Wahlkampf mit Franziska Giffey - Mit Amt, aber ohne Bonus?

Mo 30.01.23 | 07:23 Uhr | Von Jan Menzel
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Wahlkampf mit Franziska Giffey (Quelle: rbb)
Video: rbb24 Abendschau | 29.01.2023 | Dorit Knieling | Bild: rbb

In den Umfragen steht die Berliner SPD knapp zwei Wochen vor der Wahl-Wiederholung auf dem dritten Platz. CDU und Grüne reklamieren das Rote Rathaus offensiv für sich. Doch Franziska Giffey kämpft auf ihre Art gegen den drohenden Machtverlust. Von Jan Menzel

Dieser Text ist Teil einer Reihe von Reportagen, welche die Spitzenkandidat:innen der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im Wahlkampf begleiten.

Leuchtend roter Mantel, weißer Schal und ein strahlendes Lächeln. Wie ein Leuchtturm steht Franziska Giffey auf der Wilmersdorfer Straße und ist im Pulk um den Wahlkampfstand nicht zu übersehen. Die SPD-Spitzenkandidatin drückt Hände, lässt Junge und Ältere Selfies schießen und verteilt Tütchen mit Give-Aways. Eine Bürgermeisterin zum Anfassen, eine Politikerin die zuhört, auch wenn's weh tut.

"Wissen Sie, was ich wählen werde?", fragt ein Rentner mit brauner Lederjacke, die graue Wollmütze tief in die Stirn gezogen, und gibt die Antwort gleich mit: "Die CDU!" Giffey reagiert nicht verdutzt, sie nickt und revanchiert sich mit einer Gegenfrage: "Wissen Sie, wer dann wahrscheinlich ins Rathaus kommt?" Dem Mann bleibt noch kurz Zeit "Wegner" einzuwerfen, den Nachnamen des CDU-Spitzenkandidaten, bevor die Regierende Bürgermeisterin wieder übernimmt: "Nee, Frau Jarasch. Wenn Sie CDU wählen, wird die SPD geschwächt."

SPD mit Druck von zwei Seiten

Tatsächlich wird ihre Partei in diesem Wahlkampf besonders intensiv von zwei Seiten in die Zange genommen. Da ist zum einen die CDU, die in den Umfragen zu enteilen scheint. Zum anderen kommen die besonders harten Attacken von den Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die mit der SPD in einer Koalition regieren. Beide Parteien wollen das Rote Rathaus erobern und Giffey muss sich fragen, in welcher politischen Konstellation sie ihr Amt eigentlich noch verteidigen kann.

Doch auch als ein Mitglied einer Kleinstpartei sie mit laufender Kamera überfällt und im Spontan-Interview aufs Glatteis führen will, bleibt die Regierende Bürgermeisterin bei ihrer Linie: "Also wissen Sie, ich bin hier, weil ich für eine starke SPD eintrete und ich mache niemals Koalitionswahlkampf, egal mit wem, sondern wir setzen uns für die SPD ein." Dabei lächelt sie so offen, als ob der Wahlkampf an diesem kalten Morgen mitten in einer zugigen Einkaufsstraße das Schönste auf der Welt wäre.

Und vielleicht ist es das ja auch. Die SPD-Spitzenkandidatin ist umringt von ihren Parteifreunden aus der City West, die die ganze Aktion in ein Heimspiel verwandeln. Sogar ihr Amtsvorgänger, der Bundestagsabgeordnete Michael Müller, schaut vorbei. Beide wechseln ein paar Worte, aber viel Zeit für ein Gespräch bleibt nicht, denn immer wieder bleiben Menschen stehen oder steuern direkt auf Franziska Giffey zu.

Fokus auf Erreichtes

Eine Frau erzählt von ihrer Tochter, die in Potsdam studiert, auf Bafög angewiesen ist und darunter leidet, dass alles immer teurer wird. "Haben sie mitbekommen, dass das Semesterticket für die Studierenden gesichert ist und dass auch die Studierenden ein Entlastungsgeld für Energie bekommen haben? Außerdem ist das Studieren gebührenfrei", entgegnet Giffey.

Andere Gespräche drehen sich um Kitaplätze, von denen im vergangenen Jahr 5.000 neu geschaffen wurden, wie die Regierende Bürgermeisterin betont. Dass günstige Wohnungen fehlen, nimmt Giffey als Ansporn, dass mehr beim Neubau passieren muss. Und wenn eine Frau ihr vorhält, dass die Unterstützung für neue Unternehmen nicht rund laufe, hält Giffey dagegen: Berlin stehe nach der Corona-Krise wirtschaftlich viel besser da als andere Bundesländer.

