Stichprobe Brandenburg | Neuglobsow - Fischer Wind in Neuglobsow

Sa 17.08.19 | 12:40 Uhr | Von Benedikt Päffgen
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Fischer Martin Böttcher in Neuglobsow (Quelle: rbb|24/Benedikt Päffgen)
Bild: rbb|24/Benedikt Päffgen

Ein Dorf mit 265 Einwohnern in Nordbrandenburg, umgeben von Wald. Das gibt es so dutzendfach im Land - und immer wieder hört man von Landflucht. In Neuglobsow gibt es allerdings eine kleine Gegenbewegung. Von Benedikt Päffgen

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Es ist 6:30 Uhr und noch sehr grau, als Martin Böttcher den Motor an sein winziges Fischerboot anbringt. Zuvor hat er bereits ein paar Geldscheine unter einem Blumentopf vor der Fischerhütte hervorgezogen: Ein paar Hobby-Angler waren schon vor ihm da. "Der Rest ist Trinkgeld, weil das bei euch immer so wunderbar klappt!", steht auf dem Zettel. Seine Familie und er sind die einzigen Fischer auf dem Stechlinsee. Sie vermieten Angelboote.

Jetzt zieht er also los, wie fast jeden Morgen im Sommer. Sein Fanggebiet ist der Stechlinsee. Einer der berühmtesten Seen Brandenburgs, in dessen Region es jedes Jahr zehntausende Besucher zieht. Theodor Fontane setzte ihm mit dem Roman "Der Stechlin" ein Denkmal.

Ein Netz mit Maränen (Quelle: rbb|24/Benedikt Päffgen)
Ein Netz mit Maränen. | Bild: rbb|24/Benedikt Päffgen

Pizza bestellen ist schwierig

Für Martin Böttcher bedeutet der See vor allem Heimat, Abwechslung und Familiengeschichte. Mit dem 30-Jährigen geht die Fischerdynastie in die siebte Generation. An den im See ausgeworfenen Netzen angekommen, zieht er dutzende Kilo Maränen aus dem Wasser, ein Süßwasserfisch, verwandt mit dem Lachs. Eine der Maränen schmeißt er allerdings wieder ins Wasser. Als Gabe für den Milan, der über dem See kreist. Er pfeift dem Greifvogel zu und erklärt: "Das ist ein Ritual."

Es hätte auch anders kommen können. Wie viele junge Menschen verließ auch Martin Böttcher in seiner Jugend das Dorf, um eine Ausbildung zum Lebensmitteltechniker zu machen. Lange war er aber nicht weg, nur zwei Jahre. Er kam zurück, um dann doch Fischer zu werden. Das Stadtleben vermisst er nicht. Also fast nicht: "Als einziges nervt, dass es hier keinen Lieferservice gibt", sagt er. Tatsächlich findet man auf einer Bestellplattform im Internet nur ein einziges Restaurant, das nach Neuglobsow liefert. Aus dem 35 Kilometer entfernten Zehdenik und nur bis 22 Uhr.

LTE am Stechlinsee

Damit kann er aber leben, ansonsten habe er alles, was er braucht. "Mittlerweile gehören wir fast schon zum Speckgürtel Berlins. Wir liegen ja zwischen Fürstenberg, Gransee und Rheinsberg und haben davon gut profitiert." Die Straßen in der Umgebung sind alle saniert, auch LTE gibt es hier. "Da haben es manche Dörfer echt beschissener." Auch die Anbindung gefällt ihm: "Du bist von Fürstenberg in 45 Minuten in Berlin-Gesundbrunnen." Bis Fürstenberg muss man aber auch erst einmal kommen. Fünf Mal am Tag fährt in der Schulzeit ein Bus nach Fürstenberg, während der Ferien muss man den Ruf-Bus bestellen.

Das Dorfleben war auch ein Argument für seine Rückkehr. Hier kümmere man sich umeinander, tue was für die Allgemeinheit - auch ohne Geld zu erwarten. Kurz erzählt der Fischer von Zugezogenen, die sich unbeliebt machten, weil sie sich über Lärm beim jährlichen Stechlinseefest beschwerten. Eine Ausnahme. Die meisten bringen sich wohl gut ein. Als Positivbeispiel nennt er einen Rentnerverein, der sich bei einem Kasten Bier um Dorfbelange kümmert.

