Politikwissenschaftler zum Erfolg der Linkspartei - "Die Klientel der Linken hat sich vollständig geändert"

Die Linke ist zurück – und das überraschend stark. Junge Wähler strömen zur Partei, während alte Streitigkeiten verschwinden. Ist das eine Trendwende oder nur ein kurzzeitiger Protest gegen die AfD, die besonders in Brandenburg immer stärker wird?
rbb|24: Herr Thomeczek, Sie sind Politikwissenschaftler, trotzdem: Hat das Comeback der Linken sie überrascht?
Jan Philipp Thomeczek: Ja, durchaus. Es war ja schließlich auch ein Effekt der letzten Wochen. Plötzlich kam die Partei bei den Umfragen auf etwas mehr als 5 Prozent. Die Dynamik ging dann damit los. Immer mehr Wähler sahen die Linke als Alternative, als Gegenpol, und dachten sich: 'Okay, ich muss keine Angst haben, dass meine Stimme verloren geht'.
Bis zur Wahl galt die Partei aber als verstaubt, mit Alt-Unterstützern, die meistens schon im Rentenalter sind. Nun führt sie bei Wählern zwischen 18 und 24 Jahren. Ist das die neue Linke?
Die Linke ist eine großstädtische Partei, die nun auch in Universitätsstädten gut ankommt. Lange hatten wir hierbei ja ein großes Gefälle zwischen Ost und West. Wenn wir uns nun aber die Ergebnisse anschauen, ist die Linke in vielen westdeutschen Städten auch schon bei über 10 Prozent. Insofern, ja, das Klientel hat sich vollständig geändert. Und sie profitiert davon, dass es kein Störfeuer mehr gibt.
Was meinen Sie damit?
Die Linke fiel eben auch dadurch auf, dass immer wieder migrationskritische Stimmen zu hören waren, vor allem aus der Richtung von und um Sahra Wagenknecht. Sie ist inzwischen weg. Auch beim Thema Russland hat sich etwas geändert. Die Töne der Partei sind klarer, weniger entgegenkommend zu Moskau.
Dass die Linke für soziale Gerechtigkeit steht, war schon vorher jedem klar. Trotzdem kam sie 2021 bundesweit nur auf 4,9 Prozent, weil viele eben nicht wussten, wohin sie sich bewegt. Jetzt, ohne das Störfeuer, kann die Partei geeint auftreten, mit einer klaren Linie.
Linke-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek ist populär auf TikTok. Muss sich die Politik-Blase eingestehen, dass die Plattform wichtiger ist als gedacht?
Wer auf TikTok unterwegs ist, will nicht politisch informiert, sondern vor allem unterhalten werden. Die Plattform hatte sich einen gewissen Einfluss. Ich glaube aber nicht, dass der so groß war wie viele glauben.
Hat die Linke sich diesen Erfolg erarbeitet oder war das einfach Glück, weil sie als Gegenpol zur AfD gesehen wird?
Man muss sagen, dass die Linke einen harten Wahlkampf gemacht hat. Andererseits hat sie sich in der Öffentlichkeit gut verkauft. Parteivertreter haben immer wieder betont, dass sie nicht abschieben wollen und zum Asylrecht stehen - und das in einer Zeit, in der selbst die Grünen und die SPD weiter nach rechts gerückt sind, ohne rechts zu sein. Die Linke bildet somit jetzt den klaren Gegenpol zur AfD. Damit hat sie eine Nische besetzt, die ihr jetzt auch nicht 30 Prozent bescheren kann, aber immerhin 9 Prozent.
Junge Menschen wählen die Linke, um die AfD aufzuhalten. Das kann sich aber auch nicht besonders nachhaltig für die Partei anfühlen, oder?
Das ist in der Tat eine Gefahr für die Partei, vor allem bei der jungen Wählerschaft, die noch keine stark ausgebildete Parteienbindung hat. Es bringt also eine gewisse Schwierigkeit mit sich, auf dieser Wählerschaft aufzubauen. Andererseits ist die Linke in Berlin nun einmal stärkste Kraft. Übersetzt heißt das jetzt erst einmal: Sie steuert mit dem Anspruch auf den Bürgermeisterposten auf die nächste Abgeordnetenhauswahl zu.
Apropos Berlin: Gleich vier Direktkandidaten, die sich durchgesetzt haben. Stadtweit die meisten Erststimmen und Zweitstimmen. Das gab es nirgendwo anders in Deutschland. Warum?
