Wählergemeinschaften treten zur BVV-Wahl an - "Der Bürger hat im Grunde keine Stimme"

Di 02.08.16 | 07:00 Uhr
Christine Weißmann-Nergiz, BVV Wählergemeinschaft Aktive Bürger (Quelle: rbb/Martin Adam)
Bild: rbb/Martin Adam

Es geht auch ohne Partei: Bei den Wahlen der Bezirksverordneten in Berlin können zwar keine Direktkandidaten, aber sogenannte Wählergemeinschaften antreten. Voraussetzung: Sie mussten 185 Unterstützerunterschriften sammeln. Zwei Beispiele aus Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf.

Im Bezirk Pankow ist Politik buchstäblich im Aufbau: "Die Partei für Nachhaltige Erneuerung (PNE)" ist keine Partei, möchte aber langfristig eine werden und hat sich deswegen vorsorglich schon mal so genannt. Bei der im September anstehenden Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Pankow tritt die Initiative als Wählergemeinschaft an. Dafür konnte sie die 185 nötigen Unterstützerunterschriften vorweisen und sich so bei der Berliner Wahlleiterin für die Wahl registrieren lassen.

"Wir wollen Nachhaltigkeit in die Politik tragen, und zwar entscheidend anders als sie bisher verstanden wurde", erklärt Georg Hermann. Er ist eines von 25 Mitgliedern, 26 Jahre alt und wie die meisten seiner Mitstreiter noch Student. "Wir verstehen Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und demographisch", betont Hermann als Landesvorsitzender der Wählergemeinschaft. Die Teilnahme an der BVV-Wahl sei der erste Schritt.

Im Wahlprogramm: klassische Mitte-Links-Forderungen

Das Programm der jungen Politikstudenten passt auf eine Seite und klingt ein bisschen nach Grünen, Linken oder SPD: Mehr Bürgerbeteiligung, faire BVG-Preise, bessere Bezahlung für Erzieher und Stabilisierung der Kieze. "Wir wenden uns gegen die sogenannte Gentrifizierung. Also dagegen, etablierte Mittelstandswohngebiete so weit aufzuwerten, dass sich kaum jemand der ursprünglichen Bewohner das Leben dort weiterhin leisten kann."

Im Bezirk steckt das Bauprojekt "Pankower Tor" mitten in den Planungen. Investor ist der Berliner Möbelhändler Kurt Krieger. Jahrelang wurde heftig über die Pläne gestritten, inzwischen gibt es einen Kompromiss zwischen Baustadtrat Holger Kirchner (Grüne) und Krieger: Entstehen sollen 1.000 Wohnungen, ein Einkaufszentrum am S-Bahnhof Pankow und ein Möbelhaus direkt an der Autobahnauffahrt.

Gegen die Pläne hat die Initiative rund um Georg Hermann grundsätzlich nichts, wohl aber gegen die Art der Planung. "Unsere Hauptkritik ist, dass das Vorhaben nicht grundsätzlich demokratisch eingeleitet wurde. Es wurde nicht von vornherein daran gedacht, eine Bürgerbefragung durchzuführen und so das Projekt in unserem Sinne auch sozial nachhaltig zu gestalten."

Die Initiative setzt darauf, die Diskussion in den etablierten Parteien mehr Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. "Ich glaube, man hat als junge Partei mehr Chancen, bei den Wählerinnen und Wählern als glaubwürdig angesehen zu werden", so Hermann.

Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien als Triebfeder

Während die PNE in Pankow als junge Initiative noch weitgehend unbekannt ist, machen die "Aktiven Bürger für Charlottenburg-Wilmersdorf" in ihrem Bezirk mit professionellen Flyern Wahlkampf. Sie haben ein ex-CDU-Mitglied, einen Piraten und ehemalige Grüne in ihren Reihen und treten mit gleich 15 Kandidaten für das Bezirksparlament an. "Die Stadtentwicklungspolitik der SPD hier im Bezirk gefällt uns gar nicht", sagt Siegfried Schlosser, Mitglied der Aktiven Bürger. Da hätten sie ganz andere Ideen, setzt er nach, hauptsächlich mehr Bürgerbeteiligung bei allen Bauvorhaben.

Triebfeder für die Wählergemeinschaft war der Streit um die Kleingartenkolonie Oeynhausen in Wilmersdorf. Sie wird teilweise bebaut, obwohl Anwohner dagegen erfolgreich einen Bürgerentscheid durchgeführt hatten. Die Wählergemeinschaft wirft vor allem Baustadtrat Marc Schulte (SPD) vor, Bürger mit ihren Anliegen abzukanzeln. "Der Bürger hat zwar eine Stimme, aber im Grunde hat er keine Stimme. Das ärgert uns und mich ganz enorm", so Christine Wußmann-Nergiz von den Aktiven Bürgern.

Erfahrung in der BVV habe deren Mitglieder schon lange, ob als Zuschauer oder Verordnete. Im heißen Wahlkampf planen sie nun, auf Straßen und Plätzen dauerhaft präsent zu sein.

Diese Wählergemeinschaften treten in den Berliner Bezirken an:

Charlottenburg-Wilmersdorf Aktive Bürger für Charlottenburg-Wilmersdorf, Ende April gegründet, www.aktive-buerger.berlin  
Spandau WisS – Wählerinitiative Soziales Spandau, hat bereits zwei BVV-Mitglieder, www.wiss.in-spandau.de  
Friedrichshain-Kreuzberg ÖkoLinX-Antirassistische Liste, kandidiert zum ersten Mal bei der BVV-Wahl in Friedrichshain-Kreuzberg, in Frankfurt a.M. mit Jutta Ditfurth als Stadtverordnete bereits im Stadtparlament vertreten, www.oekolinx-arl.de    
Neukölln

Wir in Neukölln - Bürgerplattform, www.win-berlin.org

Bürgervielfalt als neue Chance BANC, bisher keine Website

 
Pankow Partei für Nachhaltige Erneuerung, kandidiert zum ersten Mal bei der BVV-Wahl in Pankow www.nachhaltige.org  

Mit Informationen von Boris Hermel (rbb Fernsehen) und Martin Adam (rbb Inforadio).