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Video: rbb|24 | 08.09.2021 | Material: Abendschau | Quelle: dpa/Jörg Carstensen

Berliner Spitzenkandidaten | Klaus Lederer (Linke)

Von links kommt Klaus

Klaus Lederer will für die Linke das Rote Rathaus erobern. Seine beste Chance ist allerdings eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün. Nebenbei ist er das Gesicht einer neuen Linken. Von Sebastian Schöbel

Klaus Lederer schlingt noch schnell eine Bratwurst hinunter, dann läuft er Richtung Bühne. Das Bad in der Menschenmenge auf dem Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg hat er da bereits absolviert. Und sogar ganz gut, wie sein Wahlkampfteam beinahe überrascht feststellt. Für den belanglos-freundlichen Smalltalk mit Wähler:innen sei er ja nicht unbedingt zu haben, sagt ein Lederer-Vertrauter. Was nicht als Kritik gemeint ist: Der schlaksige 47-jährige Jurist mit Doktortitel, dessen Grinsen ansatzlos von freundlich zu spöttisch wechseln kann, redet gerne mit Menschen. Aber das Plaudern liegt ihm nicht so sehr, eher das Diskutieren.

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Der Kommunikator

Denn selbst, wenn er es meistens viel zu schnell tut: Reden kann Lederer. Ihm eilt der Ruf als sehr guter Kommunikator voraus. Einer, der sich in sein Gegenüber hineindenken kann und sein Publikum "abholt", wie man sagt. So wie hier auf dem Anton-Saefkow Platz. Lederer verzichtet auf literarische Verweise, die er zu fast jedem Thema parat hat, stattdessen bedient er sich an der Geschichte. "Dieser Ort repräsentiert den dringend notwendigen sozialen Wohnungsbau der 1970er Jahre", sagt er - und verbindet rhetorisch sogleich die Ostberliner Plattenbauten, die ihn umringen, mit seinem wichtigsten Wahlkampfthema: Wohnen.

Hier, am Fennpfuhl, sei "die erste Plattenbau-Siedlung der DDR“ entstanden. Später hätten Kommune und Genossenschaften die Platten saniert und bewirtschaftet. "Hier wurden Wohnen, Nahversorgung, Bildung, Soziales, Kultur, Sport und Erholung auf dichtem Raum zusammengebracht." Vor allem die Älteren im Publikum nicken. "Bezahlbar, sozial, nachhaltig: So geht Stadt", schiebt Lederer hinterher.

Für profitorientierte Immobilienkonzerne, denen Lederers Partei im Wahlkampf mit Enteignung droht, ist in dieser Vision aber kein Platz. Genauso wenig wie für Panikmache vor Verstaatlichung im DDR-Stil. "Ich will nicht jeden Kiez mit der Filiale einer Staatsbäckerei beglücken." Die Jüngeren applaudieren, die Älteren schmunzeln: Ihnen galt die Pointe über Staatsdirigismus bis zum Küchentisch, den haben die meisten von ihnen im real existierenden Sozialismus selbst erlebt.

Aufgewachsen in der Platte

Das Leben in der Ost-Platte kennt Klaus Lederer aus eigener Erfahrung. Geboren in Schwerin, wuchs Lederer zunächst in Frankfurt (Oder) auf, bevor die Eltern nach Berlin-Hohenschönhausen zogen. Ausgerechnet Hohenschönhausen, wo ihm Jahrzehnte später die Entlassung des Chefs der Gedenkstätte für Stasiopfer, Hubertus Knabe, den Vorwurf einbringt, er sei einer der ewig gestrigen Linken: im Herzen immer noch SED, blind für die Verbrechen der Stasi.

Lederer gehört allerdings zu den linken Politiker:innen, deren DDR-Nostalgie aus Altersgründen nicht politisch wichtig ist, sondern rein privat, als Erinnerung an eine Heimat, nicht ein System. In ihren Biografien finden sich keine Geschichten von Verstrickung mit dem Regime, aber auch keine des Widerstands dagegen.

Nicht jedem in der Partei gefiel das. Die Zeitung "Der Freitag" nannte ihn 2018 die Personifizierung einer "urbanen akademischen neuen Linken, die gern einmal in den Verruf gerückt wird, alte Prinzipien zu verraten". Lederer ist das Gesicht einer neuen Sozialisten-Generation, zusammen mit Abgeordneten wie Anne Helm und Sebastian Schlüsselburg, Jahrgang 1986 und 1983. Politisch sozialisiert wurden sie erst nach dem Mauerfall.

Den erlebte Lederer als Teenager. Dem Biographen Hans-Dieter Schütt hat er von Fahrten in Opas Trabant, Fahrradtouren zum Helenesee und Besuchen im Planetarium erzählt. Die Eltern beschreibt er als loyal aber nicht unkritisch, sie seien beide nie darauf angewiesen gewesen, "in einem System den hauptsächlichen Halt zu finden". Den gewaltigen Umbruch der Wende und die Ankunft in einer neuen Gesellschaft hätten sie wie so viele andere Ostdeutsche gemeistert: mit Anstrengung, aber klaglos.

