Briefwahl in Berlin und Brandenburg - "Ein bisschen Initiative darf man vom Wähler schon verlangen"

Die Deutschen stimmen bei Wahlen gern per Brief ab, so auch bei der Bundestagswahl 2025 in Berlin und Brandenburg. Nicht immer läuft dabei alles glatt. Von Oliver Noffke und Anna Bordel
- In der Region wählen immer mehr Menschen per Briefwahl
- Nach der Wahl darf jeder Wähler Beschwerde einreichen, wenn Wahlunterlagen nicht rechtzeitig eingetroffen sind
- Anzahl der nicht zurückgeschickten Briefwahlunterlagen mit anderen Wahlen vergleichbar
Einige Menschen beschwerten sich nach der Bundestagswahl darüber, ihre Unterlagen für die Briefwahl nicht rechtzeitig bekommen zu haben. Unter ihnen einige Wahlberechtigte, die im Ausland leben. "Keine Briefwahlunterlagen bei mir in London angekommen", schrieb zum Beispiel der deutsche Botschafter in London einen Tag vor der Wahl auf X.
Wie viele Menschen aus der Region wollten eigentlich per Brief wählen, wie viele haben es tatsächlich getan und welche Wucht hat die Briefwahl in Berlin und Brandenburg?
Mehr als 1,2 Millionen Menschen aus der Region haben bei der Bundestagswahl per Brief abgestimmt. Das geht aus den vorläufigen Endergebnissen auf den Seiten der Landeswahlleiter für Berlin und Brandenburg hervor. In Berlin machten Briefwähler 39,7 Prozent aller Stimmen aus [wahlen-berlin.de]. In Brandenburg war die Briefwahl nicht ganz so beliebt. Sie machte 29,2 Prozent aus. [wahlergebnisse.brandenburg.de].
Anteil der Briefwähler deutlich gestiegen
Unter denen, die per Briefwahl wählen wollten, waren in diesem Jahr bundesweit 213.255 (Stand vom 21. Februar) im Ausland lebende Wahlberechtigte, einer von ihnen der eingangs erwähnte Londoner Botschafter. Bei der Wahl vor vier Jahren waren es noch knapp 129.000 und bei der Wahl davor knapp 113.000.
Bei der Bundestagswahl im September 2021 lag der Anteil der Briefwahl noch deutlich höher. In Berlin machte sie damals 47 Prozent aus, in Brandenburg 34,9 Prozent. Allerdings fand die Wahl damals mitten in der Corona-Pandemie statt. Die Bevölkerung war zur Briefwahl aufgerufen gewesen. Nun zeigt sich allerdings, dass viele daran Gefallen gefunden zu haben scheinen. Denn verglichen mit der Bundestagswahl 2017 ist der Anteil der Briefwahl deutlich gestiegen.
Beliebtheit trotz knapper Frist
Unerwartet ist diese Entwicklung nicht. Auch bei der Europawahl und den Landtagswahlen im vergangenen Jahr war der Anteil der Briefwahl deutlich höher als bei den vorherigen Ausgaben. Dass die Briefwahl beliebter wird, ist ein Trend, der seit einigen Jahrzehnten besteht und in den vergangenen 20 Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen hat.
Erstaunlich ist allerdings, dass die Steigerungen gegenüber 2017 derart deutlich ausfallen. Schließlich wurde die Wahl in diesem Jahr unter deutlich höherem Zeitdruck organisiert. Nach dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung musste frühzeitig neu gewählt werden. Das Grundgesetz legt fest, dass dies innerhalb von 60 Tagen geschehen muss. Statt sechs Wochen blieben deshalb nur zwei, in denen die Unterlagen an die Wähler geschickt und von diesen zurückgeschickt werden konnten.
Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg wurden alle Parteien prozentual etwas mehr an der Urne gewählt als per Briefwahl. In Berlin fällt bei der diesjährigen Wahl auf, dass der Anteil an Briefwähler bei CDU, SPD, Grünen und Linken im Verhältnis höher ist als bei der AfD, der FDP und dem BSW. In Brandenburg sind die Anteile bei allen Parteien ähnlich, außer bei der AfD ist er mit rund 17 Prozent verhältnismäßig niedrig.
Beschwerde nach der Wahl für jeden möglich
Jeder Wähler hat im Übrigen ein Recht darauf, per Brief zu wählen. Wie die Unterlagen anzufordern und wieder abzuschicken sind, ist aufs Akkurateste gesetzlich festgelegt, wie Sven Hölscheidt, Professor für Öffentliches Recht an der Freien Universität, sagt. Dennoch sei die Bundestagswahl "ein gigantisches Massenverfahren". Dass dabei auch Fehler passierten, wie etwa dass jemand seine Briefwahlunterlagen nicht erhalte, sei dabei unumgänglich.
Wer die Unterlagen nicht bekommen hat oder sonst einen Fehler bei der Wahl melden möchte, kann Einspruch beim Bundestag erheben. So plant es beispielsweise das BSW, das die Fünf-Prozent-Hürde knapp nicht erreicht hat und eine Mitschuld darin sieht, dass einige Menschen ihre Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig bekommen haben [tagesschau.de].
Der Wahlprüfungsausschuss untersucht, ob der Einspruch berechtigt ist. Berechtigt sind laut Hölscheidt Einsprüche dann, wenn wirklich ein Fehler vorliegt und dieser auch geeignet ist, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Meist komme der Ausschuss zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall sei. "Bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent muss das BSW schon darlegen, dass eine sehr erhebliche Zahl an Briefwählern ihre Unterlagen nicht bekommen hat", so der Jurist. Danach kann gegen die Entscheidung Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.
Zehntausende Unterlagen kommen nicht retour
Eine nicht gesetzlich geregelte Sache findet Hölscheidt aber ebenfalls sehr wichtig: die eigene Initiative der Wähler. "Es kann immer mal was schiefgehen. Wenn Sie Briefwahlunterlagen beantragt haben und Ihre Unterlagen nach einer Zeit nicht eingetroffen sind, dann sollten Sie selbst tätig werden, anrufen oder hingehen. Also ein bisschen Initiative vom Wähler, der sein Königsrecht wahrnehmen will, darf man schon verlangen", so sagt er es. Briefwähler, die ihre Unterlagen nicht bekommen haben, konnten laut Bundeswahlleiterin noch am Tag der Wahl im Wahlbüro erscheinen und wählen.
In Brandenburg wurden knapp 23.000 Briefwahlunterlagen mehr beantragt, als letztlich Briefwahlstimmen eingegangen sind. In Berlin waren es etwa 65.000. Ob diese Wähler die Unterlagen nicht bekommen haben oder letztlich am Wahltag im Wahlbüro gewählt haben oder aus anderen Gründen gar nicht gewählt haben, lässt sich nicht ermitteln. Die sogenannte Rücklaufquote ist laut dem Berliner Wahlleiter aber vergleichbar mit vorangegangen Wahlen.
Abzuwarten bleibt, wie viele Wahlberechtigte beim neuen Bundestag Einspruch wegen eines Wahlfehlers einreichen werden. Bei der vorigen Wahl waren es laut Rechtswissenschaftler Hölscheidt mehr als 2.000. Darunter seien allerdings nicht nur fehlende Wahlunterlagen, sondern auch Dinge wie ein fehlender Kugelschreiber in einer Wahlkabine gewesen.
Die Kommentarfunktion wurde am 26.02.2025 um 17:23 Uhr geschlossen. Die Kommentare dienen zum Austausch der Nutzerinnen und Nutzer und der Redaktion über die berichteten Themen. Wir schließen die Kommentarfunktion unter anderem, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt.