Hertha in der Krise - Der falsche Fokus
Einen Monat nach dem umjubelten Punkt in München findet sich Hertha BSC am Tabellenende wieder. Den offensiv formulierten Zielen des Sommers folgt der schlechteste Saisonstart seit 1972. Die Krise hat verschiedene Gründe. Von Till Oppermann
Verkehrte Welt in Mainz: Vor Beginn des bereits dritten Auswärtsspiels der noch jungen Saison wirkte Ante Covic verkrampft. Nach der Partie gab er entspannt seine Interviews. Und das obwohl seine Hertha nun drei Spiele in Folge verloren hatte. Betont locker stellte der Trainer das Positive heraus: "Wir haben ein anderes Gesicht als auf Schalke gezeigt." Das war auch bitter nötig, nachdem man sich in Gelsenkirchen mit zwei Eigentoren selbst um jede Chance gebracht hatte. Trotz eines verbesserten Auftritts in Mainz setzte es die nächste Niederlage. "Du brauchst Spielglück und das haben wir nicht", sagte Covic bezogen auf die vielen vergebenen Chancen der Berliner. Die fehlende Effizienz kostete Hertha tatsächlich mindestens einen Punkt.
Unmut untereinander
In der Mannschaft gibt es einige Probleme, die der Trainer ungern anspricht. Die defensive Stabilität der Dardai-Jahre ist scheinbar völlig abhandengekommen. Die Gegentore in Mainz sind direkt auf Probleme in der Abstimmung zurückzuführen: Wenn sich bei einer Ecke kurz vor Schluss ein Mainzer gegen drei Berliner durchsetzen kann, ist das kein Pech. Schon in der ersten Hälfte meckern sich die Spieler auf dem Platz gegenseitig an. Sobald Unstimmigkeit über die Zuordnung besteht, wird sichtbar der Nebenmann verantwortlich gemacht. Es scheint am Vertrauen in die Mitspieler zu mangeln. Symptomatisch: Als Selke nach einer Viertelstunde den Pfosten trifft, beschwert sich Sturmpartner Lukebakio, anstatt den Kollegen anzufeuern. Er hätte lieber einen Querpass gesehen.
Knipser? Fehlanzeige!
Nach dem Spiel kommentierte Davie Selke die Situation folgendermaßen: "Klar ist, dass ich die Chance reinmachen muss." Trotzdem belebte der 24-jährige bei seinem ersten Startelfeinsatz Herthas Spiel. Anders als Vedad Ibisevic, der bisher von Anfang an stürmte, ist Selke in der Lage, für seine eigenen Chancen zu sorgen. Er läuft seine Gegenspieler an, gewinnt Bälle und kombiniert vor dem gegnerischen Strafraum. Selke ist aber nicht der Knipser, den Hertha dringend braucht, um die vielen Chancen zu nutzen. Eine Rolle, die in der Vergangenheit Ibisevic einnahm.
Die Verantwortlichen haben verkannt, dass der Bosnier das nicht mehr auf dem Niveau der letzten Jahre kann. Da sich der Rekordtransfer Lukebakio auf dem Flügel wohler fühlt als in der Zentrale, könnte sich das Problem der mangelnden Chancenverwertung durch die gesamte Saison ziehen. Aufregenderer Offensivfußball war Covics Hauptverkaufsargument, als er Dardai auf dem Trainerposten beerbte. Wenn er diesen behalten möchte, muss er sich genau für dieses Dilemma eine Lösung überlegen.
Fehlende Konzentration
Ein Lichtblick in Herthas Spiel war das Debüt des Innenverteidigers Dedrick Boyata. Machtlos bei den Gegentoren, bringt Lukebakios belgischer Landsmann in der Zentrale der neu formierten Dreierkette ein frisches Element in die Mannschaft: feine Diagonalbälle und saubere Anspiele ins defensive Mittelfeld. Boyata verbessert Herthas Spielaufbau. Bessern muss sich allerdings die Konzentration des Abwehrverbundes. Mehrere Eigentore, verschuldete Elfmeter und Gegentreffer nach Standards sprechen dafür, dass es den Berlinern in den ersten Spielen an Disziplin und Fokus mangelte.
Ein Fokus, der dem ganzen Verein gut tun würde. Wegen des Investorendeals mit Lars Windhorst und der ewigen Stadionfrage diskutierte man in den letzten Monaten zu wenig über sportliche Themen. Der Verein will und muss auch als Unternehmen wachsen. Die harte Realität der Bundesliga zeigt einmal mehr, dass dabei der Fußball im Vordergrund stehen sollte. Tatsächlich sieht der gefälliger aus, als in den vergangen Spielzeiten. Solange die Ergebnisse ausbleiben, kann damit aber niemand zufrieden sein.
Fans haben Redebedarf
Die Spieler wirkten nach dem Abpfiff ratlos. "Das ist Fußball, es gibt nicht immer eine Lösung. Es gibt keine Antwort darauf, warum wir die Tore nicht machen, wenn wir Chancen haben", sagte Selke. Kurz vorher musste er sich mit seinen Kollegen vor den Fans rechtfertigen. Die beiden Vorsänger der Hertha-Ultras waren über den Zaun gesprungen und redeten an der Bande auf die Spieler ein. Die Botschaft: Die Kurve erwartet mehr Leidenschaft und Einsatz von den Blauweißen. Niklas Stark warf danach sein Trikot in die Menge. Die Atmosphäre war konstruktiv und die Spieler äußerten Verständnis. "Klar, die Fans erwarten mehr von uns.", sagte Per Skjelbred.
Hertha muss gewinnen
Ein anderer hatte weniger Redebedarf als die Anhänger: Michael Preetz. Herthas Manager verweigerte nach der Niederlage jeden Kommentar. Er weiß: Covics Verpflichtung und die Neuzugänge tragen seine Handschrift. Auch er hat nun den schwachen Saisonstart mit zu verantworten. Wenn sich Hertha in den nächsten Spielen gegen Paderborn, Köln und Düsseldorf nicht fängt, wird auch Preetz in die Kritik geraten. Covic sah nur eine Möglichkeit: "Wir müssen weiter arbeiten." Damit er diese Möglichkeit bekommt, sind auch seine Spieler gefragt.
Marko Grujic machte da Hoffnung: "Nach meinem Tor bin ich zu Ante Covic gelaufen, weil ich weiß, wie viele Emotionen und Energie er für jeden Einzelnen von uns investiert." Grujic forderte: "Gegen Paderborn müssen wir alles geben - für den Sieg und für unsere Fans, weil sie uns jedes Mal so sehr unterstützen und wir sie nicht mit Punkten belohnt haben".
Diese Floskeln werden gegen die vom ehemaligen Union-Spieler Steffen Baumgart trainierten Paderborner nicht ausreichen. Wenn die Spieler bislang nicht alles gegeben hätten, hätten sie den Beruf verfehlt. Dass dies nicht der Fall ist, zeigte die zweite Hälfte in Mainz: Hertha hatte durchaus Chancen. Doch ein Sieg gegen Paderborn ist nun Pflicht.
Der Trainer täte gut daran, seine Lockerheit auch seiner Mannschaft zu vermitteln. Mit Covic findet wirklich eine Entwicklung statt. Er muss hoffen, dass das Umfeld die nötige Geduld dafür beweist.
Sendung: rbb24, 14.09.19, 21:45 Uhr