Interview | Berlin nach den Landtagswahlen - "Personen sind manchmal wahlentscheidend"
Nach den Landtagswahlen ist vor der Abgeordnetenhauswahl: Was bedeuten die Ergebnisse von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für den Berliner Wahlkampf? Landespolitik-Experte Jan Menzel erklärt, wo die Parteien stehen - und was sich nun ändern könnte.
rbb|24: Jan Menzel, die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben gezeigt, dass sich die AfD im Sinkflug befindet. Wird sich dieser in Berlin fortsetzen? Am vergangenen Wochenende hatte die AfD ja auch Parteitag - und auch da haben wir gesehen: Die Partei ist hier in der Stadt tief gespalten.
Jan Menzel: Ja, man könnte vermuten, dass es auch für die AfD in Berlin abwärts geht. Allerdings sei davor einschränkend gesagt: Sechs Monate bis zur Abgeordnetenhauswahl sind eine lange Zeit in der Politik. Man kann heute feststellen, dass die neue AfD-Landeschefin Kristin Brinker ein durchaus kritisches Bündnis eingegangen ist, um an die Macht zu kommen, eben auch mit "Flügel"-Leuten.
Das signalisiert besonders deutlich der Applaus von Andreas Wild - dem Abgeordneten, der aus Partei und Fraktion ausgeschlossen wurde und ihre Kandidatur sehr lautstark begrüßt hat. Brinker ist auch nur wirklich hauchdünn ins Amt gekommen mit 50,2 Prozent. Dass diese Partei geeint oder besonders stark aufgestellt ist, kann man wirklich nicht behaupten. Brinkers Widersacher Georg Pazderski und Beatrix von Storch sind weiter da. Die geben ja nicht auf. Sie machen weiter, kandidieren für Funktionen und Posten. In dieser Grundkonstellation sind schon genug Konflikte angelegt, die dann auch auf die Stimmung und auf die Stimmenanteile drücken könnten.
Noch etwas schwebt wie ein Damoklesschwert über der Partei: Der Verfassungsschutz will ja schauen, ob er die Berliner AfD beobachtet. Und da muss man sich schon fragen, auch als Wähler: Wie attraktiv ist eine Partei, die ganz oder teilweise vom Nachrichtendienst überwacht werden muss? Das ist in der Tat ein Aspekt, der noch gar nicht abzuschätzen ist.
Man muss auch konstatieren: Stand jetzt kann die AfD als klassische Anti-Partei von Corona, diesem großen, beherrschenden Thema anscheinend gar nicht profitieren. Auch das, würde ich sagen, ist Ballast für die AfD im kommenden Wahlkampf. Außerdem ist Berlin für die AfD nie ein einfaches Pflaster gewesen, das wird die Stadt auch nicht werden. Insoweit er muss die neue Vorsitzende da gleich mit mehreren Widrigkeiten kämpfen.
In Rheinland-Pfalz hat bei der Landtagswahl mit Malu Dreyer (SPD) die Ministerpräsidentin gewonnen und in Baden-Württemberg Amtsinhaber Winfried Kretschmann (Grüne). Es sind beides Persönlichkeiten, die da gewählt wurden - und die eher unbekannten Spitzenkandidaten der anderen Partei sind eher abgestraft worden. Was ergibt sich daraus für die Berliner Grünen, aber auch die Berliner CDU, die beide ja mit eher unbekannten Spitzenkandidaten an den Start gehen?
Dass Personen manchmal wahlentscheidend sind, beschreibt auch die Ausgangslage hier in Berlin ganz gut. Die eine, Franziska Giffey hat ihre schwächelnde Partei SPD an den Hacken - die andere, Bettina Jarasch von den Grünen, muss noch sehr hart daran arbeiten, dass sie ihre Partei nicht herunterzieht. Dass Personen Wahlen entscheiden können, ist auch für Berlin hinreichend belegt. Da war Klaus Wowereit über Jahre wirklich ein gutes Beispiel. Er hat die Schwächen seiner SPD doch auch oft kaschiert. Und das ist eben auch jetzt das Kalkül der SPD: mit Franziska Giffey jemanden ins Rennen zu schicken, die einen Amtsbonus mitbringt. Nicht als Bürgermeisterin, sondern als Bundesministerin.
Jarasch wiederum für die Grünen bringt ein anderes Pfund mit: Sie ist neu, unverbraucht, auch nicht mit diesen Nickligkeiten und Koalitionsstreitereien verhaftet. Aber zu sagen, ich bin neu, wird auf Dauer nicht reichen. Sie ist nicht bekannt genug. Das haben auch die jüngsten Umfragen gezeigt. Sie braucht dringend ein Projekt, eine Idee. Sie muss raus aus diesem Windschatten, in dem sie immer noch ist. Sie braucht einen Kick-off - vielleicht auf dem Parteitag jetzt am Wochenende - weil es eben nur noch sechs Monate sind. Das ist nicht viel Zeit. Das Positive für sie ist aber: Sie hat die Partei im Rücken, wie es aussieht, - und wenn alles so bleibt, auch den Bundestrend. Aber nichtsdestotrotz: Es sind Personen, die Wahlen drehen können. Auch in Berlin.
In Rheinland-Pfalz hat sich die Ampelkoalition wieder durchgesetzt. Dieses Modell, also die Regierung von SPD, Grünen und FDP, beflügelt ja jetzt die Fantasien, auch hier in Berlin. Zu Recht? Ist das ein Modell für die Berliner Landesebene?
