Neue Vorwürfe gegen Berliner SPD-Chefin - Auch Giffeys Masterarbeit soll Plagiate enthalten

Franziska Giffey soll nicht nur bei ihrer Doktorarbeit umfangreich abgeschrieben haben. Ein FU-Wissenschaftler sagt, sie habe auch bei ihrer Masterarbeit unsauber gearbeitet. Im Wahlkampf wird dies wohl eine Fußnote bleiben. Von Thorsten Gabriel
Anatol Stefanowitsch hat sich viel Mühe gemacht – aber ihm war es wichtig. Nach dem Aufdecken der Plagiate in Franziska Giffeys Dissertation habe es "sich aufgedrängt", eine weitere wissenschaftliche Arbeit der SPD-Politikerin genauer anzuschauen, sagte er dem rbb. Dass der Philologe an der Freien Universität (FU) damit in den Wahlkampf eingreift, ist ihm durchaus bewusst. Ihm habe einfach "ein Anerkennen seitens Frau Giffey und auch der SPD gefehlt, dass man da nicht einfach weitermachen kann, als ob nichts ist", sagte er Radioeins.
Er habe herausfinden wollen, ob Giffeys Dissertation mit den nachgewiesenen Plagiaten ein Ausnahmefall war oder ob es ein System "im Laufe ihrer akademischen Karriere" gab. "Und als mir die Masterarbeit in die Hände fiel, habe ich die ersten drei Seiten durchgeguckt und gleich ein Dutzend plagiierte Stellen gefunden. Da habe ich mir den Rest natürlich auch noch angeguckt."
"Muster erkennbar wie in Giffeys Dissertation"
Monatelang durchforstete Stefanowitsch gemeinsam mit einem Politikwissenschaftler Giffeys Masterarbeit. Die SPD-Politikerin hatte sie 2005 noch unter ihrem Geburtsnamen Franziska Süllke verfasst. Die Arbeit mit dem Titel "Der Europapreis der Parlamentarischen Versammlung des Europarats" legte sie an der Fachhochschule für Verwaltung Rechtspflege Berlin – heute Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) – und der Technischen Fachhochschule Wildau vor.
Seine Recherchen hat Stefanowitsch nun in einem Bericht zusammengefasst, der dem rbb vorliegt. Insgesamt 62 Fundstellen sind darin aufgelistet, bei denen der FU-Professor ein Muster erkennt, wie es bereits aus Giffeys Dissertation bekannt sei: "Es werden Sätze – manchmal ganze Absätze – aus einer Quelle übernommen, die Quelle wird auch genannt, manchmal direkt, manchmal auch davor oder dahinter, aber diese Passagen sind nicht als Zitate gekennzeichnet."
Grundwissen aus dem ersten Semester missachtet
So heißt es beispielsweise in der Masterarbeit:
"Durch den Standort des Europäischen Fremdsprachenzentrums ist Graz in den letzten Jahren europaweit zu einem Synonym für praxisorientierte Umsetzung von Innovationen und Empfehlungen des Europarates im Sprachenbereich geworden. Außerdem finden in Graz immer wieder innovative Gründungen im Sprachenbereich statt, die sich zum Gesamtbild von Graz als 'Stadt der Sprachen' fügen."
Die Internetquelle – ein österreichisches Fachsprachenzentrum – aus der Giffey dabei zitiert, lautet nahezu wortgleich [web.archive.org/.../www.ecml.at]:
"Durch den Standort des Europäischen Fremdsprachenzentrums ist Graz in den letzten Jahren europaweit zu einem Synonym für praxisorientierte Umsetzung von Innovationen und Empfehlungen des Europarats im Sprachenbereich geworden. Außerdem finden in Graz immer wieder innovatione [sic] Gründungen im Sprachenbereich statt, die sich zum Gesamtbild von Graz als 'Stadt der Sprachen' fügen."
An anderer Stelle schreibt Giffey:
"Eine große Zahl junger, weitgehend schlecht gebildeter und unausgebildeter, vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossener und ökonomisch schlecht gestellter Migrantenkinder steht einer relativ großen Zahl deutscher; noch relativ gut abgesicherter älterer Menschen gegenüber. Es besteht die Gefahr, dass sich der Generationenkonflikt durch einen ethnischen Konflikt verstärkt."