Es ist nicht so, dass Giffey am Wahlkampfstand in der Wilmersdorfer Straße mit harter Kritik konfrontiert wird. Die SPD-Spitzenkandidatin bekommt sogar recht viel Zuspruch. Eine Frau, die von sich sagt, sie komme aus der Wirtschaft, bescheinigt ihr: "Sie sind eine Hands-On-Frau und das ist, was gut ist." Und doch redet sich Giffey fast ein wenig in Rage, als sie das Gefühl bekommt, dass nicht gesehen wird, was der Senat unter ihrer Führung gemacht hat.

"Keiner hat hier Stromausfall und Blackout und alles gehabt. Die Energieversorgung ist sichergestellt. Und wir haben die Leute entlastet. Das sind doch alles Sachen, die sind nicht vom Himmel gefallen", sagt sie vehement und dabei wird klar, dass sie neben ihrem demonstrativen Optimismus auch auf den Amtsbonus einer Regierungschefin setzt, die die Stadt durch ein Krisenjahr gesteuert hat.

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Amtsgeschäfte und Wahlkampf

Wie gut sich die Amtsgeschäfte und der Wahlkampf verbinden lassen, lässt sich auch an einem Nachmittag im Rathaus von Spandau beobachten. Dort hat sich die Regierende Bürgermeisterin gemeinsam mit ihrem Bausenator Andreas Geisel zu einer Stippvisite angekündigt. Es geht um das neue Wohngeld Plus, mit dem Haushalte mit niedrigen Einkommen finanziell besonders unterstützt werden.

Die Erfassung und Bewilligung der Anträge stellt die Bezirke allerdings vor eine ziemliche Herausforderung, da sich die Zahl der Berechtigten in Berlin auf rund 75.000 Menschen verdreifachen dürfte. "Hallo, guten Tag allerseits", sagt die Regierende Bürgermeisterin als sie die Amtsstube betritt und den Mitarbeiterinnen im Wohngeldamt eröffnet: "Wir wollten uns einfach mal selber vor Ort ansehen, wie das funktioniert."

Zwei junge Regierungsinspektorinnen am Rechner demonstrieren Giffey daraufhin das Online-Verfahren für das neue Wohngeld Plus. "Sie drucken den Online-Antrag trotzdem noch aus?", fragt sie. Noch ja, antworten die beiden, erst wenn die E-Akte eingeführt sei, könne man auf den Ausdruck verzichten. Die Bearbeitungszeiten haben sich trotz dieser halben Digitalisierung aber schon so verkürzt, dass eine Drittel der seit Jahresanfang eingereichten Anträge abgearbeitet werden konnte.

"Berlin ist vorne"

Kein anderes Bundesland habe diesen Status bislang erreicht, lässt sich Giffey vom ebenfalls anwesenden Stadtrat Gregor Kempert, einem Sozialdemokraten, versichern. "Berlin ist vorne, meine Damen und Herren! Ich will's nur mal sagen", frohlockt Giffey.

Ob die Botschaft bei der Wahl am 12. Februar verfängt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Der Rentner auf der Wilmersdorfer Straße, der so offen angekündigt hat, dieses Mal sein Kreuz nicht mehr bei der SPD zu machen, verabschiedet sich nach einem langen Gespräch. "Denken sie noch mal drüber nach!", ruft die Regierende Bürgermeisterin ihm hinterher.

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Beitrag von Jan Menzel

64 Kommentare

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  1. 64.

    Ja klar im Bundestag wo denn sonst werden Gesetze beschlossen. Aber bevor man so eine Gesetzesvorlage, wie die Hartz-Gesetze einbringt, lotet man natürlich im Vorfeld die politische Machbarkeit aus.
    Aber ohne die Zustimmung der Gewerkschaften wäre Schröders Gesetzesvorlage gleich politischer Selbstmord gewesen. So konnte er sich noch politisch ein paar Jahre retten, bevor ihn sein eigenes Misstrauensvotum das politische Genick gebrochen hat,
    Na ja bei Gazprom ist Schröder ja weich gelandet. Und Bruder Clement hat sich auch gleich in den Aufsichtsrat zu RWE abgeseilt.

