Stichprobe Brandenburg | Märkisch Buchholz - "Irgendwann ist es vorbei"

Mi 21.08.19 | 13:41 Uhr | Von Philipp Höppner
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Videothek in Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Bild: rbb|24/Philipp Höppner

Es gibt keine Bank mehr, Buslinien werden eingestellt und das Bestattungsinstitut hat zugemacht. Aber wenn Geschäfte ausziehen, ziehen Menschen ein. Märkisch Buchholz ist die kleinste Stadt Brandenburgs - und weigert sich, zu sterben. Von Philipp Höppner

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

"Uwe's Videothek" hat seit 28 Jahren geöffnet. In den selbstgebauten Holzregalen reihen sich circa 3.000 DVDs aneinander. Im ebenfalls selbstgebauten Schaukasten hängen handgeschriebene Karteikarten, die über neue Filme informieren. Das Fenster schmücken Spitzengardinen. "Ja, ich habe alles selber gebaut. Mein Vater hat mir dabei auch sehr geholfen", sagt Uwe Weinert.

Die familiäre Unterstützung tut gut, denn profitabel sei sein Geschäft schon seit Jahren nicht mehr. "Da darf ich gar nicht drüber nachdenken". Das Internet ist sein größter Konkurrent. Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime sind verantwortlich für das Videothekensterben. Heutzutage kann man sich Filme von der Couch aus ausleihen, ohne in die Videothek zu müssen. Auch hier in Märkisch Buchholz.

Videothek in Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Videothek in Märkisch Buchholz | Bild: rbb|24/Philipp Höppner

Auf Uwe Weinerts Laptop gibt es eine eigene Netflix-Taste, die ihm diese Realität täglich vor Augen führt. "Die würde ich am liebsten abmachen oder übermalen" sagt er. Viele Kunden hat er nicht mehr – drei bis vier am Tag schätzt sein Vater Manfred. "Irgendwann ist es vorbei", sagt auch Uwe Weinert, "aber die 30 Jahre würde ich schon gerne vollmachen."

Stadt und Dorf zugleich

Buchholz liegt im Landkreis Dahme-Spreewald und ist mit 840 Einwohnern die kleinste Stadt Brandenburgs. Im Landkreis wird viel Geld investiert, aber nicht in Buchholz. Das meiste Geld der Steuerzahler landet auf der Baustelle des Flughafen BER. Von dort aus braucht man mit dem Auto eine gute halbe Stunde entlang der A13.

Buchholz ist überschaubar: Von Ortseingang bis Ortsausgang fährt man zwei Minuten - wenn man sich etwas Zeit lässt. Es gibt einige Abzweigungen zu Bootsverleihen und Jugendherbergen - Touristen bringen so Geld in die Stadt. Wohin mit den Scheinen? Jedenfalls nicht direkt aufs Konto.

Im November 2018 machte die Sparkasse in Buchholz zu. Auch der Geldautomat spuckt keine Scheine mehr aus, weil "die Nutzungsfrequenz kontinuierlich auf einem sehr niedrigen Niveau liegt", so ein Brief der Sparkasse an den ehrenamtlichen Bürgermeister Arno Winklmann. Für die Anwohner in Buchholz ist das ein großes Problem: Sie können kein Geld abheben, Überweisungen tätigen oder Kontostände überprüfen. Angelika Schieche, die auch in Buchholz wohnt, sieht das mit der Nutzungsfrequenz anders: "Der Geldautomat war ganz oft leer. Das kann ja also nicht sein, dass den keiner benutzt hat."

Zum Einkaufen ins Nachbardorf

Angelika und ihr Mann Detlef Schieche sind die Betreiber der Gaststätte "Buchholzer Stübchen". Mit Bier und Mettstullen versorgen sie die Buchholzer seit 1990. "Wenn was weg ist, ist es weg", sagt Angelika Schieche. Sie glaubt nicht, dass die Sparkasse oder andere Geschäfte wieder aufmachen. Sie müssen nun zur Bank in das 14 Kilometer entfernte Groß Köris fahren.

"Es wird still und leise immer weniger", sagt Angelika Schieche. "Es wird nichts gemacht, aber es weiß auch kein Politiker, dass es diese Probleme gibt", ergänzt ihr Mann. Nicht nur zur Bank muss Detlef Buchholz verlassen, sondern auch zum Einkaufen – mit dem Auto braucht er 30 Minuten zum nächstgelegenen Metro. "Es gibt zwar einen Tante-Emma-Laden hier, der ist gut, wenn man mal was vergisst, aber alles gibt es da auch nicht", sagt er.

Angelika und Detlef Schieche aus Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Angelika und Detlef Schieche | Bild: rbb|24/Philipp Höppner

Im Tante-Emma-Laden arbeitet Nadine Schumann. Sie wohnt seit 20 Jahren in Buchholz und sieht keinen Grund wegzuziehen. Ihre beiden Kindern spielen tagsüber in der Kita. "Man sollte sich frühzeitig um einen Platz kümmern", sagt Nadine. In vielen umliegenden Orten gibt es keine Kita.

Nadine erzählt außerdem von vielen zugezogenen Berlinern, die hier nach Buchholz ziehen, um die Ruhe zu genießen. In den letzten vier Jahren zogen 100 Menschen nach Buchholz. Doch ähnlich wie die Schieches fahren viele Einwohner zum Einkaufen ins Nachbardorf Halbe. So wird der Tante-Emma-Laden vor allem von Touristen genutzt. Radler und Paddler legen hier lediglich einen Zwischenstopp ein.

Im Winter bleiben sie aus.