Diese Sätze finden sich praktisch identisch in einer Publikation des Bezirksamts Neukölln:
"Eine große Zahl junger, weitgehend schlecht gebildeter und unausgebilderter, vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossener und ökonimisch schlecht gestellter Migrantenkinder sieht sich einer großen Menge deutscher, noch relativ gut abgesicherter Renter/innen gegenüber. Damit besteht die Gefahr, dass sich der Gernerationenkonflikt durch einen ethnischen Konflikt verstärkt." (Rechtschreibfehler gemäß Dokumentation Stefanowitsch.)
In beiden Fällen gibt Giffey zwar Quellen an, macht aber nicht durch Anführungszeichen deutlich, dass die Absätze komplett abgeschrieben sind. Für Stefanowitsch ist das nicht zuletzt in der Häufung nichts, was sich als Nachlässigkeit interpretieren lassen könnte. "Das ist ja keine hohe Kunst des wissenschaftlichen Arbeitens, sondern das ist Grundwissen aus dem ersten Semester." Und das sei nun mal ein schwerer Verstoß gegen die wissenschaftliche Integrität.
Giffey lässt ihren Anwalt antworten
Franziska Giffey selbst schweigt zu den neuen Vorwürfen. Nur ihr Anwalt Michael Philippi gibt auf Nachfrage Auskunft. Sollte Giffey wörtlich Übernahmen nicht hinreichend als solche kenntlich gemacht haben, sei dies "ohne Absicht" geschehen. "Wenn hierbei Fehler unserer Mandantin bei der Zitatform von Quellen aufgetreten sind, beruhen diese allein auf Flüchtigkeit."
Die politische Konkurrenz will Giffey das so einfach nicht durchgehen lassen. "Wenn sich das bestätigt, dann ist für mich ganz klar die Glaubwürdigkeit von Frau Giffey, die ohnehin schon sehr in Frage stand, noch sehr viel mehr beschädigt", reagiert etwa die Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr. Der wissenschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion Martin Trefzer sagt, Giffey sei "jetzt als Wiederholungstäterin überführt und ihre Schutzbehauptung, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, fällt wie ein Kartenhaus zusammen". Er fordert erneut, Giffey solle ihre Spitzenkandidatur zurückziehen.
CDU: "Nicht Aufgabe politischer Parteien, Masterarbeiten zu bewerten"
Auffällig diplomatisch reagiert dagegen der Generalsekretär der CDU Stefan Evers. Er sagt, dass einerseits die wichtigste Währung in der Politik Verlässlichkeit und Vertrauen seien. Da sei es nicht gut, wenn der Eindruck systematischen Kopierens entstehe. Hier sei Frau Giffey gefragt dies aufzuklären. Aber: "Andererseits ist es auch nicht die Aufgabe politischer Parteien, Masterarbeiten zu bewerten."
Evers vergleichsweise zurückhaltende Reaktion passt gut dazu, dass auch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner in den vergangenen Monaten auf allzu große Attacken gegen die SPD-Konkurrentin verzichtet. Giffey wiederum signalisierte zuletzt immer wieder mehr als nur in Zwischentönen, dass es deutliche inhaltliche Schnittmengen zwischen den Parteien gibt. Was die Noch-Koalitionspartner der SPD, also Grüne und Linke, mit einigem Argwohn wahrnehmen.
Keine Folgen für Giffey absehbar
Unterm Strich bedeutet dies aber auch: Wenn die CDU als größte Oppositionspartei auf schweres Geschütz verzichtet, kann Giffey durchatmen. Denn auch in Umfragen hat ihr die bisherige Plagiatsaffäre keine Einbußen gebracht. In den sozialen Medien wird von vielen eher Verständnis geäußert und stattdessen in Giffeys Leitsatz eingestimmt, dass ein akademischer Titel am Ende ja gar nicht so wichtig sei.
Auch rechtlich haben die neuen Vorwürfe, wie es aussieht, keine Folgen für die SPD-Spitzenfrau. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) teilte dem rbb auf Nachfrage mit, dass sie die Masterarbeit nicht nochmals prüfen wird. "Eine solche Überprüfung ist nach einer Frist von fünf Jahren ab dem Datum des Zeugnisses ausgeschlossen."
Sendung: Radioeins, 20.08.2021, 14.38 Uhr