Angriffe, Schmierereien und Beschimpfungen - Raue Umgangsformen im Berliner Wahlkampf

Di 13.09.16 | 06:15 Uhr
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Ein beschmiertes AfD-Wahlplakat vor der AGH-Wahl 2016 (Quelle: imago/Müller-Stauffenberg)
Video: Dokumentation & Reportage | 13.09.2016 | Heike Bettermann und Jana Göbel | Bild: imago/Müller-Stauffenberg

Mehr als 2.000 gemeldete beschädigte Plakate, Angriffe und Drohungen gegen Helfer, Brandanschläge auf Busse. Der Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl wird vor allem auf den Straßen Berlins hart und rau geführt. Doch nicht alle Parteien finden, dass es eine  neue Dimension der Gewalt gibt.

Brennende Busse, beschmierte Plakate und nicht zuletzt bedrohliche Angriffe auf freiwillige Helfer: Ein steter Begleiter des Wahlkampfs vor der Abgeordnetenhauswahl waren die Berichte über verschiedenste Straftaten.

213 politisch motivierte Delikte und 2.342 beschädigte oder entwendete Wahlplakate hat die Polizei bis eine Woche vor dem Wahlabend registriert. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, denn die Parteien bestätigen einhellig, dass sie bei weitem nicht alle Bagatellen oder Schmierereien anzeigen.

Die meisten Meldungen kamen von der CDU (866) und der NPD (560). Dagegen sind etwa Grüne (44) oder Linke (70) deutlich seltener betroffen.

"Schwund ist immer"

Der Sprecher der Berliner Linken, Thomas Barthel, findet auch gar nicht, dass der Wahlkampf an sich härter geworden ist. "Es gibt keine neue Dimension der Gewalt. Ein wirklich dramatischer Anstieg, wie ihn viele beschreiben, entspricht nicht der Realität", sagt er. Es gebe zwar immer wieder unangenehme Situationen und Vandalismus, aber das habe es eben auch in der Vergangenheit getan. "Schwund ist immer", sagt der Linke-Sprecher etwa zum Verschwinden von Wahlplakaten, "da plant man eine Reserve mit ein".

Man sei aufgrund der Erfahrungen aus den letzten Wahlkämpfen vorbereitet, "und vielleicht auch ein wenig abgehärtet", schiebt Barthel nach. Wie viele der etwas mehr als 20.000 Linke-Plakate betroffen sind, könne er deshalb auch gar nicht sagen. Zum einen werde das oft in den Bezirksverbänden registriert, zum anderen würde man "verrückt, wenn wir während des Wahlkampfs alles protokollieren würden".

Anzahl der beschädigten/entwendeten Plakate

Politisch motivierte Delikte im Zusammenhang mit der Abgeordnetenhauswahl

Nicht alles wird angezeigt

Ähnlich moderat geben sich die Grünen. "Wir sehen in der Regel davon ab, alles anzuzeigen", sagt Sprecher Julian Mieth. Ähnlich sieht das SPD-Geschäftsführer Dennis Buchner, der betont, nur Anzeigen zu erstatten, "wenn eine Systematik dahinter steht und großflächig beschädigt wird". Für die 450 Groß- und etwa 45.000 Themen- und Kandidatenplakate der Grünen habe man gezielt zahlreiche Stücke zurückgehalten, um jederzeit nachhängen zu können, sagt Mieth. Buchner spricht für die SPD davon, dass etwa ein Drittel allein für den Austausch vorgesehen sei. Insgesamt wurden 60.000 Kleinplakate gedruckt, von denen etwa 40.000 zeitgleich hängen.

"Tendenziell erleben wir den Wahlkampf an den Stadträndern schwieriger als im Stadtzentrum", differenziert Buchner. Die Stimmung sei in den Außenbezirken rauer und härter, man werde besonders auf der Straße öfter 'Volksverräter' geschimpft und erlebe eine Art 'Volkszorn'. "Das kommt aus dem Netz", zeigt sich der SPD-Mann überzeugt. Und auch Thomas Barthel (Linke) und Julian Mieth (Grüne) verweisen darauf, dass der Umgangston vor allem online rauer wird, sowohl in den sozialen Medien als auch per E-Mail.

Zumindest Buchner sieht auch eine reale Bedrohung: "In Lichtenberg wurde ein Wahlkampfbus von uns angezündet, zudem wurden zahlreiche Büros angegriffen, von harmlosen Joghurtbechern und Aufklebern bis hin zu Steinwürfen ." Er sieht das größte Problem darin, dass es immer schwerer wird, freiwillige und ehrenamtliche Helfer im Wahlkampf zu finden, die sich den mal mehr mal weniger expliziten Beleidigungen und Bedrohungen aussetzen.

Ein verunstaltetes FDP-Wahlplakat vor der AGH-Wahl 2016 (Quelle: rbb/Jana Göbel)
| Bild: rbb/Jana Göbel

AfD sieht sich überproportional betroffen

Ganz frisch sind dahingehend die Eindrücke der AfD, die am Wochenende zwei tätliche Angriffe auf Helfer registrierte. Und die sich generell besonders häufig von Vandalismus und Anfeindungen betroffen sieht. Kein einziges der 100 Großplakate in der Stadt sei unbeschädigt geblieben, sagt Wahlkampflkoordinator Karsten Woldeit. Das habe sogar die eigenen vorsichtigen Erwartungen übertroffen: "Es ist nicht nur ein subjektiver Eindruck, dass wir überproportional betroffen sind. Das fällt extrem auf." Und Sprecher Ronald Gläser ergänzt: "Viele unserer Plakate haben eine Überlebensdauer von 36 Stunden. Das sind für uns auch hohe finanzielle Verluste."

Wie die anderen Parteien hat auch die AfD immer wieder nachgeklebt. Woldeit schätzt, dass etwa 30 Prozent der insgesamt rund 35.000 AfD-Plakate beschmiert, beschädigt oder heruntergerissen wurden. Gemeldet hat die Partei bislang 391 (siehe Tabelle unten), also nur etwa ein Prozent, was auf die hohe Dunkelziffer hinweist, die die anderen Parteien bestätigen. Auch dass oftmals keine nächtlichen Einzeltäter am Werk sind, sondern gleich gesamte Straßenzüge in temporären Wellen entplakatiert werden, beschreiben alle Parteien unisone. "Zudem haben wir etwas Neues beobachtet: Einige unserer Plakate sind entwendet und kurz darauf an illegalen Orten wieder aufgehängt worden", berichtet Woldeit, der aus seiner Zeit bei der CDU bereits wahlkampf-erprobt ist.

3 Kommentare

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  1. 3.

    Gibt es für die politisch motivierten Straftaten auf eine Aufgliederung in links bzw. rechts motivierte Taten?

  2. 2.

    Das sind die offiziellen Statistiken der Polizei Berlin. Wir haben im Text aber explizit erklärt: "Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, denn die Parteien bestätigen einhellig, dass sie bei weitem nicht alle Bagatellen oder Schmierereien anzeigen."

  3. 1.

    Bei de AFD stimmt die Statistik nicht uns allein sind in Tempelhof-Schöneberg mehr als 250 Plakate entwendet worden! Aber jedes zur Anzeige zu bringen kann man gar nicht, das ist ein zeitlicher Aufwand und die unterbesetzten Behörden würden zusätzlich belastet werden.

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