Vermischung von Amt und Partei - Freie Wähler und Grüne kritisieren unfairen Bundestagswahlkampf in Brandenburg

Grüne und Freie Wähler werfen SPD und CDU vor, im Bundestagswahlkampf immer wieder mit Ministern oder anderen Amtsträgern aufzuwarten, um die Kandidaten der eigenen Partei zu unterstützen. Dabei werde das Gebot der Chancengleichheit der Parteien verletzt. Von Oliver Soos
Der Brandenburger Landesvorsitzende der Freien Wähler, Peter Vida, hat ein ganzes Dossier zusammengestellt - über 15 Fälle aus den letzten drei Jahren. Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen Bürgermeister, Bundes- und Landesminister, die in Brandenburg unlautere Wahlkampfhilfe geleistet haben sollen. Acht Fälle betreffen den aktuellen Bundestagswahlkampf.
Dabei geht es immer entweder um die SPD oder um die CDU. "Die Linken waren früher, als sie in Brandenburg noch regiert haben, auch nicht viel besser. Die Grünen sind uns dagegen nicht negativ aufgefallen. Sie achten offenbar darauf, dass ihre beiden Minister sauber trennen zwischen Amt und Parteifunktion", sagt Vida.
Einen der jüngsten Fälle hat der Freie Wähler-Chef Mitte August im Hauptausschuss des Brandenburger Landtags angesprochen. Es geht um die Brandenburger Kulturministerin Manja Schüle (SPD). Anfang August war sie in Bernau und Panketal (Barnim) unterwegs und hat unter anderem eine Kulturstiftung und eine Schule besucht.
Ein Bild auf der Facebook-Seite der SPD Bernau zeigt die Ministerin lächelnd neben der örtlichen Bundestagswahlkreiskandidatin Simona Koß [facebook.de]. Peter Vida findet, das gehe nicht in Ordnung: "Man erfährt dann auch noch, dass dort sogar ein Förderscheck des Landes Brandenburg überreicht wurde. Das ist ein klassischer Fall, bei dem ministerielles Amt und Parteiwerbung nicht voneinander getrennt wurden", kritisiert Vida.
Kulturministerin Schüle mit SPD-Parteifreundin unterwegs
Friedhelm Hufen ist emeritierter Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Mainz und ehemaliges Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema und gibt eine Einschätzung der Rechtslage. "Frau Schüle hätte ohne weiteres als SPD-Politikerin mit der SPD-Wahlkreiskandidatin auftreten können", sagt er. "Als Ministerin darf sie im Wahlkampf jedoch keine einzelne Kandidatin bevorzugen. Es kommt nicht darauf an, mit wem man sich zeigt, sondern als was."
Grundsätzlich dürften Regierungen mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit keine einzelnen Parteien fördern, doch jedes Regierungsmitglied sei auch gleichzeitig Parteimitglied, was die Sache manchmal kompliziert mache. "Ein Minister muss sich eine Art Spaltung im Kopf zumuten. Er muss immer genau wissen, ob er als Minister vor Ort ist oder als Parteimitglied. Wenn er einen Förderscheck des Landes überreicht, vertritt er automatisch die Landesregierung, das ist gar keine Frage", sagt Hufen.
Zwischendurch aufs Ministeramt umgeswitcht
Ein Sprecher des Brandenburger Kulturministeriums entschuldigt sich auf rbb-Nachfrage und erklärt, dass die Übergabe des Förderbescheids ein "eigener Punkt der Kulturministerin" an diesem Tag gewesen sei, der nichts mit dem Besuch bei der Wahlkreiskandidatin zu tun gehabt hätte. "Es wurde allerdings versäumt, beide Termine ausreichend klar voneinander zu trennen und den Termin vorab in der Terminvorschau der Landesregierung öffentlich anzukündigen. Grundsätzlich stehen die Übergaben von Fördermittelbescheiden allen Abgeordneten offen", schreibt der Ministeriumssprecher.
Peter Vida von den Freien Wählern muss bei dieser Erklärung schmunzeln: "Wenn es einmal passieren würde, wäre das überhaupt kein Problem, denn Fehler machen alle. Nur passiert es bei SPD und CDU immer wieder und systematisch. Die Reue kommt dann immer danach, meistens erst nach der Wahl."
