Zwischenfazit zum Start in die Bundesliga - Der 1. FC Union Berlin ist angekommen
Vor dem Saisonstart wurde die Bundesligatauglichkeit des Aufsteigers 1. FC Union Berlin deutschlandweit angezweifelt. Mit einem beachtlichen ersten Saisondrittel haben die Köpenicker viele Kritiker bereits verstummen lassen. Ein Zwischenfazit von Philipp Büchner
In Mainz stehen die Spieler des 1. FC Union Berlin völlig verausgabt vor der Kurve und hüpfen mit letzter Kraft im Rhythmus, den die euphorischen Fans vorgeben. Nach dem vierten Sieg im elften Spiel präsentiert die Auswärtskurve der Köpenicker ein Banner mit der Aufschrift "BERLINS NUMMER EINS". Und tatsächlich gibt es mittlerweile Anlass für ein neues Selbstbewusstsein.
Die aktuelle Lage
Vier Siege, 13 Punkte, Platz elf - was sich in Zahlen recht nüchtern liest, ist das Ergebnis eines schmerzhaften Lernprozesses und großer Leidenschaft auf dem Platz. Der 1. FC Union Berlin lernt in der Bundesliga rasend schnell und hat die ärgsten Sorgen, die nach dem Debüt gegen Leipzig (0:4) aufgekommen waren, nachhaltig gekontert. ARD-Sportschau-Reporterin Stephanie Baczyk begleitet den 1. FC Union Berlin seit Jahren und findet, "in dieser Verfassung und angesichts dieser Steigerung hat Union für mich das Zeug, die Klasse zu halten."
Der Trainer
Der Schweizer Urs Fischer hat sich bereits im Aufstiegsjahr den Ruf eines geradezu weisen Lehrers erworben. Mit seiner ruhigen, nüchternen Art nimmt er der Mannschaft die Angst, Fehler zu machen und somit auch den Druck. Der Trainer hat mit seinem Team die anfänglich häufigen Fehler schnell auf ein Minimum reduziert und die Gedankenschnelligkeit in den Köpfen erhöht.
Seinem Team verordnet er eine Mischung aus Teamgeist, Laufstärke, Kampf und dem unbedingten Willen, "eklig zu sein". Er sorgt auch nach großen Erfolgen wie dem sensationellen Heimsieg am 3. Spieltag gegen Vizemeister Borussia Dortmund (3:1) dafür, dass Mannschaft und Umfeld am Boden bleiben. Er wird nicht müde, die Außenseiter-Rolle zu betonen: "Wie könnten wir Favorit sein, wo wir gerade zehn Bundesligapartien gespielt haben und der Gegner seit Jahren erstklassig spielt?" So klang das vor dem Spiel gegen krisengebeutelte Mainzer, Fischer verhindert auf diese Weise jeden Anflug von Selbstzufriedenheit im Ansatz.
Die Mannschaft
Nach dem Aufstieg wurde der Kader mit Fingerspitzengefühl aufgewertet, allerdings standen nach der Sommerpause auch rekordverdächtige 32 Profis auf der Kaderliste. "Oh! Das wird schwierig mit 32 Spielern," zweifelte auch Union-Expertin Stephanie Baczyk. "Aber Urs Fischer moderiert das gut." Ihr fällt auf, dass es bislang keine erkennbaren Unzufriedenheiten gibt und sogar empfindliche Ausfälle wie der von Grischa Prömel problemlos kompensiert werden.
Erfahrene Spieler wie Neven Subotic und Christian Gentner identifizieren sich mit der neuen Aufgabe und geben unerfahrenen Kollegen offenkundig Stabilität. Von den bewährten Kräften zeigen sich Torwart Rafal Gikiewicz und Verteidiger Marvin Friedrich bislang besonders konstant. Aber auch die anderen verbliebenen Zweitligaspieler der Köpenicker haben im Oberhaus Fuß gefasst. Dazu kommen überraschend starke Neuzugänge wie der Ex-Freiburger Keven Schlotterbeck, Robert Andrich vom Zweitligisten 1. FC Heidenheim und - für viele die größte Überraschung - Marius Bülter, der ein Jahr zuvor noch in der vierten Liga in Rödinghausen spielte.
