Alba Berlin gewinnt das Double - Die Meisterschüler

Mo 29.06.20 | 07:50 Uhr | Von Sebastian Schneider, rbb|24
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Niels Giffey (vorne), Kapitän von Alba Berlin, streckt den Pokal nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft am 28.06.20 in München in die Höhe (Quelle: imago images / BBL-Foto).
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Ungeschlagen walzte Alba Berlin durch dieses Turnier. Am Sonntag belohnten sich die Basketballer mit der neunten deutschen Meisterschaft. Sie haben auf die harte Tour lernen müssen - und sind deshalb nun viel mehr als nur "Corona-Meister". Von Sebastian Schneider

Sikma macht einen Lamettaengel, er liegt auf dem Parkett und wedelt mit den Armen. Ein 2,03 Meter kleiner Junge, der blaue Schnipsel verteilt. Peno hockt auf den Schultern eines Kollegen und schneidet das Netz vom Korb. Trainer Aito spaziert mit seinen braunen Slippern auf Höhe der Dreierlinie herum und versucht, all dem glücksbesoffenen Geschrei aus dem Weg zu gehen. Er sieht ein bisschen verlegen aus. Die Ränge sind leer. In einer halben Stunde fährt der Bus. Alba Berlin ist gerade deutscher Meister geworden, zum ersten Mal seit zwölf Jahren.

Die Ludwigsburger wurden am Sonntag auch im Rückspiel dieses Finales besiegt, wenn auch diesmal nur mit 75:74. Sie haben den Berlinern alles geboten, was sie noch aus ihren zerschlissenen Körpern ziehen konnten. Dass das nicht reichen würde, war schon nach dem Hinspiel am Freitag klar und es ist keine Schande, sondern der größte Erfolg ihrer Vereinsgeschichte. Die Berliner dagegen feiern das Double aus Pokal und Meisterschaft. Sie sind wieder wer.

Spulen wir zurück.

2008: Julius Jenkins und Patrick Femerling wuchten die Trophäe Richtung Bonner Hallendecke. Es ist eine Art Arvernerschild aus Glas und unfassbar schwer.

2011: Die Berliner scheitern in Bamberg, wo Predrag Suput sie in den Wahnsinn treibt. Pletzinger schreibt ein fantastisches Buch darüber [faz.net].

2014: Zeitenwende. Alba scheitert in eigener Halle am FC Bayern. Heiko Schaffartzik verbeugt sich vor den Fans seines Ex-Vereins und saugt ihre ganze Verachtung auf. Der neue Pokal lässt sich leichter stemmen.

2017: Der Spanier Aito Garcia Reneses zieht im Alter von 70 Jahren nach Berlin. Es ist sein erster Job im Ausland. In seiner Freizeit fotografiert er Rotkehlchen und Schwanzmeisen.

2018: Der FC Bayern demütigt Alba mit 106:85, Coach Aito kann es nicht ändern. Luke Sikma kämpft mit den Tränen. Berlin ist zu lasch.

2019: Wieder der FC Bayern. Djedovic schneidet das Korbnetz in der Münchner Halle ab, weil er gewonnen hat. Alba ist in vielen Phasen besser, aber kriegt nichts über die Zeit. Langsam hat die Sache was von Vizekusen.

2020: Alba holt den BBL-Pokal und beweist im sechsten Versuch, dass es ein Finale unter Aito auch gewinnen kann. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist nicht der Titel, von dem alle reden.

Kommando Käseglocke

Dann kommt Corona. Die Spieler fliegen nach Hause, die Klubs kämpfen um ihre Existenz. Gar nichts geht. Bis die Liga in mühevoller Frickelarbeit ein drei Wochen langes Finalturnier ohne Fans ausbaldowert. Das Szenario klingt wie der Plot eines Science-Fiction-Films, aber die bayerische Regierung stimmt tatsächlich zu: Man stülpt eine unsichtbare Coronaglocke über die Münchner Halle und das Quarantänehotel. Man nimmt Rachenabstriche, als gäbe es kein Morgen. Alle unter einem Dach. Keiner infiziert sich. Die New York Times ruft an. "Die Deutschen sind sehr gründlich", berichtet Luke Sikma. Es funktioniert.

