Datenanalyse | Abgeordnetenhaus - So hat Berlin seit 1990 gewählt

Sa 07.08.21 | 09:10 Uhr | Von Christoph Reinhardt und Götz Gringmuth-Dallmer
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Wahlverhalten (Quelle: rbb)
Bild: rbb

Am 26. September wird das Abgeordnetenhaus gewählt – zum achten Mal seit 1990. Die Analyse zeigt, wie der Rückhalt der Regierungsparteien bei den Wählerinnen und Wählern gesunken ist und die Volksparteien ihre Dominanz verloren haben. Von Christoph Reinhardt (Text) und Götz Gringmuth-Dallmer (Daten)

Berlin ist auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch eine geteilte Stadt. Zumindest, wenn es danach geht, wie die Menschen im Westen und Osten der Hauptstadt wählen. Prägten CDU und SPD beziehungsweise PDS in den 1990er Jahren noch den Westen und Osten der Stadt, mit einem grünen Farbtupfer in Kreuzberg (heute: Friedrichshain-Kreuzberg), so hat sich das Bild bei den letzten Wahlen deutlich gewandelt. Vor fünf Jahren waren gleich fünf Parteien in mehreren Wahlkreise die stärksten.

Ein Blick auf eine bewegte Wahl-Geschichte des wiedervereinigten Berlins:

1990: Schwarzer Westen, roter Osten

Die Stunde Null der repräsentativen Demokratie im wiedervereinigten Berlin sind die Wahlen vom 2. Dezember 1990. Zum ersten Mal wählen die Berlinerinnen und Berliner ihr gemeinsames Landesparlament, parallel übrigens zum Bonner Bundestag. Über zwei Millionen Wahlberechtigte nehmen teil, nie wieder wurde seither eine so hohe Beteiligung erreicht.

Die politischen Verhältnisse scheinen klar: Der Westen geht an die CDU, der Osten an die SPD. Der ganze Osten? Nein. Zumindest in elf Wahlbezirken bekommt die Partei des Demokratischen Sozialismus PDS in Nachfolge der offensichtlich gar nicht so diskreditierten SED die meisten Wählerstimmen. Aber auch die CDU kann in Mahlsdorf beziehungsweise Kaulsdorf ihren östlichsten Wahlkreis erobern.

Kleine Wahlbeteiligung, große Koalition

Den ersten Gesamtberliner Senat unterstützt eine große Koalition aus CDU und SPD. Das tut beiden Parteien nicht gut: 1995 fällt die Wahlbeteiligung unter 70 Prozent, die CDU verliert 190.000 Stimmen, die SPD sogar 220.000. Im Osten zieht die PDS an der SPD vorbei, in Kreuzberg erobern die Grünen Wahlkreis 2.

Allerdings: Die CDU bleibt stärkste Kraft, im Westen sowieso. Für eine bürgerliche Koalition reicht es aber wieder nicht, die FDP scheitert an der 5-Prozent-Hürde. Die große Koalition regiert weiter, zum Ersten, zum Zweiten und …

… zum Dritten. Auch 1999 dominiert die CDU den Westen, die PDS ist im Osten unangefochten. Aber die Wahlbeteiligung? Sinkt weiter. Und die SPD? Verliert weiter. Die Probleme häufen sich. Während der dritten großen Koalition in Folge steigt die Berliner Verschuldung immer weiter, 270.000 Menschen sind arbeitslos gemeldet. Nur der CDU und ihrem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen scheint das nichts anhaben zu können …

Der Knall: Bankenskandal und Spendenaffäre

… bis 2001 die sogenannte Bankenaffäre die große Koalition zum Platzen bringt. Die CDU verliert nicht nur ihr langjähriges Führungspersonal, sondern über ein Drittel ihrer Wähler.

Plötzlich ist die SPD die stärkste politische Kraft und bereit, ein politisches Tabu zu brechen. SPD und PDS schließen die erste rot-rote Koalition. Sie sparen, bis es quietscht – aber trotzdem steigt die Verschuldung bis 2006 über 60 Milliarden Euro, die Wahlbeteiligung fällt unter 60 Prozent.

