Interview | Bezirksbürgermeister Benn - "Bei den Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken ist nicht alles besonders logisch"

Fr 22.10.21 | 12:57 Uhr
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"Sören Benn"; © rbb/Michel
Audio: Inforadio | 22.10.2021 | Interview mit Bezirksbürgermister Sören Benn | Bild: rbb/Michel

Ein großes Thema bei den Berliner Koalitionsverhandlungen ist eine Reform der Verwaltung. Der Pankower Bürgermeister Sören Benn (Linke) begrüßt, dass das Problem angegangen wird. Doch auch an anderer Stelle sieht er Handlungsbedarf.

rbb: Herr Benn, bei den Wahlpannen wurde wieder sichtbar, dass die Verantwortung für das Desaster zwischen Landeswahlleitung, Bezirken und Senat hin und her geschoben wurde. Warum passiert das immer wieder in Berlin?

Sören Benn: Die Zweistufigkeit, also die ungeteilte Verantwortung zwischen Senat und Bezirken, ist natürlich eine Herausforderung und eigentlich eine gute Idee. Aber wenn die nicht zu Ende gedacht, geplant und organisiert ist, sondern überall lose Enden sind, führt es natürlich immer wieder dazu, dass die Verantwortung auf zu vielen Schultern verteilt ist.

Am Ende ist es auf so vielen Schultern verteilt, dass sie irgendwann zwischen den Schultern durch diffundiert und niemand mehr so richtig haftbar und dingfest gemacht werden kann für bestimmte Fehlleistungen. Das ist ein ernsthaftes Problem, aber schon seit Jahrzehnten.

Sie sprechen sich für eine Verfassungsreform aus. Was sind die Kernpunkte, die Ihrer Meinung nach geändert werden müssten?

Wir haben ja sogenannte Richtlinienkompetenzen. Wenn jemand wie Klaus Wowereit sagt, schon zu seiner Zeit hätte er sich über X und Y geärgert, dann glaube ich ihm das. Aber er hat es ja damals auch nicht geschafft, wenn er Probleme wahrgenommen hat, sich gegenüber den anderen Senatsverwaltungen und der Verwaltung bis in die Bezirke hinein durchzusetzen.

Das hat damit etwas zu tun, dass auch ein Regierender Bürgermeister, aber zum Beispiel auch ein Bezirksbürgermeister, letztlich keine Durchgriffsrechte in die Tiefe der Verwaltung hat. Sondern wir haben ja sowohl in den Bezirken als auch in den Senatsverwaltungen so etwas wie Fach- und Ressourcenkompetenzen der einzelnen Bereiche.

Jeder Stadtrat hat seine eigene Fach- und Ressourcenkompetenz. Da kann ein Bezirksbürgermeister ihnen nicht wirklich reinregieren, sondern muss permanent Überzeugungsarbeit leisten. Das ist auch oft nicht erfolgreich.

Wir haben außerdem das Problem, dass bei den Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken nicht alles besonders logisch ist. Es ist zum Beispiel nicht logisch, warum die Schulverwaltung für die inneren Schulangelegenheiten, also für das, was in den Klassenräumen inhaltlich stattfindet, zuständig ist. Und die Bezirke für die Hausmeister, die Klassenräume und die Stühle. Das passt nicht zusammen. Das kann man so nicht machen.

Es ist zum Beispiel nicht logisch, warum die Schulverwaltung für die inneren Schulangelegenheiten [...] zuständig ist. Und die Bezirke für die Hausmeister, die Klassenräume und die Stühle. Das passt nicht zusammen.

Sören Benn (Linke), Bezirksbürgermeister in Pankow

In den Stadtstaaten, die zentralistisch organisiert sind, wie zum Beispiel Hamburg, scheint es deutlich besser zu laufen, zumindest bekommen sie ihre Wahlen ohne Probleme hin. Wäre das nicht ein Argument für eine Umorganisation in diese Richtung, also tatsächlich weniger Macht in den Bezirken?

Dass es in Hamburg klappt, hat mit Sicherheit nicht nur etwas mit der anderen Struktur zu tun, sondern auch damit, dass Hamburg diese harten Sparjahre, wie Berlin sie hatte, niemals hatte.

Heißt das, es würde schon helfen, wenn man einfach mehr Geld und mehr Personal reinsteckt?

Es ist, wie gesagt, nicht nur ein Strukturproblem, sondern es ist auch ein Personalproblem. Wir sind in Berlin immer noch massiv unterausgestattet nach den Sparjahren in den Berliner Bezirken. Da können sie reformieren, was sie wollen. Wenn sie nicht genug Personal für die Dienstleistungen an Bord haben, die die Bürgerinnen und Bürger in Anspruch nehmen möchten, dann nützt auch keine Strukturreform.

Das heißt, wir müssen uns angucken: Was sind eigentlich die Bedarfe? Wie viel Personal braucht man für bestimmte Dienstleistungen? Und nichtsdestotrotz brauchen wir trotzdem eine Beschleunigung der Verwaltungsabläufe.

