Superwahltag in Berlin - Über was beim Enteignungs-Volksentscheid eigentlich abgestimmt wird

Am 26. September werden in Berlin nicht nur neue Parlamente gewählt. Beim Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" geht es darum, welche Wohnungspolitik sich die Berlinerinnen und Berliner künftig wünschen. Von Thorsten Gabriel
Worum geht es bei dem Volksentscheid?
Ihr Ziel hat die Initiative "Deutsche Wohnen Co. enteignen" in ihrem Namen klar benannt: Die Berliner Wohnungsbestände von großen Immobilienkonzernen sollen vergesellschaftet werden. Betroffen wären alle privaten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in der Hauptstadt, ausgenommen die Genossenschaften. Unterm Strich geht es um deutlich mehr als 200.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin. Sie gehören mehr als einem Dutzend Immobilienunternehmen.
Die Idee der Initiative fußt auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Praktisch angewandt wurde dieser Grundgesetzartikel in der Bundesrepublik fast noch nie. Ob die Vergesellschaftung von Wohnungen auf diesem Wege rechtlich zulässig wäre, ist umstritten.
Die betroffenen Wohnungen will die Initiative in einer Anstalt öffentlichen Rechts zusammenführen und verwalten. Dort sollen neben dem Senat auch Vertreterinnen und Vertreter von Mieterorganisationen über die Wohnungen mitbestimmen dürfen. Eine erneute Privatisierung der Wohnungen soll per Satzung ausgeschlossen werden. Im Kern geht es der Initiative darum, den Anstieg der Mieten in der Hauptstadt zu bremsen. Je mehr Wohnungen dem Land gehören, desto stärker kann der Staat dämpfend einwirken. Das hätte mittelfristig über den Mietspiegel auch Auswirkungen auf die übrigen Wohnungen in der Stadt.
Was könnte die Vergesellschaftung der Wohnungen kosten?
Dass betroffene Unternehmen entschädigt werden müssen, gibt das Grundgesetz vor. Wie hoch diese Entschädigungen ausfallen könnten, darüber gehen die Ansichten allerdings weit auseinander. Die Initiative selbst schätzt die Summe auf rund acht Milliarden Euro.
Sie legt dabei die zu erwartenden Mieteinnahmen der enteigneten Wohnungen zu Grunde. Über die Mieteinnahmen will sie auch die Entschädigungen finanzieren, die zunächst per Kredit an die Unternehmen bezahlt werden sollen. Bei einer Laufzeit von mehr als 40 Jahren ließen sich die Enteignungen finanzieren ohne damit den Landeshaushalt zu belasten, rechnet die Initiative vor.
Von deutlich höheren Entschädigungssummen geht der Senat in seiner amtlichen Kostenschätzung aus. Er rechnet mit einer Entschädigung nach Verkehrswert der Immobilien und kommt so auf bis zu 36 Milliarden Euro allein für die Wohnungen. Hinzu kämen noch Erwerbsnebenkosten sowie unter anderem noch Ausgaben für Personal, das von den Wohnungsunternehmen übernommen werden müsste. Dafür fielen noch einmal bis zu 1,9 Milliarden Euro an, heißt es in der Kostenschätzung des Senats.
Wie stehen die Parteien zu der Initiative?
Von den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien stellt sich einzig die Linke ohne jede Einschränkung hinter die Initiative. Die Partei tritt offen dafür ein, private Wohnungsunternehmen zu enteignen. Die Grünen bekennen sich in ihrem Wahlprogramm zwar auch zu den Zielen des Volksentscheids, formulieren aber zurückhaltend: Sie würden sich wünschen, "dass die Umstände uns nicht zwingen, die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden". Bei der SPD gibt es zwar auch Stimmen, die Enteignungen befürworten, allerdings erteilte Spitzenkandidatin Franziska Giffey solchen Überlegungen eine klare Absage.
Weil sich die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne hier nicht einig sind, vermied der Senat in seiner offiziellen Stellungnahme zum Volksentscheid eine klare Position. In dem Text, der den Volksentscheids-Unterlagen beigefügt wird, heißt es nun, dass der Senat das Anliegen unterstützt, den Anteil gemeinwohlorientierter Eigentümer am Wohnungsbestand zu erhöhen. Aktuell erfolge dies aber durch Ankauf und Neubau von Wohnungen.
Die Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP lehnen die Enteignung von Wohnungsunternehmen klar ab. Außerhalb des Parlaments wird die Initiative unter anderem vom Berliner Mieterverein, von den Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verdi, IG Metall und IG Bau sowie von Attac und Fridays for Future unterstützt.
Wer darf abstimmen und wann wäre der Volksentscheid erfolgreich?
Beim Volksentscheid abstimmen dürfen alle, die auch an der Abgeordnetenhauswahl teilnehmen dürfen. Das sind rund 2,47 Millionen Berlinerinnen und Berliner. Erfolgreich ist der Volksentscheid, wenn die Mehrheit der Abstimmenden "Ja" angekreuzt hat. Mindestens muss das aber ein Viertel der Abstimmungsberechtigten sein. Das sind rund 618.000 notwendige Stimmen.
Dass dieses Quorum erreicht wird, gilt angesichts der parallel stattfindenden Wahlen als wahrscheinlich. Ob sich eine Mehrheit findet, die beim Volksentscheid mit "Ja" stimmt, wird unterschiedlich prognostiziert. Nach dem gescheiterten Mietendeckel hatte die Enteignungs-Initiative in Umfragen deutlichen Zuspruch bekommen und lag zwischenzeitlich bei rund 50 Prozent.
Was würde geschehen, wenn der Volksentscheid eine Mehrheit bekäme?
Anders als etwa beim Volksentscheid über die Zukunft des Tempelhofer Felds 2014 wird diesmal nicht über einen Gesetzentwurf abgestimmt. Wäre das der Fall, träte das Gesetz im Falle einer Zustimmung der Mehrheit noch am Abend der Entscheidung in Kraft.
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" stellt jedoch keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung, sondern hat lediglich eine Aufforderung an den Senat formuliert. Diese Aufforderung ist für eine Landesregierung rechtlich nicht bindend.
Zuletzt war das 2017 beim Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel der Fall. Obwohl sich eine knappe Mehrheit der Abstimmungsberechtigten für einen Weiterbetrieb des Flughafens aussprach, blieb die rot-rot-grüne Landesregierung bei ihrer Haltung: Der Flughafen wurde im vergangenen Jahr geschlossen.
Da mit dem Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" auch ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, ist das Ergebnis der Abstimmung quasi eine Beratungsgrundlage für die Parteien, die nach der Wahl über eine Koalition verhandeln werden.