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Pragmatismus statt reiner Lehre

Lederer trat 1992 der PDS bei, 13 Jahre später wurde er ihr Landeschef und moderierte den Zusammenschluss mit der deutlich links-radikaleren WASG. Er bemühte sich stets, die Partei regierungs- und koalitionsfähig zu halten, gegen die verbissenen Vertreter der reinen linken Lehre. Dem Mann, für den Karl Marx literarische "Dauernahrung" ist, findet ideologische Orthodoxie und rote Haltelinien suspekt, mitgestalten zum Preis eines akzeptablen Kompromisses ist ihm wichtiger, bis heute. "Im Leben im Kapitalismus wähne ich mich wach und kritisch", sagt er in Schütts Buch "Die Sterne über Berlin", "aber ich sehe auch nicht überall den ewigen Klassengegner."

Die Causa Knabe

Seine Kritiker sehen das freilich anders, und sie fühlten sich mal wieder bestätigt, als Lederer den streitbaren Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte, Hubertus Knabe, entließ. Offiziell, weil er in der Gedenkstätte nichts unternommen habe, um eine Kultur des Sexismus und der Diskriminierung gegenüber Frauen zu beenden. Tatsächlich aber sei das eine "Retourkutsche" gewesen, so der CDU-Politiker Hans-Christian Hausmann, für den wegen verschwiegener Stasi-Mitarbeit geschassten Staatssekretär Andrej Holm. Knabe hatte dessen Rauswurf aktiv betrieben, indem er Holms Stasiakte an die Medien weitergab. "Knabe ist für die Linke unbequem, weil er mit dem Finger auf die DDR-Unrechtsdiktatur zeigt und zu Recht anmahnt, dass es immer noch solche Ewiggestrigen gibt", sagt Hausmann.

Lederer hat solche Vorwürfe stets von sich gewiesen. Knabe habe gehen müssen, weil er keine verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit gewesen sei, nicht wegen seiner politischen Einstellung. Und er verweist darauf, dass nicht er allein über Knabes Entlassung entschieden habe, sondern der gesamte Stiftungsrat der Gedenkstätte, also auch die CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters und ihr Parteifreund Dieter Dombrowski, Chef der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Dass er Knabes teils fanatische Art, die DDR im Alleingang aufzuarbeiten, allerdings ebenfalls ablehnte, darum hat Lederer nie ein Geheimnis gemacht. "Der undifferenzierten Gleichsetzung etwa von Nazi- und SED-Diktatur gewinne ich nichts ab", sagt Leder in Schütts Biografie.

Kein Typ für Radau

Bloß nicht aufplustern, Eitelkeiten und unnötige Streits vermeiden, pragmatisch Lösungen suchen und finden: Lederer hat seine Partei in den vergangenen fünf Jahren immer wieder zum Ruhepol der rot-rot-grünen Koalition gemacht. "Radau als solcher ist kein Qualitätsmerkmal von Politik", sagte er schon 2006 der “Berliner Zeitung”.

Natürlich ist auch das Kalkül: Eine andere Option zum Mitregieren als Rot-Rot-Grün hat die Linke nicht. Deswegen wirbt niemand im Wahlkampf so intensiv dafür, dass es weitere fünf Jahre miteinander werden. Trotz aller Differenzen. Schließlich habe man viel erreicht, ruft er der Menge am Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg zu, "darauf muss man doch auch mal stolz sein". Dass sich zuletzt die Angriffe auf SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey häuften, weil die schon jetzt eine Koalition mit CDU und FDP auslotet, ist daher auch ein Stückweit Verzweiflung: Spaß an Opposition aus Prinzip hat die Linke unter Lederer schon längst nicht mehr.

Gemeine Sticheleien spart sich Lederer deswegen tunlichst. Jüngst diskutierte sein Team die Idee, Plakate mit dem Spruch "Für Berlin Klaus, für die anderen Dr. Lederer". Ein interner Witz, gedruckt hätte man das Plakat nie, so Insider, zu offensichtlich der Seitenhieb auf Giffeys Plagiatsaffären. Lederer würde so etwas nie dulden.

Wie erfolgreich Lederer als Kultursenator agiert, offenbart in diesen Tagen eine Anzeige von 100 Kulturschaffenden der Hauptstadt: Künster:innen wie Martin Wuttke, Katharina Thalbach und Corinna Harfouch werben darin für ihn als Regierenden Bürgermeister.

Für sich selbst pflegt er aber das Image des Berufspolitikers auf Zeit. Er habe keine Karriere in diesem Beruf geplant, sagt er, den Zeitpunkt des Ausstiegs wolle er selbst bestimmen. "Ein Zeitpunkt, an dem ich noch ein Empfinden für die Zukunft habe."

Beitrag von Sebastian Schöbel

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