Stichprobe Brandenburg | Jüterbog - Warten auf den Waldbrand

Do 15.08.19 | 10:34 Uhr | Von Lynn Kraemer
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Feuerwehrleute in Jüterbog (Quelle: rbb|24/Lynn Krämer)
Bild: rbb|24/Lynn Krämer

Auf der Feuerwache in Jüterbog ist für einen Moment Ruhe eingekehrt. Hinter den Kameraden liegt der bisher größte Waldbrand des Sommers. Die Menschen kommen, um sich zu bedanken. Die Politiker, um für die Wahl zu werben. Von Lynn Kraemer

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Michael Rinderle und Lutz Selent hocken vor ihren Computern, rauchen und warten. Das Büro ist zugestellt, Poster überdecken die alternde Wandfarbe. Zusammen bewältigen die beiden hauptamtlichen Feuerwehrmänner den Papierkrieg. Sie protokollieren die vergangenen Einsätze. Zwischendurch rauscht der Funkkanal, Einsatzmeldungen aus ganz Teltow-Fläming werden durchgegeben. Die Pieper der beiden Feuerwehrmänner bleiben fürs erste still.

Hinter ihnen liegt ein Monat voller Einsätze. "Im Juni sind wir vom Feuer in den Regen gefahren", sagt Stadtwehrführer Michael Rinderle. Erst kam der große Waldbrand, dann das Unwetter.

Anfang Juni brach auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz in Jüterbog ein Brand aus, der bislang größte in der Geschichte Brandenburgs. Eine Fläche von 744 Hektar stand in Flammen.

Waldbrände und deren Größe in Brandenburg im Juni 2019 (Quelle: rbb|24)
Bild: rbb|24

Der eigene Wald brennt – ohne sie

"Unser Bürgermeister hat uns rausgezogen aus dem Wald – nach drei Tagen. Zu gefährlich wegen der Munitionsbelastung", sagt die freiwillige Feuerwehrfrau Christina Selent kopfschüttelnd. Die Feuerwehren aus den anderen Ortschaften und die geschulten Waldbrandeinheiten löschten alleine weiter.

Für sie sei es nicht schön gewesen, einfach nur zuzugucken: "Es war unser Gebiet, wo es gebrannt hat. Und Fremde haben unseren Waldbrand gelöscht." Die Entscheidung von Bürgermeister Arne Raue war umstritten. Auch Landrätin Kornelia Wehlan äußerte ihr Unverständnis.

Stadtwehrführer Michael Rinderle (Quelle: rbb|24/Lynn Kraemer)
Stadtwehrführer Michael RinderleBild: rbb|24/Lynn Kraemer

Anerkennung für die Kameraden

Die Resonanz nach dem Waldbrand sei trotzdem überwältigend gewesen. Die Menschen hätten Getränke vorbeigebracht und sich bedankt. Für Rinderle zeigt sich, dass "der Stellenwert der Feuerwehr seit der Wende stückweise gestiegen ist. Die merken, dass die roten Autos nicht nur schön und schnell sind, sondern auch gebraucht werden". "Da sieht man die Solidarität. Viele merken es erst, wenn sie selbst betroffen sind", fügt Lutz Selent hinzu.

Der Waldbrand vor dem Wahlkampf

Auch die Politik hat das bemerkt. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) war während des Waldbrands jeden Tag in Jüterbog gewesen. "Das war schon erstaunlich. Die sehen dann wenigstens, was wir machen", sagt Rinderle.

Die freiwillige Feuerwehrfrau Christina Selent sieht das kritischer: "Vorher haben sie sich nicht wirklich für uns interessiert, und jetzt, wo die Wahlen vor der Tür stehen, kommt alles aus den Löchern gekrochen." Die freiwillige Feuerwehr als Garant für Wählerstimmen. "Die nutzen dieses Jahr den Wahlkampf wirklich nur mit uns zusammen. Die schieben grundsätzlich die Feuerwehr vor. Das reicht langsam", sagt Christina Selent.