Die Stärke ist eindeutig die Ausgeglichenheit dieses Teams, in dem sich jeder dem Ziel unterordnet, mit dem 1. FC Union die Liga zu halten. Die Vorgabe des Trainers "eklig" zu spielen, setzt die Mannschaft um. Sie begeht ligaweit die meisten Fouls (bislang 169), gewinnt die meisten Kopfballduelle (333) und nur drei Mannschaften laufen mehr (Leverkusen, Wolfsburg und Paderborn). Damit kompensiert Union Defizite im Spiel, wie etwa die zweitschwächste Passquote der Bundesliga (76%).
Das Umfeld
Nach dem Aufstieg wuchs bei Außenstehenden die Sorge, dass sich der Verein, der immer durch Fannähe und Bodenhaftung überzeugte, im Rampenlicht und unter erhöhtem Kommerzdruck verändern könnte. Diese Sorge wiesen die Verantwortlichen entschieden zurück. Pressesprecher Christian Arbeit stellte damals im Interview mit dem rbb die Frage: "Wir machen hier die Sachen und wir feiern den Fußball ja so, wie wir das am liebsten mögen. Und wieso sollten wir das nun ändern?"
Und siehe da: Nach drei Monaten in der Bundesliga hat sich die Vereinskultur nicht sichtbar geändert. Auffällig ist nur, dass das Interesse gestiegen ist. Die wenigen frei erhältlichen Karten zu Heimspielen sind in etwa so begehrt wie Parkplätze in Berlin-Mitte. Doch mit dem neuen Verlosungsprinzip scheinen sich auch althergebrachte Gelegenheitsstadiongänger angefreundet zu haben.
Noch nicht aufgearbeitet sind die Geschehnisse rund um das Hauptstadtderby gegen Hertha BSC (1:0-Sieg). Nachdem aus dem Gästeblock mehrfach Leuchtraketen in andere Blöcke geschossen wurden, wollten rund 20 vermummte Fans von der Waldseite aus den Platz stürmen. Es drohten Ausschreitungen, wie sie im deutschen Fußball so noch nie dagewesen sind. Als mildernde Umstände in der Bewertung könnte man anführen, dass die eigene Mannschaft - allen voran Torwart Gikiewicz - die Vermummten zurückhielt. In den kommenden Wochen wird sich der DFB noch zu diesem Skandalspiel verhalten, aber neutrale Beobachter hätten der Fanszene des FCU so ein Verhalten vermutlich nicht zugetraut.
Ansonsten haben auch die Fans den Sprung auf die große Fußballbühne ohne große Geburtswehen vollzogen. Sie singen nach wie vor die gleichen Lieder, nehmen Niederlagen vergleichsweise gelassen hin und neigen auch nach großen Siegen nicht zu Größenwahn. Einzige Veränderung: spätestens seit sich Union mit dem 3:2-Auswärtssieg in Mainz in der Tabelle am Stadtrivalen Hertha BSC vorbeigeschoben hat, klingt das Stadtmeister-Lied etwas genüsslicher.
Die Prognose
Der derzeitige Stand gleicht einer Planübererfüllung, dennoch bleibt für alle im Verein das Ziel unantastbar und das heißt "Klassenerhalt". Sportschau-Reporterin Baczyk hält diesen nach einem Drittel der Saison für sehr realistisch: "Dinge verändern sich zwar, aber ich schätze Mannschaften wie Mainz, Paderborn und Köln bislang schwächer ein als Union."
Bis zur Winterpause treffen "die Eisernen" insbesondere mit Köln, Paderborn und Düsseldorf noch auf schlagbare Gegner. Aktuell ist kein Einbruch zu befürchten, obwohl dieser bei einem Liganeuling keine Überraschung wäre. Doch bleibt Urs Fischer einfach Urs Fischer, das Umfeld ruhig und die Mannschaft so geschlossen wie bisher, dann wird der 1. FC Union Berlin die nötigen Punkte für den Verbleib in der Bundesliga sammeln.
Sendung: Inforadio, 10.11.2019, 8:14 Uhr
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war in Bezug auf die Ausschreitungen im Hertha-Block von einer "provozierende Pyroshow" die Rede. Wir haben das nach zahlreichen Hinweisen geändert.