Reportage | Was bringt Unions Aufstieg? - Köpenick zwischen Euphorie, Skepsis und Hoffnung

Der 1. FC Union Berlin startet am Wochenende in die erste Bundesliga – und Köpenick mit ihm. Sind die Köpenicker genervt oder wollen sie vom Union-Aufstieg profitieren? Martin Adam hat sich umgeschaut.
Sonne überm Hafenbecken. Viktoria und Helgard liegen träge im Wasser und warten darauf, dass endlich die Bundesliga losgeht. Viktoria stammt aus Köpenick. Sie ist mit 84 Jahren die Ältere – und mit 92 Tonnen Gewicht die Schwerere. "Das ist noch ein richtiges Kielschiff mit toller Linienführung", sagt Simone Mann. Ihr gehören diese beiden Ausflugsschiffe von "eddyline". Viktoria scheint ihr Liebling zu sein: "Sie ist natürlich rot-weiß und draußen steht drauf: Union wird niemals untergehen."
Das Vereinsmotto ist mit feiner Ironie nur knapp über die Wasserlinie gepinselt. Simones verstorbener Ehemann, Eddy, alter Köpenicker und Union-Fanatiker, hatte seine kleine Flotte Union gewidmet und sie zu schwimmenden Liebeserklärungen gemacht. Mit Vereinslogo fährt die Viktoria seit 14 Jahren bei Heimspielen die Fans zum Stadion. Zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt von der Friedrichstraße nach Köpenick zur Alten Försterei, dem Stadion von Union. Knapp 100 Fans passen aufs Schiff. Zu wenig, sagt Simone Mann. Für die erste Bundesliga muss nun Helgard, das zweite rot-weiße Schiff, mit ran. "Das mache ich auch sehr gern", sagt Simone Mann, "die Anfrage ist sonst einfach zu groß. Die Fans wollen wirklich mit den rot-weißen Schiffen fahren, die wollen sich zeigen in der Stadt. Die sind stolz."

Der Aufstieg ist für den Bezirk eine Chance
Dank der Bundesliga gibt es mehr Umsatz. Darauf hoffen in Köpenick viele. Allerdings glauben längst nicht alle daran. Ortswechsel: das Köpenicker Rathaus, altes Gemäuer, hohe Decken, schwere Türen. Hinter Oliver Igel, dem Köpenicker Bürgermeister mit den spitz gegelten Haaren, hängt der Union-Schal am Schrank. Der Aufstieg in die erste Bundesliga "ist jetzt eine Zäsur, das ist historisch", sagt er. Da spricht der Fan. Aber auch der Politiker Oliver Igel wünscht sich, dass der Aufstieg für den ganzen Bezirk um das Stadion herum eine Chance ist. So viel Aufmerksamkeit, sagt er, gebe es sonst nicht. Vor gerade einmal 20 Jahren, habe man "auf irgendwelchen Dorfspielplätzen in Brandenburg gespielt." Und jetzt kämen bald die großen Vereine in seinen Bezirk: "Das ist auch ein bisschen komisch, aber einfach toll!"
Stadionausbau erst in ein paar Jahren
Mehr Investitionen kämen wohl trotzdem vorerst nicht, gibt der Bürgermeister zu. Auch würden kaum mehr Menschen nach Köpenick ziehen wollen als ohnehin schon. Denn nach dem Zuzug der letzten Jahre sei der Bezirk eigentlich voll. Und für mehr Fans sei leider auch kein Platz, "weil das Stadion in der zweite Liga schon ausverkauft war. Es können nicht mehr Leute kommen, das funktioniert erst, wenn das Stadion ausgebaut wird." Darauf werden die Unioner aber noch einige Jahre warten müssen – ebenso wie auf das neue Verkehrskonzept. Das alte ist eine Katastrophe: jeden Abend verstopft Feierabendverkehr den Bezirk. Straßenbahnen und Bus bleiben stecken. Wenn Union spielt, kommt man nur noch zu Fuß weiter.
Also was bringt dann der Hype dem Bezirk? Tourismus!, sagt der Bürgermeister: Berlin werde meist nur mit der Innenstadt in Verbindung gebracht. Jetzt aber mache der Fußballverein kostenlos Werbung für Köpenick: "Das ist jetzt der Vorteil, wenn Union jedes Wochenende in den Sportnachrichten vertreten sein wird."
Warten auf die Touristen
Köpenick ist bereit. Jens Hoffmann, Sprecher beim Tourismusverein, hat einen Traum: Ein Fußballfan von außerhalb kommt zum Spiel, merkt, wie schön Köpenick ist und kommt wieder – auch ohne Fußball. "Generell hoffen wir auf die Touristen, die sagen 'die Innenstadt ist mir zu voll, jetzt wollen wir was von den Außenbezirken sehen'", sagt Hoffmann. Köpenick habe eine ausgearbeitetes Tourismuskonzept rund ums Wasser, die Altstadt und die Geschichte des Bezirks von Mauerstreifen bis Hauptmann von Köpenick. "Ehrlich gesagt, haben wir sogar mehrere Hauptmänner. Die kann man mieten."
Jens Hoffmann lacht und zeigt auf eines der wenigen Köpenicker Hotels auf der anderen Seite der Dahme. Davon werde man noch mehr brauchen, sagt er. Sonst könnten Besucher zwar anreisen, aber nicht bleiben.

