Historie | Tasmania, Tennis Borussia und Blau-Weiß 90 - "Habe im Urlaub erfahren, dass wir in der Bundesliga sind"

So 22.03.20 | 17:32 Uhr | Von Stephanie Baczyk
TeBe-Kapitän Karlheinz Schnellinger begrüßt Bayerns Franz Beckenbauer im Olympiastadion. Quelle: imago images/WEREK
Bild: imago images/WEREK

Hertha BSC und der 1. FC Union sind nicht die einzigen Berliner Teams, die je den Sprung in die Fußball-Bundesliga geschafft haben. Tasmania 1900, Tennis Borussia und Blau-Weiß 90 hatten auch schon das Vergnügen - auf teils kuriose Art und Weise. Von Stephanie Baczyk

Wenn Klaus Konieczka vom Sommer 1965 erzählt, möchte man am liebsten lachen. Oder den Kopf schütteln. Oder sich freuen, dass es Aktionen wie die des SC Tasmania 1900 - im heutigen professionellen Geschäft Fußball undenkbar - früher tatsächlich gab. "Ich war im Urlaub", schildert der ehemalige linke Außenläufer der Tasmanen 2016 im Interview mit dem rbb. "Und ich habe im Urlaub erfahren, dass wir in der Bundesliga sind." Konieczka besorgte sich einen Flug und tauschte die Sonne Spaniens gegen den Trainingsplatz in Berlin.

Eigentlich war Tasmania aus dem Süden Berlins gar nicht eingeplant für die höchste deutsche Spielklasse – damals, zu Beginn der Saison 1965/66. Weil aber Stadtrivale Hertha BSC einen folgenschweren Regelverstoß beging und seinen Spielern zu hohe Prämien zahlte, wurden die Herthaner vom Ligabetrieb ausgeschlossen. Tennis Borussia schlug das kurzfristige Angebot des Verbandes, in die Bundesliga aufzurücken, aus. Nicht so Tasmania.

Die Spieler von Tasmania 1900 betreten das Feld. Quelle: imago images/Werner Otto
Aufgalopp zu Bundesliga: Klaus Konieczka (4 v.r.) betritt mit seiner Mannschaft in der Bundesliga-Saison 1965 das Feld.Bild: imago images/Werner Otto

Über 80.000 Zuschauer trotz Übergewichts

Mit kleinem Bäuchlein und leichtem Übergewicht starteten einige der Neuköllner Kicker in die Saisonvorbereitung. Die Berliner Medien spotteten. Und dann passierte etwas Zauberhaftes, ja Magisches. Zum ersten Spiel gegen den Karlsruher SC, am 14. August 1965 im Olympiastadion, kamen mehr als 80.000 Zuschauer. "So einen Moment kann man eigentlich gar nicht beschreiben", sagt Klaus Konieczka und probiert es trotzdem. "Man kommt da runter, kommt raus und rennt gegen eine Wand. So viele Zuschauer habe ich noch nie gesehen."

Die drehten Mitte der zweiten Hälfte komplett frei, als Wulf-Ingo Usbeck den Ball mit rechts oben rechts ins Tor zimmerte – und erst recht, als Usbeck in der 77. Minute auch noch das entscheidende 2:0 machte. "Berlin dachte, Tasmania braucht niemanden", lacht Konieczka. "Und dann kam das zweite Spiel." Gegen die Stars von Borussia Mönchengladbach gingen die Neuköllner mit 0:5 unter, überhaupt gewannen sie nur noch ein einziges Spiel. Der Klub sammelte Negativrekorde, von denen einige noch heute bestehen. Die Mannschaft kassierte sagenhafte 108 Tore und stieg am Ende direkt wieder ab.

Tennis Borussia und die gespendete Luxuskarosse

Tennis Borussia Berlin betrat die Bühne Bundesliga gleich zwei Mal. Der erste Ausflug 1974/75 endete mit dem Abstieg – beim zweiten wollten sich die Lila-Weißen kein Veilchen mehr fangen und holten Rudi Gutendorf als Trainer. Der war gut rumgekommen, trug den Spitznamen "Rudi Rastlos", weil er vor TeBe schon zig andere Vereine trainiert hatte – und prognostizierte vor dem Start in die Liga 1976 ganz nüchtern "eine fürchterlich schwere Saison". Darüber hinaus bläute er seiner Mannschaft auf dem Trainingsplatz in beigen Schlaghosen ein, wie wichtig es sei, "zusammen durch dick und dünn zu gehen".

