Interview | Spitzenkandidat der FDP Sebastian Czaja - "Digitalisierung ist kein Teufelszeug"

Fr 05.08.16 | 14:49 Uhr
Der Spitzenkandidat der FDP Berlin zur Abgeordnetenhauswahl, Sebastian Czaja, spricht am 19.07.2016 beim Wahlkampfauftakt der FDP Berlin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2016 in der Bundeshauptstadt nach seiner Rede. (Quelle: Rainer Jensen/dpa)
Bild: dpa/Rainer Jensen

Die Berliner FDP ist nicht im Abgeordnetenhaus vertreten, hat laut Umfragen aber durchaus Chancen, wieder ins Landesparlament einzuziehen. Spitzenkandidat Sebastian Czaja erklärt im Interview, was ihn von seinem Bruder - dem CDU-Sozialsenator Mario - unterscheidet und an welchen Stellen er sich für mehr Online-Zugang einsetzt.

Sabina Matthay: Herr Czaja, viele Berliner denken bei Ihrem Namen erst einmal an den Sozialsenator Mario Czaja. Der ist zwar Ihr Bruder, aber bei der CDU. Was unterscheidet Sie – Sebastian, den FDP-Czaja – von Mario, dem CDU-Czaja?

Sebastian Czaja: Ich bewerbe mich neu für das Parlament. Als FDP-Politiker war ich die letzten fünf Jahre nicht im Berliner Parlament vertreten. Das ist ein großer Unterschied. Wir als Liberale stehen für das nächste Berlin, während die CDU den Slogan 'Starkes Berlin' für sich beansprucht. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Und das ist wahrscheinlich dann auch genau der Unterschied zwischen uns zwei Brüdern.

Und als Person: Sind sie Realist oder Träumer? Pessimist oder Optimist?

Eher Realist.

Wenn Ihnen nachts im Traum die Zahl 629 Millionen erscheinen würde, – so viel lässt die Landesregierung derzeit links liegen – was würde die Berliner FDP damit anfangen, wenn sie sich etwas wünschen könnte?

Die 629 Millionen, die Sie ansprechen, sind ja tatsächlich liegen geblieben und sollten in die Infrastruktur investiert werden. Sie sollten dazu beitragen, dass die Stadt nicht weiter an der einen oder anderen Stelle verkommt, sondern dass sie wieder funktioniert, dass wir funktionierende Schulen vorfinden und dass wir funktionierende Verkehrsströme vorfinden. Das alles wurde versäumt und genau da hätten sie investiert werden müssen. Mein Traum wäre eine Stelle, die sich genau um diese Dinge kümmert. Wenn die Berliner Bezirke ausfallen, dann muss es eben die Senatsverwaltung tun. Da muss die Stadt besser gemanaged werden. Also ich träume von einem großen Management-Anspruch, der genau diese Probleme löst und das richtig auf den Weg bringt.

Dieser große Management-Anspruch ist verewigt in Ihrem Wahlprogramm, das "Plan B" heißt. Das klingt so ein bisschen nach zweite Wahl oder nächstbeste Lösung.

Der Plan B greift ja immer dann, wenn Plan A versagt hat. Wir haben einen Berliner Senat in den letzten fünf Jahren erlebt, der es eben nicht geschafft hat, dafür zu sorgen, dass diese Stadt funktioniert. Das ist die große Herausforderung: Berlin wächst um 40.000 bis 50.000 Berliner und Berlinerinnen jedes Jahr. Jetzt geht es darum, in den wesentlichen Politikfeldern auch dazu beizutragen, dass die Stadt funktioniert. Dass es eben wieder einen Termin in den Berliner Bürgerämtern gibt oder man sich einfach online ummelden kann. Wir machen heute sogar Online-Banking, alle vom Smartphone aus, aber hier ist es nicht möglich, sich online umzumelden. Digitalisierung ist kein Teufelszeug, sondern kann an der einen oder anderen Stelle wunderbar dazu beitragen, dass die Stadt funktioniert. Das nächste Thema ist der Berliner Verkehr mit seinen Staus. Hier könnte ein ordentliches Baustellenmanagement dazu beitragen, den Verkehr wieder zu beschleunigen und in Bewegung zu halten.

Schon bevor Sie Spitzenkandidat der Berliner FDP wurden, haben Sie sich stark gemacht für den Flughafen Tegel. Warum ist das nötig?

Tegel wird gebraucht. Der Flughafen BER wird auf Dauer das Sorgenkind bleiben, auch wenn er dann irgendwann eröffnet: Er ist zu klein geplant angesichts des hohen Passagieraufkommens. Berlin ist eine hochattraktive Stadt, das zeigen die Passagierzahlen. Wir haben jedes Jahr zwei Millionen mehr Passagiere in der Stadt, und wir werden im Jahr 2030 bereits sechzig Millionen in Berlin zu erwarten haben. Das wird der BER nicht leisten können, deshalb müssen wir die historische Chance, die wir jetzt haben, nutzen und den Flughafen Tegel offenhalten, damit Berlin weiterhin als Standort auch so attraktiv bleibt, wie der Standort jetzt ist.

Verscherzen Sie sich es da nicht mit den Wählern im Berliner Norden?