Der anschließende Wahlerfolg für die SPD ist relativ: Zwar büßt 2006 auch Klaus Wowereits SPD an absoluten Wählerstimmen ein, aber noch mehr verliert die völlig zerstrittene CDU. Die PDS stürzt regelrecht ab – das Mitregieren bekommt der Regionalpartei Ost offensichtlich nicht.

Grünes Zentrum

Die Grünen nutzen diese Chance. Während die SPD viele PDS-Wahlkreise im Osten übernehmen kann, brechen die Grünen aus Kreuzberg aus und besetzen weitere Innenstadt-Wahlkreise und -Bezirke.

1990 waren die Alternative Liste (West) und Bündnis 90/Grüne (Ost) noch getrennt angetreten und wären ohne Sonderregelung für die beiden Stadthälften an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

2006 konkurrieren die Grünen zum ersten Mal mit der PDS um den dritten Platz hinter den beiden (immer kleiner werdenden) Volksparteien SPD und CDU. 2011 erreichen sie zwar ihr bisher bestes Ergebnis, sind nach der Wahl aber enttäuscht. Denn in den Umfragen hatte es zwischenzeitlich so ausgesehen, als könnten die Grünen eine Regierende Bürgermeisterin, Renate Künast war Spitzenkandidatin, stellen.

Nicht einmal für eine Regierungsbeteiligung reicht es: Die SPD verliert zwar erneut, bleibt aber immer noch stärkste Kraft – und entscheidet sich für eine Koalition mit der CDU.

CDU verliert Hälfte der Wähler

Schon wieder eine Große Koalition? So groß wie früher ist sie gar nicht mehr. 1990 hatten noch über 1,4 Millionen Wähler für CDU und SPD gestimmt. Nun können die beiden Parteien nur noch 750.000 Wähler hinter sich bringen. Das genügt der SPD, um weiter den Regierenden Bürgermeister zu stellen. Und die CDU hofft, sich im Senat mit Innen- und Wirtschaftspolitik zu profilieren und möglichst bei den nächsten Wahlen wieder an alte Stärke anzuknüpfen.

Aber obwohl die Arbeitslosigkeit und die Zinslast endlich zu sinken beginnen, kann auch Rot-Schwarz die Berliner nicht überzeugen. Die Flughafen-Dauerbaustelle, das Flüchtlingschaos beim Lageso, Personalquerelen – vor allem der permanente interne Streit zermürbt die Koalition. Am Ende verlieren beide Parteien.

Die Berliner CDU hat in der Flüchtlingskrise dem Aufstieg der AfD nichts entgegenzusetzen und erzielt 2016 ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis. Einzig im Nordwesten in Reinickendorf und im Südwesten in Steglitz-Zehlendorf ist die CDU seit 1990 durchgängig stärkste Kraft.

Erste Drei-Parteien-Regierung

Im Abgeordnetenhaus sind jetzt sechs Parteien vertreten. Die Piraten sind zwar nach nur einer Runde im Parlament gleich wieder draußen, dafür übernimmt die AfD zahlreiche Plätze in der Opposition. Auch die FDP ist nach fünf Jahren Pause wieder da, nachdem sie im Wahlkampf ganz auf die Offenhaltung des Flughafens in Tegel gesetzt hatte.

Die SPD braucht jetzt gleich zwei Partner, um ihren Regierenden Bürgermeister Michael Müller durchzubringen. Die Linke hat sich nach dem Rot-Rot-Trauma wieder erholt, die Grünen wollen schon lange regieren. Rot-Rot-Grün kann sich auf die Stimmen von rund 860.000 Wählern stützen – mehr Unterstützung hatte zuletzt die große Koalition von 1999.

Aber: Fast genauso viele Wahlberechtigte haben ihre Stimme gar nicht abgegeben. Nicht einmal jeder vierte Einwohner hat eine der drei Parteien gewählt, die Berlin regieren.

Beitrag von Christoph Reinhardt und Götz Gringmuth-Dallmer

24 Kommentare

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  1. 24.

    Für den Kampf gegen Investoren und für niedrigere Mieten, brauchen wir die Linke und die Grünen! Wählt weise!