Gesagt, getan: Als Tennis Borussia wenige Monate später das Geld fehlte, um neue, starke Spieler zu verpflichten, startete Gutendorf einen Sonderfonds. In den zahlte er selbst ein, verhökerte sein Luxusautomobil im Wert von 33.000 Mark. Er sei "in einer Notlage", hielt TeBes Coach eine flammende Rede. "Welcher glaubt, dass der Gutendorf ein Showman ist und nur Theater macht, der ist verrückt", sprudelte es aus ihm raus. "Ich bezweifle, ob wir überhaupt einen Punkt hätten, wenn der Benny Wendt nicht spielen würde."

Fußballgott in lila-weiß, Riedle in blau-weiß

Der Benny Wendt war eine Art Fußballgott in lila-weiß. Ein langer Schwede mit blondem Haar und gute Torriecher. Während seiner einer Saison im Dress von Tennis Borussia schoss er 20 Buden in 30 Spielen, schenkte mal den Bayern zwei Tore ein, mal den Düsseldorfern vier. "Ja, das war die schönste Zeit", schwärmt Wendt bis heute von TeBe. "Hat ja alles geklappt, alles ist reingegangen." Nur bewahrten die Treffer von Wendt und der Einsatz von Gutendorf die Veilchen am Ende nicht vor einem erneuten Abstieg. Es folgte kein weiterer Besuch in der Bundesliga, heute spielt Tennis Borussia in der Oberliga.

Aus der Amateur-Oberliga wechselte vor vielen Jahren ein gewisser Karl-Heinz Riedle nach Berlin-Mariendorf – zu Blau-Weiß 90. Riedle, 1986 ein Riesen-Talent, trug eine schwarze Matte auf dem Kopf, pastellfarbene Hemden oder eighties-like viel zu große Jacken. "Wenn ich den Sprung zum Stammspieler schaffen würde, das wär fürs erste schon ein großer Erfolg für mich", sagte er leise und schüchtern ins Mikrofon, ohne damals zu ahnen, dass er 1990 mit Deutschland Weltmeister werden würde.

1.000 Flaschen Champagner für den Klassenerhalt

Bei Blau-Weiß jedenfalls startete Riedle seine Bundesligakarriere – und während er sich in Sachen Taktik und Tempo eingroovte, schaltete auch sein neuer Klub einen Gang höher. Die höchste deutsche Spielklasse war eine komplett neue Erfahrung, die Spieler wurden mit einem Gläschen Sekt begrüßt und Trainer Bernd Hoss ließ im Training Raucher gegen Nichtraucher antreten. Aber die Mariendorfer setzten noch einen drauf, sie bekamen ihren eigenen Song verpasst und durften den immer mal wieder gemeinsam mit Sänger Bernhard Brink performen. Den Refrain "Wir sind heiß auf Blau-Weiß" gaben sie in diversen Fernsehstudios zum Besten, als Playback-Chor.

Auf die Frage, was er dazu sagen würde, dass Max Merkel und Paul Breitner Blau-Weiß zum Absteiger Numero Uno auserkoren hatten, antworte Kapitän Peter Stark mit einem trockenen "Wir wollen den Max Merkel eines Besseren belehren". Stark hatte zuvor mit typisch Berliner Schnauze verkündet, dass er "1.000 Flaschen Champagner darauf wette, dass wir die Klasse halten." Ob er den Einsatz jemals zahlen musste, ist nicht überliefert.

Sogar "Loddar" war "heiß auf Blau-Weiß"

Zugegeben, es begann ganz ordentlich. Blau-Weiß holte hier und da ein paar Pünktchen und brachte sogar Lothar Matthäus zum Schwärmen. "So spielt einfach kein Tabellenletzter der Bundesliga", analysierte der zu diesem Zeitpunkt zweimalige Vize-Weltmeister und Europameister. Was "Loddar" nicht bedacht hatte: die Mariendorfer hatten ein Faible für frühe Gegentore, in 17 Partien lagen sie 14 Mal hinten. Ob der Kaltstarts schaltete sich sogar ein Psychologe ein, die Kicker sollten einfache Fußballweisheiten aufsagen á la "Gegentore sind vermeidbar" und "Unser Spiel läuft gut".

Ab und an war das tatsächlich der Fall. Als die Blau-Weißen in der Rückrunde mit 3:1 in Frankfurt gewannen, kommentierte Torhüter Reinhard Mager den Sieg mit den Worten: "Joa, ich mein, ist ein völlig neues Gefühl, mal wieder zu gewinnen." Am Ende fanden sich auch die Mariendorfer nach der einen Saison eine Etage tiefer wieder. Kalle Riedle verließ Berlin und avancierte zum Weltstar – und der Song "Wir sind heiß auf Blau-Weiß" ist bis heute ein Ohrwurm. Ein bisschen was bleibt halt immer.

Sendung: Inforadio, 20.03.2020, 19.44 Uhr

Beitrag von Stephanie Baczyk

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