Stichprobe Brandenburg | Hohenwalde - Per Anhalter zur Bundeskanzlerin

Fr 16.08.19 | 14:15 Uhr | Von Nils Hagemann
Ich sitze am Rand einer Landstraße und warte (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Ich komme zur Datsche der Bundeskanzlerin - und die Bundespolizei kommt zu mir. Eine Reportage über eine etwas andere Reise in die Uckermark. Denn ich trampe. Und lerne so ganz nebenbei die Menschen in der Uckermark kennen. Von Nils Hagemann

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Es ist ein kühler Sommertag, als ich an der L23 in Eberswalde stehe und auf ein Auto hoffe, das mich zu Angela Merkel mitnehmen kann. Vor mir brettern Autos über die vielbefahrene Landstraße. In meiner Hand halte ich ein Schild mit der Aufschrift: "Hohenwalde – zu Merkel!".

Doch von vorn: Eigentlich will ich eine Reportage über Menschen in der Uckermark schreiben. Dafür geht es nach Hohenwalde: in den Ort, in dem die Bundeskanzlerin ihr Ferienhaus hat. Hier wählt ein großer Teil ihrer Nachbarn die AfD. Das ist das Thema meiner Reportage. Das Problem: ohne Führerschein kein Hohenwalde. Die einzig mögliche Zuganbindung besteht zwischen 15:30 und 18 Uhr – zu kurz für die Recherche. Also beschließe ich zu trampen. 33 Kilometer durch Brandenburg.

Etwa eine halbe Stunde recke ich meinen Daumen in die Luft, bis mich ein grauer Kombi anblinkt und langsam auf mich zurollt.

Am Rand einer Landstraße, strecke ich Schild und Daumen in die Luft (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Mausgrauer VW Sharan

Ein junger Mann lehnt sich durch das halb geöffnete Fenster. "Ich kann Sie bis nach Althüttendorf mitnehmen." Ich beeile mich und rutsche auf den Sitz neben dem Mann in der roten Jacke. Durch die Boxen dröhnt ein Popsong. Hin und wieder klirrt die Kette mit dem silbernen Kreuz, die am Rückspiegel des Sharan hängt.

Der Mann mit den blondierten Haaren will nicht fotografiert werden, und seinen vollen Namen verrät er mir auch nicht. Lange Zeit habe er in der Uckermark gearbeitet. Einer der schönsten Landkreise, schwärmt er. Aber es gebe auch viele Probleme, die Landflucht zum Beispiel. "Die jungen Menschen ziehen weg. Sie haben hier einfach keine Perspektive." Und er hat recht. Seit Jahrzehnten sinkt die Bevölkerungszahl in der Uckermark. Waren es 1990 noch 170.000 Einwohner, sind es heute nur knapp 120.000.

Ob die Landtagswahl dort etwas verändern kann? Mein Gesprächspartner dreht das Radio leiser. Jetzt hört man nur noch das Klirren der silbernen Kette. Verändern könne man ja sowieso nichts. "Und generell geht bei Wahlen vieles nicht mit rechten Dingen zu." Doch er gehe trotzdem wählen, die AfD. "Ich bin ja einer dieser AfD-Wähler – aber ich bin nicht rechts", sagt er mit fester Stimme. Mit seiner Entscheidung ist er hier nicht der Einzige. In Brandenburg wurde die AfD bei der Europawahl stärkste Kraft. Die "Migranten", wie er sie bewusst nennt, seien das größte Problem in Brandenburg. Dabei hat Brandenburg den geringsten Ausländeranteil in ganz Deutschland. Nur etwa jeder Dreißigste kommt hier nicht aus Deutschland.

Er setzt mich an einer Ecke in Althüttendorf ab und wünscht mir viel Glück auf meiner Reise zur Bundeskanzlerin. Ich packe mein Schild und meinen Daumen aus – und strecke beides erneut in die Höhe. Es dauert nicht lange, bis ein älterer Herr anhält.

Hartmut Pinkpank winkt zum Abschied aus seinem Ford (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Hartmut Pinkpank winkt zum Abschied.Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Unterwegs durch menschenleere Dörfer

Er trägt eine große Sonnenbrille mit goldenem Gestell. In ihr spiegelt sich das grelle Sonnenlicht. Hartmut Pinkpank erzählt, er habe sein Grundstück in der Uckermark. Er lacht, als ich ich ihm von meinem Vorhaben erzähle, zum Zweitwohnsitz von Angela Merkel zu fahren. Stolz erzählt er, dass er in der gleichen Stadt wie Angela Merkel aufgewachsen sei, in Templin. Wir fahren über einsame Landstraßen und durch menschenleere Dörfer.

