Hertha gegen Union - So wäre das Hauptstadtderby (vielleicht) ausgegangen

Sa 21.03.20 | 20:19 Uhr | Von Ilja Behnisch
Anzeigetafel im Olympiastadion (imago images/Eibner)
Bild: imago images/Eibner

Es hätte das Sport-Highlight des Wochenendes werden sollen: Hertha gegen Union, das Rückspiel des Hauptstadtderbys. Grund genug für unseren Autor Ilja Behnisch, sich zu überlegen, wie es hätte kommen können.

In einer Zeit vor unserer Zeit, damals, als Fußballspiele noch vor Zuschauern ausgetragen wurden, bekämpften sich auf einem TV-Sender namens MTV Knetfiguren auf Knet-Leben und Knet-Tod. "Celebrity Deathmatch" (Promi-Todeskampf) hieß das Format dieser fiktiven Wrestling-Matches mehr oder minder prominenter Persönlichkeiten. Und wenn Hertha BSC gegen den 1. FC Union Berlin an diesem 21. März 2020 nicht tatsächlich stattgefunden hätte, sondern abgesagt oder verschoben worden wäre (wer weiß warum), hätte man vielleicht Frank Zander und Nina Hagen antreten lassen können. In Knete, versteht sich.

Mit Essensmarken durch die Liga

Hier der Schultheiss-Barde der Hertha, mit ewig gültigen Zeilen wie "Sowieso oh-oh oh-oh, und sowieso oh-oh oh-oh". Dort die Farbfilm-Diva Unions, deren röhrende Stimme den Druck eines durchschnittlichen Sturmtiefs entwickelt. Ein Duell ohne Sieger wäre das, einfach, weil keiner dieser beiden Dauerbrenner jemals kleinzukriegen wäre.

Da passte es nur ins Bild, dass sich an diesem Samstag auch die Gegner auf dem Rasen unentschieden voneinander trennten. 1:1 in einem Spiel, das einmal mehr zeigte, was die beiden Vereine ausmacht. Hertha, der Big-City-Club auf Abruf. Diese eigentlich vor Talent strotzende Mannschaft, deren innerer Kompass noch stets auf sich selbst weist. Union, der Klassenkämpfer, der sich seit Saisonbeginn gefühlt mit Essensmarken am Buffet des Nobelrestaurants Bundesliga satt isst.

Was für Unterschiede!

Man muss sich das immer wieder vor Augen führen, wenn man die tabellarische Realität betrachtet: 228 Millionen Euro Marktwert (Hertha) zu 50 Millionen Euro Marktwert (Union) steht für die Kader laut "transfermarkt.de" zu Buche. 178 Millionen Euro Differenz oder: 30 Mal Sebastian Andersson, Unions wertvollster Spieler (sechs Millionen Euro Marktwert). 178 Millionen Euro Differenz oder: 118 Millionen Rollen Toilettenpapier - ohne Corona-Zuschlag.

Und trotzdem steht Union auch nach diesem Duell in der Tabelle zwei Punkte vor der Hertha. Weil (fast) alles wie immer war an diesem 27. Spieltag der Fußball-Bundesliga.

Fischer und der Plan B

Hertha agierte von Beginn an im zuletzt gesetzten 4-4-2. Ein System, das zwar keine defensive Stabilität einbrachte (fünf Gegentore in den beiden Spielen gegen Düsseldorf und Bremen), aber immerhin zwei Unentschieden. Union hielt mit seinem 3-4-3 entgegen, das derart in Stein gemeißelt scheint, dass es bald schon in die Vereinssatzung aufgenommen werden könnte.

Ebenso vorhersehbar entwickelte sich dann auch das Geschehen auf dem Platz. Hertha hatte den Ball, Union einen Plan. Und der ist mithin die beste Idee eines Fischer seit Erfindung der Angel und des Dübels: Eklig sein, eng am Gegner und dann lang und weit nach vorn. Hin zur Zielstation Sebastian Andersson. Diese wird dann schon machen oder einfach nur ablegen ins Glück, das da ziemlich oft Marius Bülter heißt.