Wolfgang und Margitta Schmolke vor dem Wintergarten ihres Hauses in Neuglobsow (Quelle: rbb|24/Benedikt Päffgen)
Wolfgang und Margitta Schmolke. | Bild: rbb|24/Benedikt Päffgen

Die guten Neuen

Genau diesen Rentnerverein hat Wolfang Schmolke gegründet. Er lebt seit zehn Jahren in Neuglobsow. Jeden ersten Dienstag im Monat treffen sich bis zu 18 alte Herren, um gemeinnützig zu arbeiten. Sie schleifen Bänke oder räumen den Wald auf. Auch sonst bringt Wolfgang Schmolke sich ein, leitet den Verein, der den Veranstaltungsort "Stechlinsee-Center" verwaltet, schmeißt Partys auf seinem Grundstück.

Seine Frau Margitta Schmolke erzählt, dass sie in knapp 50 Jahren Ehe schon elf Häuser gebaut haben und sich in ihrer Wahlheimat Neuglobsow sehr wohl fühlen. Eine Sache treibt sie aber um: "Ich bin erschüttert, dass 46 Leute hier bei der Europawahl die AfD gewählt haben", sie hat es extra im Internet nachgeschaut. "Wehret den Anfängen. Und ich denke, wir sind nicht mehr bei den Anfängen." Auch ihr Mann hat kein Verständnis für solche Nachbarn. "Es geht doch allen gut hier, warum sind die so unzufrieden?"

Die Dunkelgrünen

Der Fischer Martin Böttcher ist keiner dieser Nachbarn. "Ick wäre der perfekte NPD- oder AfD-Wähler, bin am 8.8.88 geboren. Aber das wird nie passieren. So viel Grips hab ick", sagt er. Die Zahl 88 steht in der rechtsradikalen Szene für den Hitlergruß, da H der achte Buchstabe im Alphabet ist.

Problematisch daran, dass die AfD nun auch bei der Brandenburger Landtagswahl im Trend vorne liegt, sei für ihn, dass Touristen ausbleiben könnten. Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig im Ort. "Wenn der Prenzlauer Berg hört, dass die AfD hier stärkste Kraft war, kommen die hier doch nicht mehr hin. Die kriegen dann ein ganz anderes Bild vom Dorf."

Zum Prenzlauer Berg hat er ein gespaltenes Verhältnis. Besonders zu den Grünen-Wählern. Er nennt sie "die Dunkelgrünen", da ihm die Politik der Partei zu radikal sei. Das scheint mittlerweile für viele Teile Brandenburgs nicht mehr zu gelten. Die "Grüne Welle", wie das Erstarken der Grünen in vielen Teilen Deutschlands beschrieben wird, ist mittlerweile auch in Brandenburg zu spüren. Bei Prognosen landet sie derzeit auf Platz drei mit 17 Prozent - gleichauf mit der CDU. 2014 holten die Grünen 6,2 Prozent.

Rainer Böttcher vor den Räucheröfen der Fischerhütte (Quelle: rbb|24/Benedikt Päffgen)
Vater Böttcher vor den Räucheröfen. | Bild: rbb|24/Benedikt Päffgen

Alte Schule, Neue Schule

Noch auf dem schwankenden Boot und während er über die Grünen schimpft, pflückt Martin Böttcher vorsichtig einen besonders großen Fisch ganz behutsam aus dem Netz. Um ihn vor seinem Opa zu retten. Der sei von der alten Schule und eher grob. "Opa würde den Fisch einfach herausziehen und kaputtmachen. Das wäre zu schade." Zurück an Land geht die Arbeit weiter.

Mit Unterstützung vom Vater, selbst Fischermeister, werden die Fische aus den Netzen geholt. Drei Kisten voll hat Martin heute gefangen. Da nur Süßwasserfische gefangen werden, riecht es nicht wie etwa in der Fischabteilung im Supermarkt, nein, hier ist nur ein Geruch prägnant, nämlich der des Räucherofens, der schon vor acht Uhr angeschmissen wird.