Marcel Reichstein zeigt seinem Sohn Justus die Wache (Quelle: rbb|24/Lynn Kraemer)
Marcel Reichstein zeigt seinem Sohn Justus die WacheBild: rbb|24/Lynn Kraemer

Jüterbog kann sich nicht entscheiden

Der Landkreis Teltow-Fläming, in dem Jüterbog liegt, war in fester Hand der SPD. Die hat aber an Stimmen eingebüßt, ein Wettstreit mit der Linken, AfD und CDU ist ausgebrochen. Das zeigt sich aber eher an den Umfragezahlen und nicht in Jüterbog selbst. "Ein Jüterboger will seine Ruhe. Der macht seine Tür zu", sagt der stellvertretende Jugendwart Marcel Reichstein.

Er schaut mit seinem Sohn Justus auf der Wache vorbei. Justus brabbelt zwar noch vor sich hin, aber mit der Drehleiter kennt er sich schon aus. "Der Drops ist gelutscht, auch wenn die Mama gehofft hat, dass einer nicht mit der Feuerwehr infiziert wird", sagt Reichstein und schmunzelt.

Eine Wahl ohne viel Wahlkampf

Während sich im 14 Kilometer entfernten Luckenwalde Wahlplakat an Wahlplakat reiht, sind die Laternen von Jüterbog noch nahezu unbeklebt. Dabei findet in Jüterbog am 1. September auch die Bürgermeisterwahl statt. Die sei aber nicht sonderlich spannend, weil nur der amtierende Bürgermeister Arne Raue (parteilos) Werbung mache, findet der freiwillige Feuerwehrmann Marcel Reichstein.

Von Raues Gegenkandidatin Jaqueline Neumann (BBJ, Bürgerbündnis Jüterbog) wisse sie erst seit den Waldbränden, sagt Christina Selent. Auch Marcel Reichstein sagt, dass er nicht viel von der Wahl merke: "Wir gehen im September wählen. Wir wissen, wen wir in den Landtag wählen. Aber wen wir dann eigentlich als Stadtoberhaupt wählen – keine Ahnung."

Feuerwache Jüterbog (Quelle: rbb|24/Lynn Kraemer)
In der Feuerwache | Bild: rbb|24/Lynn Kraemer

Wenige Themen polarisieren

Es gibt nicht viele Themen, für die die Jüterboger zur Wahl gehen würden. Der Klimawandel? Marcel Reichstein und Christina Selent lachen kurz. "Die Leute reden viel über ein neues Gewerbegebiet. Weil das hier ja voll ist", sagt Reichstein.

Mehr als dreißig Freiwillige engagieren sich auf der Wache, und fast alle von ihnen arbeiten im Umland. Reichstein ist Sägewerker, andere arbeiten in der Landwirtschaft oder sind Handwerker. Sie sind sich aber einig: Der Stadt Jüterbog geht es gut. "Es wird auch was gemacht. Wie überall zu wenig, aber wir werden gehört", sagt Michael Rinderle.

Feuerwehrleute in Jüterbog (Quelle: rbb|24/Lynn Krämer)
Jüterborger Feuerwehrleute | Bild: rbb|24/Lynn Krämer

Immer einsatzbereit

Plötzlich geht der Alarm los. Michael Rinderle und Lutz Selent antworten in Sekunden auf ihre Pieper: "Bahnhof Jüterborg. Personenschaden." Wenig später dann die Entwarnung: "Da hängt nur einer im Aufzug fest."

Während Michael Rinderle das Tor öffnet und den Wagen bereitmacht, kommt der erste Feuerwehrmann in die Wache gerannt. Dann ist eine lauter werdende Fahrradklingel zu hören, und der nächste Kamerad pest herein. Es dauert keine fünf Minuten, dann sind noch zwei weitere Männer in den Einsatzwagen geklettert. Gemeinsam fahren sie in Richtung Bahnhof.

Lutz Selent bleibt zurück.

Falls noch etwas passieren sollte.

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Lynn Kraemer

1 Kommentar

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  1. 1.

    Es gibt viele Jüterboger, die sich engagieren und nicht einfach"ihre Tür zumachen". Bitte nicht einseitig berichten.

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