Interview | Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt - "Wir verlieren viel zu viele Kinder an die sozialen Medien"

Mi 22.01.20 | 11:15 Uhr
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Archivbild von 2018: Die zweimalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt (Quelle: imago-images/Stephan Wallocha)
Bild: imago-images/Stephan Wallocha

Als "Carmen" lief sich Katarina Witt 1988 weltweit in die Herzen der Sportfans. Im Interview spricht die zweifache Eiskunstlauf-Olympiasiegerin über ihre Arbeit als Academy-Mitglied bei den Laureus-Awards, ihr Verständnis von Leistungssport und ihren Bewegungsdrang.

rbb|24: Frau Witt, Sie sind eines der vier deutschen "Laureus World Sports Academy"-Mitglieder. Die Gala am 17. Februar in Berlin zählt zu den wichtigsten internationalen Sportverleihungen der Welt. Welcher Sportmoment des Jahres 2019 ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Katarina Witt: Es ist jetzt nicht so einfach, den einzelnen, besonderen Sportmoment hervorzuheben, weil ich sehr viel Sport schaue. Ich persönlich bin ein großer Fan von Simone Biles‘ Auftritt bei der Turn-WM 2019 in Stuttgart. Sie ist eine hervorragende Athletin - da hat man selbstverständlich unheimliche Achtung vor. Bei den Männern sind unter anderem Rafael Nadal, Lionel Messi und Lewis Hamilton nominiert. Wer da jetzt mein Favorit ist, verrate ich natürlich nicht, obwohl ich ein großer Fan von Rafael Nadal bin, der über so viele Jahre seinen Sport mitbestimmt und weiterhin die Weltspitze anführt. Aber tatsächlich fällt die endgültige Entscheidung sehr, sehr schwer.

Die Formel 3-Fahrerin Sophia Flörsch ist als einzige deutsche Sportlerin nominiert (Kategorie: Comeback des Jahres). Warum hat es nicht für andere deutsche Sportler gereicht?

Ich bedauere sehr, dass nur eine deutsche Sportlerin dabei ist. Aber letztendlich nominieren mehr als 1.000 internationale Sportjournalisten die Athleten, die sie für würdig halten. Die meisten der Journalisten verfolgen wahrscheinlich vor allem die großen, bekannten Karrieren. Und vielleicht ist uns der internationale Sport auch noch eine Nasenlänge voraus, obwohl wir auch im deutschen Sport sehr viele Erfolge feiern können.

Sie selbst blicken auf eine sehr lange und erfolgreiche Karriere zurück. Die Eiskunstläuferinnen, die heute dominieren, kommen meistens aus Russland, treten sehr früh ins Rampenlicht, gewinnen Gold und verschwinden dann wieder. Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, eine so lange Karriere hinzulegen, wie Sie es getan haben?

Gerade, wenn man sich die russischen Athletinnen anschaut, zum Beispiel die Olympiasiegerin von Pyeongchang, Alina Sagitowa: Dann scheint der Stern immer nur kurz zu glühen und dann überholt sie ihre eigene Sportart. Und damit auch eine andere Konkurrentin aus dem eigenen Land. Zuerst denke ich mir immer: "Wow, was ist das für eine brillante Performance", und dann sind sie zwei, drei Jahre später bei den Weltmeisterschaften nicht mehr dabei. Ich bin ein Fan davon, dass man auch die Entwicklung einer Eiskunstläuferin nachverfolgen kann. Von einem Mädchen, zu einer jungen Frau, zu einer reiferen Frau. Das ist ja etwas, das sich gerade toll im Künstlerischen umsetzen lässt.  

Auch bei den deutschen Eiskunstläuferinnen läuft aktuell keine um die Spitzenplätze mit. Woran liegt das?

Da rätseln viele drüber. Sicherlich ist Eiskunstlauf eine Sportart, bei der es nötig ist, sehr früh ein sehr großes Trainingspensum zu absolvieren und das ist nicht ganz so einfach neben der Schule. Ich habe aber auch den Eindruck, dass wir mittlerweile leider viel zu viele Kinder an die sozialen Medien verlieren, in denen es oft mehr um Schein als Sein geht. Es gibt sicherlich zahlreiche, die vielleicht das Talent hätten, aber nicht gelernt haben, ausdauernd zu sein. Bedauerlich, aber mittlerweile zu oft Realität.

Vom 20. bis zum 26. Januar finden die Europameisterschaften in Graz statt. Unter anderem sind im Einzel der Berliner Paul Fentz und im Doppel Minerva-Fabienne Hase und Nolan Seegert dabei. Wie schätzen Sie die Chancen von ihnen ein?

Naja, wir sind international tatsächlich bei Europa- und Weltmeisterschaften einfach nicht in Medaillennähe. Das finde ich dann immer ein bisschen tragisch. Denn deswegen ist man ja Leistungssportler - um irgendwann mal international ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Wenn man dann einfach schon froh darüber ist, dabei zu sein oder unter die ersten Zehn zu kommen, dann ist das ein schönes, persönliches Ziel. Aber Leistungssport bedeutet eigentlich immer, auf das Siegertreppchen zu kommen - und zwar das Höchste.

Katarina Witt posiert nach ihrem Olympiasieg 1988 in Calgary mit ihrer Trainerin Jutta Müller. (Quelle: imago/Camera 4)
Katarina Witt posiert nach ihrem Olympiasieg 1988 in Calgary mit ihrer Trainerin Jutta Müller. | Bild: imago/Camera 4

Sie selbst fördern mit Ihrer Stiftung Kinder und Jugendliche mit körperlicher Behinderung, engagieren sich in zahlreichen ehrenamtlichen Funktionen, haben erst vor Kurzem in Potsdam ein Sportstudio eröffnet, sind Jurorin einer Eiskunstlaufshow - und scheinen überall gleichzeitig zu sein. Geht das jetzt in diesem Tempo weiter oder schalten Sie auch mal einen Gang runter?

Hoffentlich geht das nicht so weiter! Ich habe zwar immer eine Hummel im Po und kann nicht still sitzen. Aber im Moment ist es tatsächlich fast ein bisschen zu viel. Mein Herz schlägt natürlich für den Sport - das merkt man. Meine Motivation im täglichen Leben ist es, gesund und fit zu sein. Das geht halt nur mit körperlicher Betätigung. Deshalb habe ich hier in Potsdam auch ein Sportstudio eröffnet. Die Mitglieder dort erzählen mir mittlerweile auch, dass ihnen der Sport in ihrem Leben guttut. Das ist für mich das Schönste - damit bin ich dann sozusagen sportlich auch hier in Potsdam angekommen. Damit gibt es doch überhaupt keinen Grund, still zu sitzen. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Lynn Kraemer, rbb Sport. Es handelt sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: Abendschau, 15.01.2020, 19:30 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Inwiefern sind diese Medien sozial?

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