  2. 63.

    Nun möchte ich darauf hinweisen, dass die Agenda2010 im Parlament entschieden wurde, und nicht in Hiterzimmer zwischen Schröder,Sommer, und andern Bossen.

  3. 62.

    Ach, der Michael Sommer, der kam von der Post, ein ehemals Beamter, der auf ein Bla Bla Posten an die DGB Spitze kam.. Der DGB und die Einzelgewerkschaften sind zwei verschiedene Welten!

  4. 61.

    "Wenn sie mit Gewerkschaftler die Mitglieder meinen, dann bin ich mir sicher, dass ein nennenswerter Teil dafür war, bei Millionen von Mitgliedern ist es kein Wunder.Es rechtwertigt nicht die Behauptung das die Gewerkschaften dafür waren........, das haben wir doch gelernt."

    Das müssen mal erklären. Wenn der damalige DGB-Chef Michael Sommer den HARTZ-Reformen (für sie extra Agenda 2010) explizit zustimmt und weite Teile der angegliederten Gewerkschaftsfunktionäre dem nicht widersprechen, dann behaupten sie war das Gegenteil der Fall. Weil vielleicht sie bei ver.di und andere Gewerkschaftler dagegen waren?
    Glauben sie ernsthaft Schröder, Clement etc. hätte ihre Zaubervorstellung geben können, wenn die Gewerkschaften mehrheitlich gegen die Reformen gewesen wären? Na da träumen sie mal ruhig weiter.

  5. 60.

    Bitte bitte NICHT.

    Die VERKEHRSVERHINDERIN JARASCH als Regierende Bürgermeisterin ?

    EIN ALBTRAUM für Berlin

  6. 59.

    Es hat jetzt keinen Sinn mehr. Denn einen nicht aufhörenden und arbeitsreichen PROZESS, der sich immer wieder neu einstellen muss, ist nicht jemanden zu erklären, der es aus wahltaktischen Gründen nicht verstehen will.
    Die kenntnisreichen Wähler erkennen trotzdem, wer die Arbeit macht und wer extrem unmoralisch Umverteilen will.

  7. 58.

    Amen.das würde man als Besiegelung Ihrer Kommentare erwarten, nur eine Anregung, würde passen.

  8. 57.

    Sie haben behauptet" Der Billiglohnsektor samt Aufstocker ist ein Problem des Dienstleistungsbereichs, davon liest man in Ihren Beitrag gar nichts. " und jetzt behaupten sie "Es ist aber kein Problem der Konzerne in Deutschland, also nicht einfach was behaupten."

    Werden sie sich doch erst einmal selbst darüber im klaren was sie überhaupt meinen und behaupten nicht stämdig irgendetwas anderes, was noch wirrer wie das davor ist.

  9. 56.

    Die Leiharbeit gab es schon vorher, nur sollte diese von privaten Trägern ausgeweitet werden, und man wolte sich deser, in der Vermittlung bedienen. Tja,, und auch damit waren die Gewerkschaften nicht einverstanden.
    Übrigens, der Begriff "Leiharbeit" wurde später durch "Zeitarbeit" ersetzt.

    Wenn sie mit Gewerkschaftler die Mitglieder meinen, dann bin ich mir sicher, dass ein nennenswerter Teil dafür war, bei Millionen von Mitgliedern ist es kein Wunder.Es rechtwertigt nicht die Behauptung das die Gewerkschaften dafür waren........, das haben wir doch gelernt.

  10. 55.

    Hartz I und II (2003):
    „Die vermittlungsorientierten Leiharbeitsunternehmen wurden von privaten Trägern geführt.“
    Damit haben die ersten beiden Hartz-Reformen die Grundlage für die Leiharbeit geschaffen.

    Zumindest habe ich viele Gewerkschaftler von ver.di auf den Demos gesehen. Das kann ich bestätigen. Aber sie können mir glauben wenn hier schreibe, dass viele Gewerkschaftler linientreu hinter ihrem Dachverband DGB standen.
    Es hat deswegen auch viele Austritte gegeben sowohl in den Gewerkschaften als auch der SPD.
    Ich hab persönlich viele ältere Gewerkschaftler und Sozialdemokraten kennengelernt, die nach der Schröder-Nummer ins Ausland gegangen oder ausgetreten sind und/oder die WASG gegründet haben.
    Deswegen reagiere ich etwas allergisch, wenn unser Zigarren-Kanzler mal wieder aus den verschiedensten Gründen (auch Kurzzeitgedächtnis) hofiert wird.