Sportlich zeigt sich im Turnier, dass Don Alejandro tatsächlich die Wahrheit predigt. Erfolg macht der Trainer schon lang nicht mehr vom Gewinnen abhängig. Stattdessen redet er immer nur vom Wachsen. Und er bleibt dabei, obwohl er auch andere Töne anschlagen könnte. "Ich möchte meinen Spielern und Assistenten danken für die Art, wie sie versuchen, besser zu werden und neue Dinge zu lernen". Typischer Aito-Satz. Gesagt hat er ihn am Sonntag, als der größte Erfolg seiner Ära in Berlin feststeht.

Aito Garcia Reneses, Trainer von Alba Berlin (links) mit dem Meisterschaftspokal nach dem Sieg am 28.06.20 in München (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Aito wurde in Spanien neun Mal Meister, gewann fünf Europapokal-Wettbewerbe - und jetzt auch das deutsche Double.Bild: imago images / BBL-Foto

Marcos Knight wird MVP

Aito hat seinen Spielern vertraut und ihnen nichts abgenommen, auch die Jüngsten mussten ran. Nach drei Jahren Lehre sind seine Schüler nun reif: Sie lassen sich in diesem Turnier in keiner Partie einen Stil aufzwingen, der ihnen nicht taugt. Kaunas, Belgrad, Istanbul: Den Takt von vielen Spielen in wenigen Tagen sind sie aus der Euroleague gewohnt. Europas schwerster Wettbewerb hat sie weitergebracht. In München passen die Berliner den Ball fluffiger als jeder andere, überzeugen von außen genau wie am Brett und variieren das Tempo je nach Gusto. Mal überrennen sie ihre Gegner, mal halten sie ihre Körper dagegen. No more Vizekusen.

Nach einem "Most Valuable Player", wie Ludwigsburg ihn in Marcos Knight hatte, sucht man bei Alba vergeblich. Die Berliner verteilen die Last in diesen zehn Turnierspielen so gleichmäßig, dass die Gegner ihnen vielleicht ein oder zwei Waffen wegnehmen können. Aber niemals knacken sie den ganzen Schrank.

Auch die Ludwigsburger können gegen dieses Arsenal nichts ausrichten. Sie haben pünktlich zum Finale ihr Pulver verschossen und alles tut ihnen weh. In der Vor-Corona-Zeit haben sie Alba bezwungen und an einem guten Tag sind sie dazu immer noch in der Lage. Aber dieser Tag ist nicht heute. Knight fehlt ihnen, der Derwisch kann nur humpeln. 23 Zähler Rückstand bedeuten am Sonntag: Kehrwoche.

Probleme mit der Spannkraft

Wieder kommt Alba langsam in Gang, Ludwigsburg ackert und reagiert, schnell türmen sich Fouls auf. Sikma spielt einen No-Look-Pass rückwärts über zwei verdutzte Verteidiger hinweg. Der Berliner Blitzschütze Eriksson, der sich gerne aus neun Metern Entfernung warm wirft, knallt gleich zwei Dreier rein. Die Gegner zeigen, dass sie Respekt verdienen, krallen sich mehr Rebounds als Alba und verfeuern nun auch die letzten Restkalorien. "Sind alle in Ordnung?", fragt Ludwigsburgs Coach seine Leute in einer Auszeit, mit der Güte und Strenge des fünffachen Vaters, der er ist.

Die Berliner haben die erwarteten Probleme, ihre Spannkraft zu wahren, ein Lauf hier und da hält sie vorne. Vor dem Schlussviertel führen sie mit 15 und dann verdaddeln sie es doch noch fast. Sie schmeißen Luftlöcher und wemsen ihre Verteidiger um. Ludwigsburg kommt bis auf einen ran, der Ästhet Aito im weißen Hemd tigert ein bisschen vor der Bande hin und her und sieht gar nicht mal so fröhlich aus dabei.

Doch er weiß auch: Komplimente hat seine Mannschaft in den letzten drei Jahren genug gekriegt. Kein Profi guckt später auf seine Karriere und sagt: "Aber gelobt haben sie uns schon." Aito hat alles gewonnen. Die Spieler könnten seine Enkel sein. Ihnen hat das Leben noch nicht den Gleichmut beschert, in einem Finale an etwas Anderes als diesen verfluchten Titel zu denken.