Köpenick hat zu wenige Hotels
Drüben im Hotel hängen Discokugeln von der Sichtbetondecke, Rezeption und Bar gehen ineinander über und das ganze Hotel mit seinen 190 Zimmern soll sich am besten eher wie eine große Lounge anfühlen, erklärt Manager Sascha Braunstein. Mit Union seien sie gut vernetzt, "sodass wir immer den direkten Weg suchen, wenn es Übernachtungsgäste gibt. Die gegnerischen Mannschaften werden auch über die Kontakte von Union vormittelt. Da profitieren wir sehr."
Noch gibt es wenige Hotels in Köpenick. Für die vorhandenen bedeutet das ein gutes Geschäft. Allerdings sei es auch riskant, Mannschaften zu beherbergen, sagt Braunstein. Die Gäste seien sehr anspruchsvoll, brauchten Ruhe und gegnerische Fans könnten auf die Idee kommen, Rauchbomben ins Hotel zu werfen.
Public Viewing ist zu teuer
Das Hotel zeigt jedes Bundesligaspiel in der Lounge. Für die alten Union-Fankneipen sei ein Sky-Abo aber viel zu teuer – selbst für die freiheit fünfzehn, ein großes Kulturprojekt mit Biergarten und Bar am Rand der Altstadt. Jens Karnowski ist hier der Geschäftsführer. Er freut sich trotzdem auf die kommende Saison: "Es wird sich eine neue Euphorie durch die Bevölkerung ziehen. Ich glaube, damit wird es auch für unseren Biergarten hier einen anderen Zuspruch geben."

Der Aufstieg macht manchen Köpenickern auch Angst
Aber nicht für alle ist der Aufstieg von Union nur eine gute Nachricht. "Alles, was für Union mehr ist, ist für uns weniger", sagt Michael Richter. Er verdient sein Geld mit Hochzeiten. Seine Spreelounge, einige Meter vom Rathaus entfernt, mit Terrasse am Wasser und zwei Sälen, kann man mieten. Das machten vor allem Brautpaare, sagt er, und schöne Hochzeit in Weiß und Fußballfans, passe nicht immer: "Wir habe hier bald eine lesbische Hochzeit. Die haben leider nicht damit geplant, dass Borussia Dortmund in die Stadt kommt. Und die Sensibilität des schwarzen Blocks der Dortmunder halte ich für begrenzt genderfähig." Da werde es dumme Sprüche geben, für das Brautpaar werde das sicher unangenehm, meint Michael Richter Er gönne Union den Aufstieg. Aber aus rein kaufmännischer Sicht habe er Angst davor, dass sich seine Hochzeitsgesellschaften durch eine zugeparkte und von Fans geflutete Altstadt bis ans Buffet kämpfen müssten. Der Erfolg für den Rest von Köpenick "ist eine anderer als für uns, denn wir haben hier eigentlich nur mit den Auswirkungen zu tun."
Vor denen hat offenbar auch so mancher Union Fan Angst. "Toll, dass wir aufgestiegen sind – aber hoffentlich bleibt alles, wie es ist", sagen viele, die mit Union-Shirts in Köpenick unterwegs sind. Davon weiß auch Bürgermeister Oliver Igel und meint, Köpenick müsse am Ende schon für alle da sein. Einer würde sich jedenfalls vorbehaltlos freuen, sagt Simone Mann: ihr vor fünf Jahren verstorbener Mann Eddy. "Der wäre der glücklichste Mensch dieser Welt. Aber er guckt immer von oben mit zu ist immer dabei. Bei jeder Fahrt ist er dabei."
Sendung: Inforadio, 15.08.2019, 09:25 Uhr