  11. 54.

    Ja, aber die Hartz I bis IV sind Gesetze die sich auf die Umgestaltung der Arbeitsagentur, und Schaffung neuer Strukturen in Rahmender Agenda 2010 mit 4 Zuständigkeitsstellen, die Hartz Gesetze betreffen nur das Organisatorische, am bekanntesten wurde IV, weil es für das ALG II zuständig war..

    Also meine Gewerkschaft ver.di war 100% dagegen, zu der Zeit war ich im Bezirks - und Landesvorstand, und ich habe nicht mitbekommen, dass welche dafür war.

  12. 53.

    Sich geschickt präsentieren kann Frau Giffey. Jede Wahlkampfmöglichkeit mit Presse wird jetzt genutzt. Mal sehen wo sich die Regierende morgen überall fotogen ablichten läßt? Kaufen wir schnell noch publikumswirksam die Gasag? Oder hat irgend ein Landesunternehmen eine schöne Hilfsaktion für die Ukraine? Wie wäre es mit einem Flüchtlingskind im Arm?
    Und Frau Jarasch? Ich finde Sie sollte nach der Friedrichstraße (die Ladenbesitzer dort haben halt Pech) mit der Macht ihrer Funktion auch schnell noch die Straße unter den Linden schließen. Dort könnte man so schön flanieren. Frau Jarasch, Macht verleiht Flüügel ;)
    Merkt ihr was?

  13. 52.

    Die CDU hat Null Chancen an die Macht zu kommen. Das hat der RBB ja schon erläutert, also die Besonderheit bei dieser Wahl.

  14. 51.

    Ich schreibe sicherlich kein astreines Deutsch mit dem Smartphone, aber was ist an kleiner 4 nicht zu verstehen.
    Es gab vor Hartz 4 auch 3 und 2 und 1. Und die hatten auch mit Leiharbeit zutun. Oder ist das Rechthaberei jetzt von Agenda 2010 zu reden?

    Und nein, ein Teile der Gewerkschaft hat schön diszipliniert die Hartz-Reformen mitgetragen und ein anderer Teil nicht, dass hat die Gewerkschaft und die SPD tief gespalten.
    Ich weiß doch von was ich hier schreibe und war selbst auf den Groß-Demos gewesen. Mir muss keiner etwas von Schröders, Clements und co.‘s toller Reform erzählen.

  15. 50.

    Es ist aber kein Problem der Konzerne in Deutschland, also nicht einfach was behaupten.

  16. 49.

    Die Gewerkschaftsbosse dürfen nur das unterstützen, wo für sie die Zustimmung der Mitglieder haben, die Mitglieder waren gegen die Agenda 2010, ergo gab es keine Unterstützung.

    Leiharbeit gehört zu Agenda 2010, aber nicht zu ALG II (Hartz IV).

  17. 48.

    Erdulden ist kein Naturgesetz. Deswegen drücke ich mich mal klarer aus. Die Gewerkschaftsbosse haben die Einführung der Hartz-Gesetze aktiv unterstützt.

    PS. Leiharbeit gehört mit zu den Hartz-Gesetzen. Die fingen nicht erst mit der Zahl 4 an.

  18. 47.

    Hartz - Gesetze mit Duldung der Gewerkschaften, tja die Gewerkschaften mussten zunächst auch die Ausweitung der Zeitarbeit und die Kürzung der Bezugsdauer des ALGI erdulden.

  19. 46.

    "Der Billiglohnsektor samt Aufstocker ist ein Problem des Dienstleistungsbereichs, davon liest man in Ihren Beitrag gar nichts."

    Wie bitte? Sie wissen mal wieder nicht wovon sie reden. Der Billiglohnsektor umfasst alle Branchen.

  20. 45.

    Berlin ist ein Symptom für alles, was in Deutschland falsch läuft
    Verwahrlosung, schlechte Bildungspolitik desolate Innenverwaltung, fehlende Stellen bei der Feuerwehr, den Rettungsdiensten und der Polizei und dann auch noch ungültige Wahlen: In der deutschen Hauptstadt muss die komplette Abstimmung fürs Abgeordnetenhaus wiederholt werden.
    Daraus lassen sich drei Lehren ziehen:
    1. Nie wieder Grüne
    2. Nie wieder SPD
    3. Nie wieder Linke

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