Das Kulturministerium weist darauf hin, dass ein Abgeordneter der Freien Wähler am 23. August als einziger politischer Vertreter vor Ort war, als Schüle eine zehn Millionen-Euro-Förderung an das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung übergeben hat, in ihrer Funktion als Wissenschaftsministerin. Sollen sich die Freien Wähler also bloß nicht aufregen, weil sie sich doch selbst mit der Ministerin schmücken?
Doch der Vergleich ist schwierig: Beim angesprochenen Vertreter der Freien Wähler handelte es sich um den Landtagsabgeordneten und zuständigen Fachpolitiker Matthias Stefke, der nicht für den Bundestag kandidiert. Außerdem hatte Stefke nach dem Termin auf seiner Facebook-Seite ein Bild veröffentlicht, das nur die Ministerin bei der Fördermittelübergabe zeigt und ihn selbst nicht.
CDU-Kandidatin radelt mit Minister Beermann
Bei einem anderen Fall geht es um Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU). Sein Ministerium twitterte Anfang August einen Videoclip, in dem der Minister im Landkreis Potsdam-Mittelmark einen neuen Radweg besichtigt. Im Clip radelt neben ihm unter anderem die zuständige Bundestagswahlkreiskandidatin der CDU, Saskia Ludwig. Sie retweetete das Video und schrieb: "Danke für die Einladung, Guido Beermann!" [twitter.de]
Für den Rechtswissenschaftler Hufen sieht das aus, wie ein klarer Verstoß gegen das Gebot der Chancengleichheit der Parteien. "Der Minister hätte alle Wahlkreiskandidaten einladen müssen. So gibt sein Amt der CDU-Kandidatin einen Riesenschub, denn ein Ministerium ist eine Institution mit hoher Wirkungsmacht, die einen großen Einfluss auf Wahlkämpfe hat", sagt Hufen.
Die Pressestelle des Infrastrukturministeriums widerspricht auf rbb-Nachfrage: "Der Termin wurde öffentlich und für alle zugänglich über die Terminvorschau der Landesregierung und über eine Presseeinladung angekündigt. Eine Teilnahmemöglichkeit ist so für jedermann gewährleistet gewesen. Selbstverständlich beachten wir die Vorgaben des Neutralitätsgebots. Das ist uns wichtig."
Auch die Grünen ärgern sich
Der Landesvorsitzende der Freien Wähler will auch diese Argumentation nicht ganz akzeptieren. "'Jeder hätte kommen können' ist ja formal richtig, aber die Einlade-Praxis erfolgt dann doch oft recht unterschiedlich und zufällig ist dann immer der Kandidat aus derselben Partei mit dem Minister auf dem Foto", sagt Peter Vida. Vor allem die Freien Wähler, die selbst keine Minister stellen, würden benachteiligt. "Amtliche Funktionen werden genutzt, um den Wettbewerbsvorteil, den die großen Parteien ohnehin schon haben, noch weiter zu vergrößern", so der Vorwurf von Vida.
Auch die Brandenburger Grünen ärgern sich über das Wahlkampfverhalten von SPD und CDU. Die Grünen-Landesvorsitzende Alexandra Pichl will jedoch keine detaillierten Vorwürfe erheben, weil man das als Koalitionspartner nicht mache. Doch ihr Ärger ist zwischen den Zeilen deutlich spürbar. "Wir sprechen das bei unseren Koalitionspartnern an, dass uns das stört. Wir wollten uns auch vorab auf ein gemeinsames Verständnis von Wahlkampf einigen, doch leider hat das nicht geklappt", sagt Pichl.
Auf die Frage, wie SPD und CDU auf die Kritik an ihrem Wahlkampf reagiert haben, wird die Grünen-Vorsitzende wortkarg und grinst vielsagend. "Wir haben uns ausgetauscht, dass wir unterschiedlicher Meinung sind", sagt Pichl. Für Peter Vida von den Freien Wählern ist ein zentrales Problem, dass Verstöße gegen das Gebot der Chancengleichheit bislang nicht sanktioniert werden.