Das würde man im ersten Augenblick denken, aber der Zuspruch ist unheimlich groß. Eine aktuelle Umfrage, die wir in Auftrag gegeben haben, bestätigt uns eher darin, dass 74 Prozent – auch gerade in Reinickendorf – der Auffassung sind, dass dieser Flughafen bleiben muss und zur Entlastung von Verkehrschaos im Ostteil der Stadt beiträgt. Also da wird nicht egoistisch gedacht, sondern ganzheitlich. Das fehlt dem Berliner Senat an dieser Stelle.

Wir haben jetzt gerade in den vergangenen Wochen auch Amokläufe und islamistischen Terrorismus auch in Deutschland erlebt. Da wird dann auch schon wieder der Ruf laut nach Einschränkung von Freiheitsrechten.

Mein Ruf wird dann laut, wenn ich sehe, dass die Berliner Polizei so schlecht ausgestattet ist, dass – wie bei einem jüngsten Fall im Klinikum Steglitz-Zehlendorf – eine Stunde lang der Polizeifunk ausfällt und auf Sicht operiert wird. Da sieht man, was in den letzten fünf Jahren versäumt wurde. Da möchte ich mir keine Situation vorstellen, die Sie gerade beschrieben haben. Gott bewahre uns, dass so etwas in Berlin passiert. Aber wir müssen dafür eine gut ausgestattete Polizei haben. Zum anderen müssen wir auch endlich mal wieder sagen, dass das Eigentum in dieser Stadt etwas zählt. Das vermisse ich bei Innensenator Henkel, dass er sich klar dafür einsetzt, das Eigentum der Bürger und Bürgerinnen zu schützen. Jetzt zu sagen 'Wir kaufen die Rigaer Straße' und legalisieren damit einen rechtsfreien Raum und sprechen damit die große Einladung aus 'Werft Steine, zündet Autos an in dieser Stadt und dafür könnt ihr am Ende des Tages kostenfrei wohnen'. Das ist das falsche Signal, das ist eine falsche Innen- und Rechtspolitik.

Das sind sehr pragmatische Punkte, die Sie genannt haben: Bürgerämter, Digitalisierung, Flughafen Tegel, Verkehr. Aber mich interessiert, wie Sie es mit ganz klassischen liberalen Werten halten, allen voran mit der Freiheit - jetzt in Zeiten der Unsicherheit.

Freiheit braucht eine Grundlage, und diese Grundlage heißt Sicherheit. Wir brauchen in Berlin wieder mehr Sicherheit, damit wir uns frei bewegen können. Jeden Tag, an dem wir Sicherheit verlieren, verlieren wir auch ein Stück mehr Freiheit. Deswegen werden wir sehr stark darauf drängen, dass die Sicherheitsarchitektur in dieser Stadt wieder funktioniert. Dass wir wieder mehr Polizei auf die Straßen bekommen. Auch hier schlagen wir ganz klare Maßnahmen vor. Zum Beispiel, wie wir aus dem bestehenden Team 3.000 Polizisten mehr auf die Straße bekommen und den altbekannten Kontaktbereichsbeamten wieder in jedem Kiez realisieren können. Das ist ganz wesentlich, um freiheitliches Zusammenleben auch in der Leichtigkeit, die Berlin so liebt, weiterhin gut zu gestalten.

Je nach Umfrage bewegt sich Ihre Partei so um die fünf Prozent. Das heißt: Ein Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus ist nicht ausgemacht, aber möglich. Es gibt aber eine Partei, die ebenfalls außerparlamentarisch ist und die mehr als doppelt so viele Stimmen hat wie Sie - nämlich die Alternative für Deutschland. Wie grenzen Sie sich von der ab?

Die AfD ist eine Protestpartei, das sagt sie von sich aus auch. In den Landtagen, in denen die AfD derzeit schon vertreten ist, haben sie ganz klar formuliert 'Wir arbeiten parlamentarisch nicht mit, sondern wir sitzen hier als gewählter Protest. Unser Anspruch ist nicht, Probleme zu lösen und nicht zu gestalten.' Das ist der große, große Unterschied. Denn damit ist die FDP die Alternative für Demokraten. Wir haben den Anspruch zu gestalten. Wir haben den Anspruch, auch lösungsorientierte Konzepte vorzulegen. Wir wollen parlamentarisch mitarbeiten und wollen das nächste Berlin gestalten. Das ist ein ganz großer Unterschied.

Können Sie sich vorstellen, an einer nächsten Landesregierung beteiligt zu sein?

Ich finde die Diskussion um Regierungsbündnisse richtig. Aber ich halte viel davon, sie nach der Wahl zu führen. Zunächst haben die Berliner das Wort und sollten darüber entscheiden, wen sie im Parlament sehen wollen. Danach kann man über Bündnisse sprechen und kann dann auch über Themen sprechen, die einem wichtig sind und dafür Bündnispartner suchen. Ich halte das ganz anders als die Linkspartei. Da würde man ja am liebsten jetzt schon einen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag unterschreiben, ohne die Berliner vorher zu fragen. Das sehe ich anders. Dafür gibt's Wahlen, damit man darüber entscheiden und abstimmen kann. Und dann sollte man über Koalitionen in Berlin reden.

Das Interview führte Sabina Matthay, rbb-Inforadio