Nicht dass es keinen Plan B gäbe. Denn wozu hat der liebe Fußballgott sonst die Standardsituation erschaffen? Oder wie man in Berlin-Köpenick sagt: Trimmel. Und wenn dieser Christopher Trimmel in seiner Karriere neben der Karriere, in seiner Profession als Tatöwierer, auch nur halbwegs so akkurat arbeitet wie als Flanken- und Eckstoß-Lieferant, wird es ihm an Aufträgen niemals mangeln.

Die Schönheit der Chance

Und wer weiß, vielleicht nadelt er bald schon jemandem die Vorlage zum Führungstreffer Unions unter die Haut, diesen Trimmel-Eckball aus dem Lehrbuch, mit viel Wucht und genau auf den Schädel von Sebastian Andersson. 1:0 für Union, und kein Mehrwert dieser Welt hätte Thomas Kraft im Tor der Hertha genügt, um diesen Kopfball aus fünf Metern zu parieren. Oder um es mit Frank Zander zu sagen: "oh-oh oh-oh".

In der Folge zeigte Union, dass es zuletzt viel und nichts zugleich gelernt hat. Viel, weil nach dem Führungstreffer in der 31. Minuten plötzlich auch spielerisch einiges gelang. Insbesondere Christian Gentner und Yunus Malli zeigten, dass Schönheit auch aus einem einzelnen Ballkontakt bestehen kann und Doppelpässe nur im bürgerlichen Leben problematisch sind. Nichts, weil die Köpenicker ihre so sauber herausgespielten Chancen nicht nutzten und nach der Halbzeit allzu schnell zu defensiv dachten, die erste Abwehrreihe allzu tief nach hinten verlagerten und so auch im Umschaltspiel immer selten für Entlastung sorgen konnte.

Cunha ja My Lord

Hertha hingegen imitierte sich einmal mehr selbst. Mit dem Mute der Verzweiflung, der Abkehr vom durchdachten Matchplan, entblößte die Mannschaft ihr ungestümes Potential. Allen voran Winterneuzugang Matheus Cunha. Dieser Brasilianer, der auf Glatzen Locken drehen kann, nur um im nächsten Moment zum Haareraufen zu verleiten. Er riss seine Mitspieler jetzt mit, dribbelte sie wach und animierte sie, eine Wucht zu entfalten, dass man ihnen nach Schlusspfiff zurufen wollte: Und jetzt noch den BER fertig machen.

Am Ende reichte es zu einem Unentschieden, Herthas Torschütze: Cunha, wer sonst? Ein Jawoll aus 25 Metern, eine Minute vor Abfiff, unhaltbar für Unions in dieser Saison überragenden Schlussmann Rafal Gikiewicz. Derart platziert in den Winkel geschweißt, dass es nicht verwundern würde, dieser Treffer würde alsbald sowohl für Schlosserlehrlinge als auch Mathe-Abiturienten zum Anschauungsunterricht.

Ein Lied über der Stadt

Und dann? War es vorbei. Und Stille. Ein paar Stimmen noch, man habe alles versucht, es sei mehr drin und der Gegner aber auch nicht schlecht gewesen. Das zweite Hauptstadtderby der Bundesliga-Geschichte - Geschichte. Kein böses Blut mehr, es gibt schließlich wichtigere Dinge im Leben. Und über der Stadt ein Lied: "Nur nach Hause, nur nach Hause gehen wir nicht. Osten und Westen - unser Berlin."

Wenn niemand gewinnen kann, muss man eben manchmal einfach gemeinsame Sache machen. Selbst Frank Zander und Nina Hagen.

Sendung: Inforadio, 21.03.2020

Beitrag von Ilja Behnisch

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