Politisch betrachtet ist Berlin eine Stadt mit enormer Dynamik. In der Regel gibt es in etwa vier Parteien, die bei den Stimmanteilen gar nicht so weit voneinander entfernt liegen. Die AfD schneidet im Osten der Stadt gar nicht schlecht ab, die CDU besonders im Südwesten, die SPD stellte lange die Regierung, die Grünen sind auch sehr stark in der Hauptstadt. Lange konnte Hans-Christian Ströbele das Direktmandat für die Grünen holen, nun ist der Wahlkreis an die Linke gegangen.
Und trotzdem: Dass die Linke stärkste Kraft geworden ist, damit hat im Vorfeld wirklich niemand gerechnet.
Teure Mieten, soziale Spannungen, zu wenig Geld: Haben die Kernprobleme der Stadt nachgeholfen?
Die steigenden Mietpreise, der Wohnungsmangel, die Diskussionen um Migration und Asyl: Berlin ist zumindest die Stadt, in der die Linken tendenziell mit ihren Themen sehr gut ansetzen können. Ob die Forderungen am Ende umgesetzt werden, steht noch einmal auf einem anderen Blatt Papier.
Der Blick nach Berlin-Neukölln zeigt aber, wie Straßenwahlkampf gemacht wird. Die Linke scheint in dem Bezirk auf viele Unterstützer gesetzt zu haben. Es wurde Werbung an Türen, Spätis und Dönerbuden gemacht. Menschen mit Migrationshintergrund gehen in der Regel weniger oft wählen als Menschen ohne Migrationshintergrund: In diesem Fall kann das aber vor Ort anders gewesen sein, gerade weil der Kandidat aus Neukölln, Ferat Kocak, selbst migrantische Wurzeln hat. Ich habe aber noch keine Zahlen dazu.
Viel besser als die Linke in Berlin hat die AfD in Brandenburg abgeschnitten. Über 32 Prozent der Zweitstimmen; in neun der zehn Wahlkreise mit deutlichem Abstand die meisten Erststimmen. Steht die Region Berlin-Brandenburg für eine krasse Diskrepanz?
Es geht ja bereits in der Peripherie Berlins los. Die klassischen Stadt-Land-Unterschiede machen sich in der Region besonders bemerkbar. In Brandenburg hat die AfD nur in Potsdam das Direktmandat an die SPD verloren, in der einzigen Großstadt des Landes. Generell ist eine Verschiebung von den innerstädtischen Bezirken zu den äußeren festzustellen.
Andererseits hat in Berlin die AfD gut 15 Prozent der Zweitstimmen geholt. Die Linke in Brandenburg mehr 10 Prozent – das BSW auch noch einmal so viel. Was können wir daraus ablesen?
Die Zahlen zeigen uns, dass man nicht nur schauen muss, wo ist welche Partei stärkste Kraft geworden, sondern was steckt dahinter, wie sich das Stimmenverhältnis im Detail verteilt.
Die AfD hat besonders stark bei der Arbeiterklasse gepunktet. Ist das Profil der Partei auf diese Menschen zugeschnitten?
Die AfD ist eine Partei, die laut Programm möchte, dass der Staat sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eher zurückzieht, also diese dem freien Markt überlässt. Sie will beispielsweise Steuern senken. Wir wissen aus der Forschung, dass das die Ungleichheit weiter erhöht, was die Arbeiterschicht wahrscheinlich gar nicht will. Sie ist somit eher weniger geeignet für Menschen aus der Arbeiterschicht. Die Partei ruft aber seit Jahren: 'Migration ist das wichtigste Thema für dieses Land. Wer das auch so sieht, wählt AfD. Alles andere ist erst einmal egal.' Und das scheint bei Menschen aus der Arbeiterklasse gut zu funktionieren.
Das sind also Proteststimmen?
Einerseits ja, andererseits nein. Denn auch Friedrich Merz ist migrationskritisch unterwegs. Trotzdem kann seine CDU die Menschen in dem Thema nicht gleichstark abholen wie die AfD. Warum ist das so? Weil die Wählerinnen und Wähler es ihm nicht zutrauen, womöglich bringen sie die vielen Geflüchteten aus 2015 mit Angela Merkel und der CDU in Verbindung.
Außerdem liegt die Landtagswahl in Brandenburg gar nicht so lange zurück. Mit Blick auf Dietmar Woidkes Wiederwahl und den enormen Verlusten der SPD bei der Bundestagswahl 2025, auch in Brandenburg, muss man sagen, dass die Wählerinnen und Wähler sehr zwischen einer Landtags- und Bundestagswahl zu unterscheiden wissen. Ich bin mit dem Begriff 'Protestwahl' deshalb etwas vorsichtiger.
Herr Thomeczek, vielen Dank für das Gespräch.
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