Wohmann hat wohl in seiner Zeit darauf geachtet, dass die Verschuldung nicht wie in vielen anderen Orten unkontrolliert wuchs, und der jetzige Bürgermeister konnte dadurch in Aufschwung Zeiten "aus dem Vollen" schöpfen. So sehe ich das jedenfalls.
    Nächster Meilenstein wird die neue Stadthalle. Entweder genau das richtige um den prognostizierten Bevölkerungsrückgang zu bremsen, oder eine grandiose Fehlinvestition. Wir werden es erst im Nachhinein wissen.
    Im Betrag vergessen wurde das alle 2 Jahre stattfindende Sängerfest. Die Folklore ist dabei nicht so entscheidend, aber der Zusammenhalt wird gefördert und für viele Ausgewanderte ist das immer die Gelegenheit für einen Besuch in der alten Heimat.
    Ich lebe jedenfalls gern hier. Ich brauche keinen Großstadttrubel und schon gar nicht Berlin Neukölln oder HH Wilhelmsburg Zustände.
    Erwähnenswert sind die aktiven Sportvereine, die Schwimmhalle, das Freibad (danke Stadt(Werke)) und die Bürgerheide.

  2. 5.

    Eine sehr guter Beitrag. Bis auf die einseitige Headline.

  3. 4.

    Zitat "Horst Drescher immer längere Schlangen vor den immer leereren Läden"
    Sie übertreiben maßlos. Welche immer leereren Läden?

  4. 3.

    Ein einseitiger und tendenziöser Beitrag, der die Entwicklung der letzten Jahr verfälscht wiedergibt. Ich möchte nur einen Fakt dazu nennen: seit fünf Jahren steigt die Geburtenrate in Finsterwalde kontinuierlich. Gibt es einen besseren Beweis für Zufriedenheit und Lebensqualität?

  5. 2.

    Die sozialen Errungenschaften der DDR waren auf Pump finanziert. Durch Erichs 'Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik' hat sich die Verschuldung vervielfacht, die wiederum durch steigende Exporte (in das nichtsozialistische Ausland) refinanziert werden musste, mit dem bekannten Ergebniss: immer längere Schlangen vor den immer leereren Läden. Der Umschwenk weg von der Industriepolitik hin zur Konsumgüterproduktion tat dann sein übriges, denn damit fehlten die Investitionsmittel und die DDR-Wirtschaft fiel immer weiter gegenüber dem Westen zurück.

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  6. 1.

    Über die sozialen Errungenschaften der DDR wird Zuwenig geredet.
    Hier im Beitrag klingt es an!

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