Berliner Sechstagerennen | Porträt Sebastian Schmiedel - "Man muss verrückt sein, aber ich liebe das"

Do 24.01.19 | 08:23 Uhr | Von Stephanie Baczyk
Sebastian Schmiedel nach einem Rennen. Quelle: imago/Sebastian Wells
Bild: imago/Sebastian Wells

Sebastian Schmiedel ist schon als Knirps auf dem Dreirad durch die Gegend gefegt, beim 108. Berliner Sechstagerennen will sich der 21-Jährige auf der Bahn mit den Besten der Besten messen. Für den Nachwuchsfahrer ein Lebensgefühl. Von Stephanie Baczyk

Wer im Internet nach Sebastian Schmiedel sucht, stolpert relativ schnell über ein Schwarz-Weiß-Porträt. Darauf zu sehen: ein junger Mann im Radtrikot, mit hohem Kragen. Die Haare an den Seiten kürzer, oben lockig - die Gesichtszüge markant, er deutet ein Lächeln an. Schmiedel muss lachen. "Da habe ich angefangen im Nachwuchsbereich", sagt der 21-Jährige, als er das Bild sieht. "Das war in Amsterdam. 2016 müsste das gewesen sein, im Winter." Sein erstes Jahr im Nachwuchsbereich beim Sechstagerennen.

Heute fährt Sebastian Schmiedel bei den Profis mit, geht beim 108. Sechstagerennen in Berlin zusammen mit Moritz Augenstein an den Start - als eines von sechzehn Teams in einem stark besetzten Fahrerfeld. „Ich bin da ehrlich gesagt ein bisschen geil drauf", sagt der Wahlberliner mit einem Grinsen. "Sicherlich muss man da ein bisschen verrückt für sein, aber ich liebe das. Für mich ist das ein Lebensgefühl." Die Atmosphäre, das Adrenalin, die Geschwindigkeit - all das ist seins.

"Mensch Junge, willst Du nicht mal ein Radrennen fahren?"

Schmiedel kommt aus Bad Schlema in Sachsen, seine Eltern wohnen noch dort. Mit drei Jahren fegt er auf dem Dreirad, mit vier Jahren auf dem Fahrrad durch die Gegend. Sein Papa macht mit ihm Radtouren, fördert die Leidenschaft des Jungen. "Ich hatte immer diesen Drang, schneller zu fahren als er", sagt der junge Mann mit den kurzen rotblonden Haaren. "Und irgendwann hat mein Vater zu mir gesagt: 'Mensch Junge, Du kannst das auch gegen Deinesgleichen in Deinem Alter - willst Du nicht mal ein Radrennen fahren?'" Er strahlt bei der Erinnerung an diese Frage.

Mit neun kaufen ihm die Eltern ein Rennrad. Er geht damit in Leipzig auf die Bahn, nimmt an den Landesmeisterschaften teil und wird gleich Zweiter. Er hat einen Traum, will an Radsportrennen teilnehmen, erfolgreich sein. Also verlässt er mit 13 Jahren seinen Heimatort und wechselt an die Sportschule nach Chemnitz.  "Ich wollte das weiter verfolgen, aber habe Schule und Sport zu der Zeit nicht mehr unter einen Hut bringen können", beschreibt er die damalige Situation. "Als ich mich mal ein halbes Jahr mehr auf die Schule konzentriert habe, hat der Sport darunter gelitten."

Sebastian Schmiedel (links) beim Bremer Sechstagerennen. Quelle: imago/Mario Stiehl
Bild: imago/Mario Stiehl

Über Chemnitz und Erfurt nach Berlin

Schmiedel gilt als Talent. Nach zweieinhalb Jahren wechselt er nach Erfurt, holt im Dress des SSV Gera die Goldmedaille bei den Deutschen U19-Meisterschaften im Omium. "Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis, um zu sagen: Das ist mein Traum, ich verfolge das jetzt", sagt er. Sein damaliger Trainer Michael Beckert lobt seinen Schützling in einem Interview, er sei „sehr fleißig, schnell und ein bahnorientierter Fahrer". 2015 kommt der Junge aus dem Erzgebirge nach Berlin, in Erfurt hat er zuvor seinen Realschulabschluss gemacht.

