Aggressiver Wahlkampf in Berlin - Beleidigungen, kaputte Plakate, angezündete Autos

Fr 02.09.16 | 07:31 Uhr
Beschmiertes Plakat am S-Bhf Karow "Nazifrei und Spaß dabei" (Quelle: rbb/Jan Menzel)
Bild: rbb/Jan Menzel

"So schlimm war es noch nie", sagen erfahrene Wahlkämpfer. Menschen, die genau wissen, dass Sprüche und Wortgefechte durchaus dazu gehören. Die traurigen Höhepunkte sind mutmaßliche Brandanschläge auf Wahlkampfbusse. Von Jan Menzel

Die Sonne strahlt, Rainer-Michael-Lehmann auch. Der SPD-Kandidat steht am Infostand auf dem Wochenmarkt in Karow. Eine Frau möchte wissen, was aus der Schule in der Nachbarschaft wird und warum die Straßenbeleuchtung in ihrer Gartenkolonie abgeschaltet wurde. Lehmann hört zu, verspricht sich zu kümmern. Ein echtes Gespräch, doch der 56-Jährige erlebt auch anderes im Wahlkampf. "Also da kommt schon oftmals  'Dreckspack' oder 'Volksverräter'. Dass sogar aus den Firmenautos herausgerufen wird – das habe ich auch schon mal erlebt."

Jetzt erst recht, lautet dann Lehmanns Devise. Auch wenn die Plakate mal wieder beschmiert sind, wie jetzt gerade die mit dem SPD-Slogan "Berlin bleibt weltoffen". Hier im Stadtnorden hängen fast an jeder Laterne Plakate der rechtsextremen NPD. Deren Mitglieder haben bei der Europawahl sogar einen Infostand der SPD angriffen. Doch es sind nicht nur rechts- oder linksextremistische Täter.

Infostand in Wedding, Nedim Bayat (Quelle: rbb/Jan Menzel)
Nedim Bayat | Bild: rbb/Jan Menzel

"...so jemand fliegt sofort raus"

Mitten im Wedding tritt Nedim Bayat für die Grünen an. Er will Sprachrohr für die Menschen im Multikulti-Kiez sein und über Gewalt im Wahlkampf will er eigentlich nicht reden. Bayat wurde vor kurzem von mehreren Jugendlichen angegriffen - wegen der Bundestags-Resolution zum Völkermord an den Armeniern. "Dass es neben den verbalen Attacken auch anderen Attacken gibt, das ist nicht von der Hand zu weisen, aber das ist sehr selten. Einmal ist es gewesen." Lieber redet Bayat über seine positiven Erfahrungen und Gespräche. Über die große Mehrheit und nicht die Minderheit, die Grenzen überschreitet.

Dass diese Minderheit da ist und sich zunehmend unverblümt äußert, erlebt Nikolas Tosse. Er ist im Wahlkampfquartier der Linken für Facebook und Co zuständig. Und besonders im Netz registriert Tosse verstärkt enthemmte Kommentare und eine Verrohung der politischen Kultur. "Was überhaupt nicht geht ist alles, was in den Bereich der Volksverhetzung geht. Wir hatten hier beispielsweise, dass Flüchtlinge als 'Viecher' bezeichnet werden. So jemand fliegt sofort raus."

Rainer-Michael Lehmann | Bild:

"Diese Dramatik ist neu für uns"

Längst nicht jeder Vorfall wird bei der Polizei angezeigt, heißt es aus den Parteien. Einige schon. Allein die CDU hat über 800 zerstörte Plakate gemeldet. Bekrickelte oder auch heruntergerissene Plakate seien ärgerlich, keinesfalls jedoch ein neues Phänomen, sagt CDU-Landesgeschäftsführer Dirk Reitze. "Das ist wie bei dem jungen Kollegen aus Neukölln, bei dem Reifen zerstochen wurden, dass er Angst um sein Leben haben musste, als er die Fahrt begann. Oder bei dem Kandidaten in Spandau, bei dem das Wohnmobil gebrannt hat. Selbst noch mit der Befürchtung, dass die Menschen darin sein könnten - so etwas in dieser Dramatik, das ist neu für uns."

Fünf Anzeigen wegen Körperverletzung, fünf wegen Beleidigung sind bis Ende August eingegangen. Doch was die offiziellen Zahlen der Polizei nicht messen können, ist das politische Klima und wie es sich verändert hat.

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