Die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat angekündigt, dass sie ein Verfassungskonvent machen möchte. Geht es jetzt in die richtige Richtung?

Wie das heißt, ist mir völlig egal. Aber richtig ist - und das hatten wir ja damals auch schon gefordert: Man darf sozusagen die Denkgrenze nicht an einer Verfassung ausmachen. Wir haben uns in den letzten fünf Jahren immer mit der Forderung auseinandergesetzt: Alles, was ihr macht, muss unterhalb der Verfassungsänderung sein.

Es ist gut, wenn dieses Dogma jetzt aufgehoben ist und man frei denken und sich eine Struktur überlegen kann, die sozusagen an dieser Grenze nicht Halt macht, sondern wo nötig, dann eben auch die Verfassung ändert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Bezirksbürgermeister Sören Benn führte Dörthe Nath, Inforadio.

Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 22.10.2021, 07:05 Uhr

17 Kommentare

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  1. 17.

    Ein dem Bürger und Steuerzahler verpflichteter sorgfältiger Umgang mit Geld ist unabhängig von Zentralismus oder Föderalismus. Analysieren Sie nur einmal wie die Gelder in der Pandemie verwendet wurden. Hier wurde ausweislich der Pressemitteilungen der Länder vielfach investive Ausgaben mit dem Etikett Covid versehen, obwohl sie nach Sinn und Zweck der Ausnahmeregel der Schuldenbremse überhaupt nicht darunter fallen. Es geht hier nur für die Klientel der regierenden Partei in den Ländern Wohltaten zu vergeben bzw. Versäumnisse der vergangenen fetten Jahre nachzuholen!
    Schauen Sie sich die Hildesheimer Erklärung der Rechnungshöfe an, oder lesen Sie die Berichte der Rechnungshöfe.
    Berlin zeichnet sich im besonderen dadurch aus, dass Gelder für Zwecke verwendet werden, die im Grunde Fehlinvestitionen sind und dort wo es erforderlich ist, da wird seit Jahren kein oder zu wenig Geld investiert, wie z.B. Infrastruktur oder Ansiedlung von Gewerbe und Industrie oder Wohnungsbau. Ach ja war Ihnen bekannt, dass die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin die Schulen neu errichten und diese im Schnitt das Doppelte kosten als würden die Schulen vom Land errichtet. Sieht so eine effektive Verwaltung der Steuereinnahmen aus? Nein, das ist Verschwendung!

  2. 16.

    Weil in HH die Verwaltung nicht so sehr von politischen Streitereien beeinflusst ist. Die Berliner Bezirksämter werden von Politikern geleitet. Da ist Kompetenzgerangel vorprogrammiert. Es gibt keine vergleichbare Strukturen in anderen Städten. Die Bezirke Berlins sind keine Kommunen, benehmen sich aber so.

  3. 15.

    Ich versuche mich seit Monaten in das Thema Schwerbehinderung für meinen Sohn einzuarbeiten. Es gibt tausend Ansprechpartner und Publikationen. Alle sind sehr bemüht. Und trotzdem kann einem NIEMAND einfachste Fragen beantworten. Und das tut jedem leid.

  4. 14.

    Ich versuche mich seit Monaten in das Thema Schwerbehinderung für meinen Sohn einzuarbeiten. Es gibt tausend Ansprechpartner und Publikationen. Alle sind sehr bemüht. Und trotzdem kann einem NIEMAND einfachste Fragen beantworten. Und das tut jedem leid.

  5. 13.

    "Es ist dringend notwendig, hier stark zu zentralisieren." Wir sind eine dezentrale Bundesrepublik, mit allen Vorteilen.

    "Das Argument mit den besseren Finanzen in Hamburg mag richtig sein, aber gerade bei wenig Geld muß man effizient handeln und zentral steuern."

    Also eine DDR 2.0?

  6. 12.

    Ich habe (nur) über eine Woche gebraucht um für meine 86jahrige alte Mutter einen Termin für eine Personalausweißverlängerung zu bekommen.
    Bis zum 17. Dezember alles ausgebucht.
    Was läuft in diesem Land schief? Faild Stade? Ja!!!

  7. 11.

    Haben Sie schon einmal etwas von den vom Ausfall bedrohten Schiffskrediten gehört, die die im Portfolio hatte? Diese wurden in die Bad Bank die Eigentum von Hamburg und Schleswig-Holstein ist übertragen. Laut Presse soll ab nächsten Jahr aus den Sondervermögen in die Extrahaushalte übertragen werden. M.E. Macht das für jedes der beiden Länder eine zusätzliche Kreditaufnahme von rund 3,7 Mrd. € aus. Die Bürgschaften sind im Jahr 2019 fällig geworden und trotzdem steht Hamburg solider dar als Berlin.

  8. 10.