Berlin ist da anders. Wenn man so ein Modell machen möchte, muss das von langer Hand vorbereitet werden. Mal eben kurz vor dem Wahltermin oder kurz danach den Schalter umzulegen, wird nicht funktionieren. Da muss Vertrauen gebildet werden. Dann muss man auch schon ein bisschen zusammengearbeitet haben. Da müssen Kontakte bestehend, da muss Verbindung da sein. Man muss auch programmatisch mal abgeklopft haben, was geht und was nicht. Und da sind die Grünen und die FDP hier in Berlin doch sehr weit voneinander entfernt - und sie entfernen sich auch noch weiter. Das sieht man bei vielen aktuellen Debatten: Klimaschutz und Verkehr etwa. Auch bei Debatten wie #metoo zum Beispiel sieht man, wo die Parteien stehen.
Die Grünen beäugen auch die FDP sehr kritisch und sagen, viele in der Berliner FDP hätten doch leichte Sympathien für die AfD erkennen lassen. Da ist bei vielen in der FDP die ganz, ganz klare Abgrenzung nach rechts nicht vollzogen worden. Insoweit ist die FDP für viele Grüne zwar natürlich ein parlamentarischer Partner im Abgeordnetenhaus, aber überhaupt nicht in der Nähe eines Koalitionspartners. Das ist absolutes Wunschdenken.
Nach wie vor ist bei den Grünen die Losung: Wir haben doch eine Koalition, die funktioniert und die eine klare Mehrheit hat, seit Monaten, seit Jahren letztlich. Insofern wird bei den Grünen ganz stark darauf gesetzt, diese Koalition Rot-Rot-Grün fortzusetzen - aber dann unter anderen Vorzeichen: unter grüner Führung mit einer grünen Regierenden Bürgermeisterin. Irgendwelche Annäherung oder Planspiele Richtung FDP gibt es da überhaupt nicht.
Die FDP wird übrigens auch bei vielen Grünen und auch bei linken Sozialdemokraten als unseriös wahrgenommen. Dahingehend, dass man das Gefühl hat, die FDP springt gerne auf Themen drauf, hat keine konsistente Politik. Die Frage nach der persönlichen Verlässlichkeit spielt da auch immer eine Rolle. Die Akteure kennen sich zwar, aber eine Vertrauensstimmung kann ich da nicht erkennen.
Im Moment stehen also in Berlin die Zeichen nach wie vor auf Rot-Rot-Grün - und bei jedem der Koalitionspartner die Hoffnung, als erster durchs Ziel zu kommen. Und da können sich die Grünen nach Lage der Dinge im Moment die besten Chancen ausrechnen.
Frau Jarasch, die grüne Spitzenkandidatin, jubelt, dass das Thema Klimaschutz bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezogen habe. Die Berliner Grünen stehen aber auch häufiger mal für soziale Themen. Kann Bettina Jarasch mit dem Fokus auf den Klimaschutz tatsächlich davon profitieren?
Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob der Klimaschutz wirklich das Thema ist, das den meisten Menschen in Berlin gerade auf den Nägeln brennt. Mein Gefühl ist eher, dass die Corona-Lage nach wie vor dominierend ist. Da herrschen Angst und Befürchtungen vor, dass ein dritter Lockdown kommen könnte, dass es neue Hiobsbotschaften gibt. Im Moment steht auch die Frage im Raum: Wie gut wird Deutschland eigentlich gemanagt in dieser Krise, durch die wir hindurch müssen? Die Perspektiven sind da meinem Eindruck nach gerade eher trist, wenn man auf die Themen Impfstoffe, Impfstoff-Lieferung, aber auch Schnelltests schaut - das scheint mir im Moment doch für viele Menschen und ihre Lebenswirklichkeit wichtiger zu sein als Klimaschutz.
Ich sehe aber auch noch andere Themen, die im Moment sehr dominant sind: Bauen und bezahlbares Wohnen zum Beispiel. Auch die Wirtschaft wird immer stärker ein Thema sein, je länger die Corona-Krise dauert. Ein Thema, auf das übrigens die SPD sehr stark setzt. Das scheint mir im Moment eher wahlentscheidend zu sein. Und wenn wir beim Klimaschutz bleiben: Da laufen die Grünen auch ein Stück weit Gefahr, das Copyright zu verlieren, weil eine neue Klimapartei, die auch aus der "Fridays for Future"-Bewegung entstanden ist, zur Abgeordnetenhauswahl antreten will. Die könnte am Ende auch ein paar Prozentpünktchen kosten. Allein auf das Thema Klimaschutz zu setzen wäre, glaube ich, für die Grünen ein denkbar schlechtes Rezept.
Die Berliner CDU, tritt auch mit einem eher unbekannten Spitzenkandidaten an, Kai Wegner. Was heißen die Wahlergebnisse vom Wochenende für ihn?
Die CDU kann sich überhaupt nicht sicher sein. Ich glaube, in Berlin herrschte bisher die Hoffnung vor, dass man im Windschatten der Bundespolitik mit einem starken CDU-Kanzlerkandidaten - sei es nun, Söder oder Laschet - doch ganz bequem ins Ziel laufen kann.
Denn Abgeordnetenhauswahl und Bundestagswahl finden am gleichen Tag statt. Man sieht nun: Wenn der Bundestrend sich drehen sollte, wenn die CDU eben nicht als Macher und Manager der Corona-Krise wahrgenommen wird, dann können sich die Dinge auch drehen, dann wird dieses Rezept so nicht aufgehen. Das könnte dann bedeuten, dass ein in der öffentlichen Wahrnehmung vergleichsweise schwacher Spitzenkandidat, der zwar in Berlin vernetzt ist, aber medial nicht besonders präsent ist, eben nicht dazu führt, dass die CDU nun über proportional profitieren wird. Ich glaube, für die Wahlkampfstrategen der Berliner CDU heißt das: Sie müssen noch einmal kräftig nachjustieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sendung: Inforadio, 15.03.2021