Sauerkirschen von der Oma fürs Café

Ein weiterer Rückkehrer mit neuen Ideen ist Leo Tiede. Er ist mit Martin Böttcher zur Schule gegangen. Nachdem er viele Jahre in Großstädten wie München gelebt hat, ist auch er zurückgekommen. Zusammen mit seiner Partnerin Susanne Ludwig hat er im Stechlin-Center das "Café Glasklar" eröffnet. Ein Café, das so auch im Prenzlauer Berg stehen könnte: schicke Einrichtung, alles nachhaltig. So nachhaltig, dass seine Oma mit zwei Eimern wilden Sauerkirschen vorbeikommt, aus denen später Kuchen wird.

Leo Tiede hat sich für das Leben auf dem Land entschieden, obwohl er es manchmal selbst als erdrückend empfindet. "Man kann Neuglobsow vielleicht auch nicht mit München vergleichen", sagt er. Aber in all den Jahren, in denen er fort war, habe er keinen Ort gefunden, an dem er lieber lebe als in Neuglobsow. Einziger Nachteil, und das findet tatsächlich auch Martin Böttcher: "Es gibt nicht genug Wohnraum. Leute wollen zurück, aber können nicht." Das letzte Stück Bauland wurde schon vor Jahren verkauft. "Neuglobsow ist dicht."

Ortseingangsschild von Neuglobsow (Quelle: rbb|24/Benedikt Päffgen)
| Bild: rbb|24/Benedikt Päffgen

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Benedikt Päffgen

4 Kommentare

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  1. 4.

    Es gibt doch immer wieder Leute, die anscheinend nicht genug im Mittelpunkt stehen. Ich finde es gerechtfertigt das Menschen und Namen erwähnt werden, die zum Dorfleben bzw zum Erhalt dessen, beitragen! Gerne sollen auch andere davon profitieren. Nur leider sind es doch immer die selben, die irgendwas zu meckern haben aber selbst nicht mit anpacken. Es gibt in diesem Ort eine gute Gemeinschaft, davon inbegriffen auch viele Zugezogene, die zusammen viel auf die Beine stellen. Das macht ein gutes Dorfleben aus. Freiwillige, die bereit sind, Zeit und Kraft zu investieren, sehr engagiert sind, um den Ort aufleben zu lassen. Ich bin ebenso ein Kind des Ortes. Und ich möchte Neuglobsow nicht missen.

  2. 3.

    Boahhh, merken sie noch was ?Freuen sie sich doch, das überhaupt positiv über ihr Dorf geschrieben wird. Aber selbst dann noch über den rbb meckern. Wie kann man nur so gefrustete sein. Doch nicht so schön im Dorfe??? Oder fühlen sie sich nun wieder besorgt und missverstanden???

  3. 2.

    Der alljährliche Sound des von vielen engagierten Ortsangehörigen organisierten Heimat-bzw. Stechlinseefests gehört zu Neuglobsow wie das traditionelle Handwerk, zu dem auch die Fischerei gehört. Und als Neubürger sieht man, dass dieser liebenswerte Ort eine Seele hat, die viele Gemeinden im Brandenburger Land leider immer noch verlieren. Bedauerlicherweise fehlen am Stechlinsee, Gelegenheiten für junge Familien sich anzusiedeln. Dafür ist aber zuerst die Landesentwicklungsplanung verantwortlich. Und an den Bündnisgrünen scheitert das Gemeinwohl von Neuglobsow nicht. Hellgrüne Grüße vom gewählten Gemeindevertreter für Stechlin wohnhaft in Neuglobsow.

  4. 1.

    Ich wundere mich beim RBB immer wieder, dass bei Geschichten aus Neuglobsow immer wieder die bekannten Namen Böttcher und Schmolke auftauchen. Neuglobsow hat noch über 200 Namen und Erfahrungen mehr zu bieten. Aber das sind vielleicht Dinge, die die Dorfprominenz nicht öffentlich rechtlich lesen will. Freundlichst auch ein eingeborener RÜCKKEHRER!

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