Und trotzdem fühle ich mich wie bei einer Stadtbesichtigung. Hier sei ein besonders guter Bäcker, schwärmt mein Gesprächspartner. Da drüben eine schöne Kirche. Und dahinten würde der Ex-Ministerpräsident Platzeck manchmal mit dem Fahrrad fahren. In Friedrichswalde, an einer dieser besonders guten Bäckereien, setzt er mich ab.

Paul Koppermann steht im Türrahmen der Bäckerei und grinst (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Paul Koppmann vor der Bäckerei. | Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Mattgelbe Landbäckerei Hakenbeck

Auf einem Stuhl vor der Bäckerei fläzt sich Paul Koppermann. Seine Freundin arbeite hier. Koppermann ist gerade mit der Schule fertig. Seine Haare sind präzise zurückgegelt, sein weißes T-Shirt liegt eng an. Er grinst verschmitzt. In der Uckermark ist er zur Schule gegangen. Nach dem Abschluss seien viele sofort weggezogen. Meistens nach Berlin: "Zum Studieren", sagt er und lächelt. "Aber ich möchte erstmal hier bleiben", erzählt er ein bisschen stolz. Koppermann ist gerade zum Bund gegangen. Bis 2025 hat er sich verpflichtet. Dort wolle er Karriere machen.

Bis auf den Bäcker scheint das kleine Dorf wie ausgestorben. Von vielen Häusern bröckelt der Putz. Nur vereinzelt lungern Personen auf den schmalen Straßen. Ich beschließe zu laufen. Auch auf meinem Weg über die Ringwalder Straße halte ich immer wieder mein Schild hoch. "Hohenwalde – zu Merkel!" Eine zierliche Frau im Auto sieht mein Schild. Fährt langsamer. Mustert mich. Beschleunigt. Und fährt wieder weiter.

Frank Bach guckt aus seinem Volvo (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Frank Bach in seinem Volvo. | Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Ein aufgeräumter Volvo V40

"Ah, Hohenwalde, da wo die Kanzlerin wohnt": Der Mann, der mir das entgegenruft, heißt Frank Bach. Sein Auto ist sauber und aufgeräumt. Etwas zu schnell fetzt es über die kaum befahrene Landstraße. Bach erzählt, dass er lange für den TÜV gearbeitet und Routine-Kontrollen in der Uckermark durchgeführt hat. "Eine wunderschöne Gegend", schwärmt er und brettert in die nächste Kurve.

Bei seinen Kontrollen sei ihm aufgefallen, dass immer mehr Berliner in die Uckermark zögen: "Alle haben sie ihre Wochenendhäuser hier." Das große Problem der Uckermark sei die Landflucht. "Sind wir mal ehrlich", holt er aus, "wer ein bisschen Grips hat, der zieht hier weg." Auf der Internetseite des Landkreises Uckermark wird sogar angenommen, dass bis 2030 die Bevölkerungszahl unter 100.000 fällt. Plötzlich bremst Frank Bach. "Hier geht’s hoch."

Ich bedanke mich, packe meinen Rucksack und laufe los. Ein Schild zeigt "Hohenwalde 2 km". Kurz nachdem ich bei dem Wochenendhaus der Bundeskanzlerin angekommen bin und meine Kamera für Fotos auspacke, höre ich ein Auto langsam auf mich zufahren.

Ortsschild und Hauptstraße in Hohenwalde (Quelle: rbb|24/Nils Hagemann)
Bild: rbb|24/Nils Hagemann

Silber glänzender Opel mit blauen Streifen

Zwei Bundespolizisten halten neben mir. Steigen aus. Kontrollieren meinen Ausweis. Fragen mich, was ich hier mache. Ich erzähle, 35 Minuten lang.

Als ich fertig bin, mustere ich Hohenwalde. Präzise stehen einige wenige Häuser an der mit Apfelbäumen gesäumten Straße. Eine hohe Backsteinwand ummauert die Datsche der Bundeskanzlerin.

Ich muss einen der letzten Busse nach Hause nehmen. Fotos machen ist hier verboten. Zwei Zivilpolizisten begleiten mich zur Haltestelle. Und ich? Denke nach. Über meine Idee, eine Reportage über die Uckermark und Hohenwalde zu schreiben. Über Menschen. Über einsame Dörfer. Über spärlich befahrene Landstraßen. Und während ich so nachdenke, fällt mir auf, dass ich meine Geschichte schon längst erlebt habe.

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Nils Hagemann

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