    Nun dann prüfen Sie doch einmal die Fachserie zur vierteljährlichen Kassenstatistik in der Auslaufperiode für 2008 (Veröffentlicht in der entsprechenden Fachserie für das 1. Quartal 2009). Schauen Sie auf Nettokreditaufnahme und den Finanzierungssaldo! Das Gleiche biete für die Auslaufperiode 2009 für Hamburg und Schleswig-Holstein. Danach sprechen wir weiter!

  9. 9.

    Die HSH wurde von Scholz & Günter mit Aussenstände in höhe von ca. 9 Mrd. € für 1 Mrd. € "verschenkt", dagegen hat Berlin bis 2018 7 Mrd. € wegen des Landesbankskandal überwiesen.

  10. 8.

    Herr Benn ignoriert, dass Hamburg die HSH-Bürgschaften am Hals hatte und die Bank verkauft wurde, wurden die Bürgschaften vom Käufer gnadenlos gezogen. Zusätzlich wurde und das kann jeder in der Presse nachlesen eine Bad Bank eingerichtet für die Hamburg und Schleswig-Holstein gerade stehen müssen. Also für Hamburg rundgerechnet zusammen bis zu 7 Mrd. € Schulden, mehr als der Bankenskandal in Berlin.
    Er hat nur Angst, dass er noch mehr zum Grüssaugust wird und vom Senat alles zentralistisch regiert wird. Zudem sind von den drei Staatstaaten nur einer wirtschaftlich erfolgreich und zwar Hamburg. Vielleicht schaut der eine oder andere geneigte Leser sich einmal an, wie z.B. Wirtschaftsförderung oder Wohnungsbau ala Hamburg geht.

  11. 7.

    Berlin hat pro 1.000 Einwohner mehr (!) Öffentlich Bedienstete als Hamburg und als alle anderen Bundesländer. Warum funktioniert der ÖD in Hamburg besser als in Berlin? Struktur- oder Motivationsproblem?

  12. 6.

    Es ist dringend notwendig, hier stark zu zentralisieren. Spätestens die Covid-Krise hat doch überdeutlich gemacht, daß der Förderalismus eine Katastrophe ist. Auch eine Zentrale kann Maßnahmen nach lokalen Inzidenzen/Werter/Verhältnissen abstufen. Aber es gilt überall das gleiche Rahmenwerk. Das dieses Unding mit den Bezirken/Zentrale in Berlin nicht funktioniert, haben doch längst alle bemerkt. Aber keiner der Egoisten an den Schaltstellen will Macht abgeben. Politiker/Dezernenten werden heute nicht Führungskräfte wegen ihres sozialen Charakters sondern wegen ihrer Durchsetzungsfähigkeit und ihres Machtinstinktes. Und das macht sie zu Egoisten. Das Argument mit den besseren Finanzen in Hamburg mag richtig sein, aber gerade bei wenig Geld muß man effizient handeln und zentral steuern.

  13. 5.

    "Sparjahre" ist nur eine Ausrede, weil die Bezirke peinlich darauf achten keine Macht abzugeben. Eine große Verwaltungsreform findet auch deshalb keine Mehrheiten. Berlin ist im Vergleich zu Hamburg nicht Personal unterbesetzt. Die ÖD-Quote ist an der Spree sogar höher als an der Elbe. Das Personal sitzt nur auf den falschen Stellen.

  14. 4.

    Denke, dass die meisten Bürger sich wünschen, daß es funktioniert, egal wie es heißt. Welche Zuständigkeiten bzw. Unzuständigkeiten welcher Verantwortliche oder Nicht- Verantwortliche hat, ist dem Bürger relativ egal. Nur das Ergebnis ist entscheiden.
    Das passt aber bisher nicht zur Berliner Verwaltung.

  15. 3.

    Wenn die Bezirke für die Hausmeister zuständig sind und die Schulverwaltung für die inneren Schulangelegenheiten zuständig ist, dann spricht man von UNgeteilter Verantwortung für Schulen? Komische Logik.

  16. 2.

    Ok der Kommentar richtete sich an Frau XX nicht an Herrn XY. Trotzdem gild das für beide Geschlechter.

  17. 1.

    Die große Herausforderung ist ja nicht ja die ungeteilte Verantwortung, sondern das Hin- und Hergeschachere i. S. eines ausgesprochenen Kuhhandels. Da geht es abseits von Inhalten auch um persönliche Eitelkeiten, die eine aufs Infotainment ausgerichtete Medienlandschaft dann noch genüsslich befeuert.

    Niemand will dabei "der Verlierer" sein.

    Eine Aufgabenteilung quasi aus dem inneren Kern einer Angelegenheit heraus, das wäre m. E. wunderbar. Dass das käme, darin bin ich skeptisch.

    Abzuwehren wäre der Versuch, Berlin so einschmelzen zu wollen, wie Hamburg 1937 eingeschmolzen wurde. Das hat ein demokratisches Gemeinwesen nicht verdient, auf die bloße Formel reduziert zu werden: Hauptsache, es funktioniert.

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