  2. 23.

    Das wird aber den ganzen Privateers und Hausfrauen aber nicht gefallen.

  3. 22.

    Arbeitende Bevölkerung Berlin:
    Berlin 49,6% (1991) 53,6% (2016)
    warum sollen die anderen das Leben der o.g. Prozente "das Leben schwer wählen"?
    Am besten Wahlrecht nur für die Arbeitende Bevölkerung.

  4. 21.

    modern money mechanics

    …und die Zusammenarbeit mit den Armeen der G7.

    Entscheidend kst nicht, wieviel Geld wir drucken. Entscheidend isr, wie wir den „Rest“ der Welt vom Wert unseres Geldes überzeugen.

  5. 20.

    Das mag in ihrer ideologisch geprägten Echokammer so aussehen. In der Realität hat RRG viele Folgen der extremen Sparwut abgemildert und endlich wieder investiert.

    Oder wollen sie behaupten "Mehr Geld für Polizei, Justiz und Bürgerdienste." wäre unwahr?

    "Dann haben Sie wohl in den letzten Jahren nicht aufgepasst oder wollen es nicht." Das trifft genau auf sie zu. Deshalb bleiben sie uns Beispiele schuldig und belassen es bei nebulösen Andeutungen für die sie keine Belege haben.

  6. 19.

    Viel weniger Steuereinnahmen durch unterbundenen Konsum, nicht mögliche Reisen und Übernachtungen und nicht mögliche Restaurantbesuche und vieles mehr.
    Dem gegenüber stehen hohe Ausgaben für Coronaunterstützungen. Jetzt Aufbauhilfen für die Flutopfer. Ausgaben für Pflegeheime steigen stark an. Die Pensionszahlungen steigen stark. Die Steuerzuzahlungen zur Rentenkasse steigen weiter an. Ich möchte vor der Wahl wissen wie diese riesigen Mehrausgaben finanziert werden?

  7. 18.

    "denke ich das eine Deutschland-Koalition noch das beste wäre mit den FW". Den FW? Dieser 0,3 % Partei als Fünfte Kolonne der rechtsextremen AfD?

    Und Deutschland-Koalition scheint das neue Lieblingswort der Rechten und Rechtsextremen hier zu sein.

  8. 17.

    Wer hat dagegen geklagt und gezeigt dass ihnen die Berliner Mieter völlig egal sind? Die cDU und FDP.

    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-verfassungsgerichtshof-cdu-und-fdp-klagen-gegen-mietendeckel/25857444.html

  9. 16.

    Wer hat dagegen geklagt und gezeigt dass ihnen die Berliner Mieter völlig egal sind? Die cDU und FDP.

    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-verfassungsgerichtshof-cdu-und-fdp-klagen-gegen-mietendeckel/25857444.html

  10. 15.

    Dann haben Sie wohl in den letzten Jahren nicht aufgepasst oder wollen es nicht. Diese Stadt wir durch RRG kaputt gemacht und gespalten.

  11. 14.

    Wer hat dagegen geklagt und gezeigt dass ihnen die Berliner Mieter völlig egal sind? Die cDU und FDP.

    https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-verfassungsgerichtshof-cdu-und-fdp-klagen-gegen-mietendeckel/25857444.html

  12. 13.

    Wenn Sie damit den Mietendeckel meinen. Den haben nicht CDU und FDP verhindert. Das Gesetz wurde als verfassungswidrig eingestuft, da Berlin diesbezüglich keine Gesetzgebungskompetenz hat. Auch in Berlin muss man sich an geltendes Recht halten. Gesetze gelten für alle, auch wenn Ihnen das nicht zu passen scheint.

  13. 12.

    "Diese Statistik zeigt anschaulich wer Berlin in den letzten Jahren abgewirtschaftet hat." Stimmt, die cDU und die sPD.

    "Leider ist keine Besserung in Sicht es wird nur noch schlimmer so wie die Prognosen aussehen." Immerhin ist in vier Jahren RRG mehr passiert als in den Jahrzehnten davor. Mehr Geld für Polizei, Justiz und Bürgerdienste. Hätte die FDP und cDU das nicht verhindert wäre sogar der große Wurf gegen das Abzocken von Mietern gelungen.