Der Kopf ist jetzt frei für den Sport. Schmiedel zieht nach Hohenschönhausen und wird unterstützt vom Olympiastützpunkt und dem Berliner Sportbund. Viele Nachwuchssportler wohnen hier. "Man hat gute Trainingsbedingungen, kurze Wege zu den Trainingsstätten", sagt er. Die drei Kilometer zum Training ins Velodrom an der Landsberger Allee fährt er fast immer mit dem Rad. Im ersten Jahr ist er Praktikant beim Berliner TSC. „Da habe ich die Teamfahrzeuge gewaschen", erzählt er. Später jobbt er bei einem großen Fahrrad-Händler.

Wasserski laufen beim Profi-Sixdays-Debüt in Berlin

Was auffällt, wenn man sich mit dem 21-Jährigen unterhält: Er wirkt aufgeräumt, sachlich. "Dabei bin ich eigentlich ein sehr emotionaler Mensch", sagt er und muss lachen. "Aber gerade wenn es um den Sport geht, sagen mir viele Leute: Ich lasse mir viele Dinge nicht anmerken." Natürlich hat er mal darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen. Manchmal, wenn es nicht so lief. "Es ist ja immer so: Wenn man Erfolg hat, macht es Spaß. Aber wenn der Erfolg weg bleibt, kommt schnell der Gedanke auf: Für was mache ich das noch?" Aber dann war die Liebe zum Sport, dieses Glücksgefühl doch zu groß. Jedes Mal.

Einen dieser außergewöhnlichen Momente erlebt Schmiedel Anfang 2017, als er zum ersten Mal als Profi bei einem Sechstagerennen an den Start geht. Bis heute ruft er sich den Augenblick vor jedem großen Rennen ins Gedächtnis, bis heute glänzen die Augen. "Die Anspannung war sehr groß", beschreibt er. "Ich bin die ersten drei Tage, ich will nicht sagen: Wasserski gelaufen, aber ich musste echt jeden Tag voll ans Limit gehen und wirklich richtig kämpfen, um den Anschluss zu halten." Der Unterschied zu den Nachwuchsrennen ist enorm, die Renndistanzen länger, die Anzahl der Wettkämpfe am Tag höher.

Gaga-Rhythmus? Egal.

Der großgewachsene Wahlberliner studiert schon damals die anderen Fahrer, guckt sich einiges ab. „Es bringt nichts, loszufahren wie der junge Held und nach drei Tagen sagt man: Tschau!", lacht er. "Und die Erfahrenen fahren einem um die Ohren. Man geht da mit Respekt ran." Beim Bremer Sechstagerennen vor etwas mehr als einer Woche ist Schmiedel mit Teamkollege Bryan Boussaer am Ende auf dem zehnten Platz gelandet, an einem Abend ist er gestürzt. In Berlin schaffen die Fahrer Spitzengeschwindigkeiten von über 80 km/h.

Sebastian Schmiedel fiebert dem Moment entgegen, wenn der Startschuss fällt. Wenn er sich wieder messen kann mit den Besten der Besten. Wenn er versuchen wird, "bei manchen Rennen vorne mitzumischen". Wenn das Publikum mitgeht. Auch, wenn er während der Sixdays nie vor ein, zwei Uhr einschlafen kann - und der Rhythmus völlig gaga ist. "Ich brauch das in einer gewissen Form", sagt er, zuckt mit den Schultern und lacht. Und das kauft ihm exakt so ab.

Sendung: rbb Inforadio, 23.01.2019, 14.15 Uhr

Beitrag von Stephanie Baczyk

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