Abschied des Union-Torhüters - Dritte Person Gikiewicz
Union Berlins Torhüter Rafal Gikiewicz ist Leistungsträger und Publikumsliebling. Und eigentlich wollten sowohl er als auch der Verein seinen Vertrag verlängern. Warum die jetzt angekündigte Trennung trotzdem keine Überraschung ist. Von Ilja Behnisch
Rafal Gikiewicz wollte bleiben, Union ihn behalten. Und trotzdem trennen sich zum Saisonende die Wege. Das klingt unlogisch und passt doch ganz genau zu diesem außergewöhnlichen Torhüter und seiner Einstellung zum Fußball.
Er habe "keine Karriere", sagte Gikiewicz nach dem Bundesliga-Aufstieg im Sommer 2019. Bei seinem Landsmann Robert Lewandowski, bei Welttorhüter Manuel Neuer sei das etwas anderes. Aber er, der Junge aus Olsztyn, habe ein Hobby.
So wie Lothar Matthäus
Eine kecke Bescheidenheit war das. Und bezeichnend für einen der Publikumslieblinge der Eisernen. Schon 2010 wurde er mit Jagiellonia Białystok polnischer Pokalsieger. Zwei Jahre später folgte die Meisterschaft mit Śląsk Wrocław. Er wechselte zu Eintracht Braunschweig in die Zweite und anschließend in die Erste Bundesliga zum SC Freiburg. Dort brachte er es in der Saison 2017/18 auf zwei Einsätze, blieb dabei ungeschlagen (2:1 gegen RB Leipzig, 2:2 bei Borussia Dortmund) und sagte später, für eine solche Bilanz brauche es eben einen Gikiewicz.
Und vielleicht ist es nur eine sprachliche Petitesse, aber von sich selbst in der dritten Person zu sprechen, ist in Fußball-Deutschland eigentlich ausschließlich Legenden vorbehalten (Lothar Matthäus: "Ein Lothar Matthäus braucht keine dritte Person. Er kommt sehr gut allein zurecht.")
Ambivalenz als Auszeichnung
Wahrscheinlich ist es genau diese Ambivalenz, die Gikiewicz auszeichnet: sich selbst als kleine Nummer beschreiben und zugleich immer mehr wollen. So wie in der Aufstiegssaison der Köpenicker. Die Vereinsführung tat sich lange Zeit schwer, die Bundesliga als das klare Ziel zu formulieren. Kein Problem für Gikiewicz, der schon nach vier Spieltagen polterte: "Ich schaue nicht nach dem zweiten oder dritten Platz. Ich will Erster werden, und wir haben das Ziel, in dieser Saison aufzusteigen."
Warum die deutlichen Worte? Die Antwort lieferte Gikiewicz selbst: "Ich glaube, die Mannschaft braucht ein paar Spieler, die ein bisschen mehr reden. Rafal Gikiewicz ist so und bleibt so. Fertig."
Die harte Hand des Vaters
Auch auf dem Platz ist Gikiewicz ein Widerspruch. Es gibt talentiertere Torhüter, die es nicht so weit gebracht haben wie er. Elegantere allemal. Oft hatte es auch in dieser nun unterbrochenen Saison den Anschein, Gikiewicz halte die Bälle mehr, weil er wolle - weniger, weil er es kann. Und doch wirkte es nie so, als sei die Hand, die gerade noch so nach dem freien Ball fasst, nur durch Zufall am richtigen Ort. Gikiewicz ist Fußball-Arbeiter, einer, der nichts geschenkt bekam. Einer, der seit er bei Union begann, jedes einzelne der 67 möglichen Spiele bestritt.
"Ich gehe auf keine Party, ich trinke keinen Alkohol. Das wird bis zum letzten Tag meiner Karriere so sein. Ich habe das von Beginn an so gelernt, mein Vater hatte eine harte Hand und war streng. Auch mit 20 Jahren musste ich abends um 22 Uhr zu Hause sein, mein Vater stand hinter der Tür und hat auf mich gewartet", sagte er im November im Interview mit der "Sport-Bild".
Kein Luxus, nur Pläne
Die Strenge gibt er an seine Kinder weiter. Von Montag bis Freitag dürfen diese nicht mit der Playstation spielen, der Sohn hat kein Handy. Nicht mal er habe das neueste Modell: "Das einzige Teure, das ich kaufe, sind Wohnungen: Denn dafür bekommt man Miete. Damit möchte ich dafür sorgen, dass meine Kinder später keine finanziellen Schwierigkeiten bekommen wie wir sie damals hatten."
Sieben, acht Jahre wolle er noch spielen, so Gikiewicz im vergangenen Winter. Damals, als sein in diesem Sommer auslaufender Vertrag erstmals öffentlich verhandelt wurde. Er wolle ja bleiben, so der Pole, aber die kommenden Jahre seien nun einmal die wirtschaftlich lukrativsten seiner Laufbahn. Weswegen er erste Angebote des Vereins ausschlug und nun kein weiteres mehr erhält.
Torwarttrainer bei Union?
Es wirkt wie ein Ende vor der Zeit. Zumal Gikiewicz noch im Winter laut darüber nachdachte, im Anschluss an die Zeit als Aktiver auch den Torwarttrainer zu geben bei Union. Über dessen aktuelle Mannschaft er vergangenes Jahr im "Kicker" sagte: "Sie braucht wahrscheinlich nicht fünf Gikiewiczs, aber einen, der in einer schwierigen Phase Klartext spricht."
Jetzt wird er den Verein verlassen. Klingt unlogisch. Und passt doch ganz genau.
Sendung: inforadio, 30.04.2020