Eingangsschild Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Eingangsschild Märkisch Buchholz | Bild: rbb|24/Philipp Höppner

Paddeln, tragen, weiter paddeln

Direkt an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick kreuzen sich die Spree und die Dahme, die aus dem 60 Kilometer entfernten Buchholz kommt. Rene Rathmann und Thomas Reinzberg sind die Betreiber eines Bootsverleihs direkt am Ortseingang. Thomas lädt die Kanus auf einen Anhänger und sichert sie mit kräftigen Spannseilen. Vom Grundstück aus fährt er mit den Kanus und Kunden im Schlepptau zum Ufer. Oft kommen ganze Schulklassen zum Paddeln auf der Dahme. Es gibt eine Partnerschaft zwischen dem Kanuverleih und der Jugendherberge Köthen. "Man wird damit nicht reich, aber man kommt zurecht", sagt Thomas Reinzberg.

Es ist ein saisonales Geschäft. Warmes Wetter, viel Kunden. Doch zu heiß darf es im Sommer auch nicht werden: Der Wasserspiegel ist gefährlich tief – viele Schleusen bleiben geschlossen. "Man muss mit dem Kanu aus dem Wasser raus, es um die Schleuse rumtragen und dann auf der anderen Seite zurück ins Wasser", erklärt Thomas Reinzberg und beklagt: "Wir bekommen keine Hilfe." Oberste Priorität habe der Wasserspiegel der Spree, aber: "Auf die Kleinen wird keine Rücksicht genommen."

Die Menschen in Buchholz fühlen sich allein gelassen. So, als ob sich niemand für ihre Probleme interessiert. "Wir sind vergessen. Uns gibt es doch gar nicht für die Politiker", sagt Angelika Schieche. "Es wird nur was für die Großen getan, nichts für die Kleinen."

Geschlossene Sparkasse in Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Früher war in diesen Räumen eine Fleischerei, danach ein Bestattungsinstitut. Heute steht das Geschäft leer. | Bild: rbb|24/Philipp Höppner

Der Buchholz-Paradox

Doch auch als mal investiert wurde, wurde nicht langfristig geplant. Anfang der 2000er wurde eine neue Turnhalle für die Schule gebaut. Das Problem: Die Schule wurde 2003 geschlossen. Der Grund: Es gab genau einen Schüler zu wenig. Die Kinder aus Buchholz fahren nun früh morgens ins sechs Kilometer entfernte Halbe. In Halbe gibt es eine Schule - aber keine Turnhalle.

Buchholz wächst und schrumpft zugleich. Menschen ziehen zu, doch die Geschäfte kämpfen ums Überleben. "Es ist kurz vor Zwölf", sagt Angelika Schiche. Auf die Frage, ob sie und ihr Mann stolz sind Buchholzer zu sein, antwortet Detlef: "Stolz ist zu viel gesagt. Aber wir sind stolz, dass es uns noch gibt."

Es gibt sie noch. Das können auch die Betreiber vom Bootsverleih behaupten. Uwe Meinert und seine Videothek auch. Sie alle gibt es noch. Das Bestattungsinstitut hat im März 2019 geschlossen. "Die Leute sterben nicht schnell genug", kommentiert eine Passantin beim Vorbeigehen.

Kleiner Laden in Märkisch Buchholz (rbb|24/Philipp Höppner)
Kleiner Laden in Märkisch Buchholz | Bild: rbb|24/Philipp Höppner

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

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Beitrag von Philipp Höppner

9 Kommentare

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  1. 9.

    die Gegend um Märkisch Buchholz eignet sich wunderbar zum Wandern, auch der größte "Wasserfall" Brandenburgs ist imposant und Gaststätten gibt es dort auch noch. Wir werden demnächst mit unserer Wandergruppe öfter dort vorbei kommen.

  2. 8.

    Immer diese Wunschträumerei, ja ich hätte auch gerne vieles was ich nicht bekomme.
    Man muss sich einfach im klaren sein, entweder ruhig, abgelegen und damit längere Reisen mit Auto für alles andere oder eben laut und Lärm aber dafür alles um die Ecke.

  3. 7.

    Direkt an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick fließt die Wuhle und mündet gegenüber in die Spree. Spree und Dahme kreuzen sich an der Köpenicker Altstadt.

  4. 6.

    Wir waren die Besitzer vom Bestattungsinstitut. Es wird im Artikel erwähnt das die Leute nicht schnell genug sterben.Es kommt so rüber nach dem Motto.Keine Toten,Pleite, Laden zu.
    Es waren andere Gründe warum wir zu gemacht haben. Das wollte ich hier mal klar stellen.
    Aber andere Menschen wissen halt alles besser.

  5. 5.

    In Halbe gibt es eine Turnhalle direkt an der Schule. Und aus unser alten Schule ist eine tolle Begegnungsstätte mit Bibliothek, Literaturcafe und Jugendclub entstanden. Schade, das man Positives nicht auch erwähnt.

  6. 4.

    Das Bild der geschlossenen Sparkasse von Märkisch Buchholz ist nicht korrekt, dass ist der ehemalige Bestatter.

  7. 3.

    ... und springen auch noch rückwärts über das Wehr ...
    Waren immer wundervolle Zeiten, beim Angeln, dort in der Bucht des Umfluters knapp unterhalb der Einmüdung der echten Dahme.

  8. 1.

    "Direkt an der Alten Försterei in Berlin Köpenick wird aus der Spree die Dahme. Von dort fließt sie 60 Kilometer nach Buchholz."
    So so. Herr Höppner kennt sich in Brandenburg offensichtlich ebenso gut aus wie ein Großteil der Politiker.
    Na ja, schon aus Prinzip gibt es wohl hier nichts was nicht aus Berlin kommt. Brandenburg ist so rückständig, da fließen selbst die Flüsse rückwärts.

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