  14. 11.

    Ihre Darstellung für das Jahr 2016 ist falsch. Mindestens in einem Punkt. WK 5 Treptow-Köpenick gewann Tom Schreiber.

  15. 10.

    Hoffentlich geht der Katastrophen-Senat dem Ende zu. Auch wenn ich der SPD gerne Abstürzen sehen würde, denke ich das eine Deutschland-Koalition noch das beste wäre mit den FW

  16. 9.

    In dem Maße, in dem Straftaten im Internet begangen werden und auch der Anlass für Ermittlungen vermehrt dort zu finden ist, müssen die Ermittler mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden. Wie man das dann nennt, ist eine Frage der Perspektive. Man sollte auch bedenken, dass wir in einem mit div. Kontrollinstanzen ausgestatteten Rechtsstaat leben und in keiner Diktatur. Und ohne unser Zutun wird sich auch nicht ändern.

  17. 7.

    Hier sollten die Veränderungen dokumentiert werden. Insofern hatte die Information schon ihre Berechtigung.

  18. 6.

    Diese Statistik zeigt anschaulich wer Berlin in den letzten Jahren abgewirtschaftet hat. Leider ist keine Besserung in Sicht es wird nur noch schlimmer so wie die Prognosen aussehen.

  19. 5.

    Mich interessiert das.
    Es zeigt wie die langjährigen politischen Parteien und Politiker durch ihre Politik, ihre Handlungen exorbitant politisches Vertrauen verspielt haben.
    Es zeigt wie die langjährigen politischen Parteien und Politiker durch ihre Politik, ihre Handlungen extremischte Kräfte befördert haben.
    Kinderarmut, stark gestiegende Altersarmut, extrem asozial ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung, prozentual(!) extrem ungleiche Steuer- und Sozialabgabenlast. Das ist das Ergebnis nach 30 Jahren dieser Politik.

  20. 4.

    Seit 1995, ist die Gruppe der Nichtwähler die stärkste Kraft in Berlin.
    Und, was hat es gebracht? Eine statistische Randnotiz und (geheucheltes) Bedauern der gewählten Politiker am Wahlabend.
    Eine nicht abgegebene Stimme bewirkt leider überhaupt nichts - genauso wenig, wie ein absichtlich ungültig gemachter Wahlzettel.

    Wenn man also mit den etablierten Parteien nichts anfangen kann, oder sie schlichtweg für unwählbar hält, so stehen einem -gerade hier in Berlin- eine große Auswahl an bedeutungslosen Parteien zur Verfügung, bei denen man seine Kreuzchen machen kann.
    Und wenn sich der überwiegende Teil der Nichtwähler davon überzeugen ließe, ihre Kreuzchen wenigstens bei den "Underdogs" zu machen, dann dürfte -von der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses mal ganz abgesehen- zumindest der Wahlabend ziemlich amüsant werden.


    @rbb|24:
    Danke, für die statistische Aufbereitung der vorhergehenden Berlin-Wahlen!
    Ist mal Sehr interessant, das im Vergleich zu sehen.

  21. 3.

    Es ist spannend wie sich die Einschränkungen der Freihheitsrechte und Grundrechte von Millionen Berlinerinnen und Bundesbürgerinnen auf die Wahlen auswirken. Wenn es keine größeren Veränderungen / Proteste gibt kann die nächste Stufe der zunehmenden digitalen Überwachung jeder einzelnen Bürgerin und jedes Bürgers weiter geführt werden: die Reduzierung des Bargeldverkehrs und die Zunahme des bargeldlosen Zahlungsverkehrs.

  22. 2.

    Die hier vorgelegten Grafiken zeigen mehr oder weniger, das Berlin noch immer in Ost und West geteilt ist. Der Westen ist schwarz geblieben und der Osten ist rot geblieben, sicher gibt es ein paar Farbwechsel, aber unterm Strich ist die Ausrichtung der Stadtteile gleich geblieben.

  23. 1.

    Wen interessiert heute noch, wer vor 30 Jahren gewählt wurde.

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