Auf dem Nanga Parbat

Der letzte Angriff gehört den Berlinern. Sie passen den Ball oben herum, bis sie Luke Sikma in der Ecke finden. Er sei kein Mann für die wichtigen Spiele, haben die Kritiker ihm nachgesagt und manchmal recht gehabt. Sikma muss das nicht mehr kümmern. Diesmal hat ihm der Sportdirektor eine Mannschaft hingestellt, die ihm seine schwerste Bürde nimmt. Er bleibt Albas Anker.

Als er den letzten Pass dieser Saison bekommt, verteidigt ihn kein Mensch mehr. Aus dem Hintergrund könnte Sikma schießen, aber Sikma macht gar nix. Die Sirene erlöst ihn. Der große Blonde grinst, als hätte er den Nanga Parbat bestiegen. Sein Gesicht spiegelt nichts als Erleichterung. "Wir waren so oft kurz davor, den Cup zu gewinnen. Wir hatten schon langsam Zweifel daran", sagt er später.

Aito umarmt seine Spieler und hängt ihnen die Medaillen um den Hals. Der 73-Jährige lächelt, aber auch in der Stunde des Sieges scheint er am liebsten am Rand zu stehen. Keiner weiß, ob er weitermacht. Siva hat was im Auge. Der Ligachef schleppt den Pokal mit Mundschutz und weißen Handschuhen an, stellt ihn auf einen Sockel und macht sich schnell wieder aus dem Staub. Er lebte nicht unter der Käseglocke wie die Bruderschaft der Profidribbler. Er ist ein gewöhnlicher Sterblicher.

Basketball easyCredit BBL Final-Turnier Basketball München 28.06.2020 Saison 2019 / 2020 easyCredit BBL Final-Turnier 2020 Finale Spiel 2 Alba Berlin - MHP Riesen Ludwigsburg Alba Berlin Deutscher Meister 2020 Jubel in der Kabine Luke Sikma Alba Berlin, No.43 (Quelle: imago images / BBL-Foto).Dass es nur Mineralwasser gab, wird die Berliner um Luke Sikma (pokalhaltender Mann in der Mitte) nicht weiter gestört haben. Sie haben in der Kabine der Münchner getanzt.

Verschallert von der Wucht des Augenblicks

Der Pott, den Captain Giffey dann küsst, sieht aus wie immer: Versilbertes poliertes Messing, geformt wie der Fingerhut eines Riesen. Und wo man auch hinschaut, nirgendwo klebt ein Etikett, auf dem steht: "Corona-Meister". Da steht einfach nur: "Deutscher Basketballmeister" und das Logo der Liga, das wars. Gewonnen hat die mit Abstand beste Mannschaft.

Niels Giffey darf dem Fernsehreporter irgendwas Überlebensgroßes ins Mikro quatschen, aber der gebürtige Berliner wirkt komplett verschallert von der Wucht des Augenblicks. Ein Jahr und fünf Tage zuvor hatte er an derselben Stelle gestanden und erklären sollen, warum er gerade wieder nur Zweiter geworden war. Jetzt feiert er in einer Geisterhalle. Giffey sagt: "Wir müssen jetzt erstmal den Zug nach Berlin kriegen. Mal gucken, was so ein Bordrestaurant hergibt." Um seinen Hals hängt das Netz des Siegers.

Sendung: Inforadio, 29.06.20, 18 Uhr

Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24

7 Kommentare

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  1. 7.

    welch eine Freude, diesen Bericht zu lesen!
    Basketballverständnis gepaart mit sprachlicher Kompetenz und Wortwitz
    5 von 5 möglichen *****

  2. 6.

    Cooler Beitrag, toll geschrieben, passt wie Faust zum Sieger!

  3. 5.

    GW Alba. Einfach klasse. Was ich beim Basketball viel besser finde als beim Fußball sind die Fans. Wenn ich immer diesen „Hass“auf Sponsoren und Investoren beim Fußball erlebe, dann wundert es mich immer wieder, dass zB bei Alba nie jemand etwas kritisiert. Dabei trägt die Mannschaft sogar den Namen des Investors. Irre, es muss an den Fans liegen.

  4. 3.


    Fürchterlich, diese AUTOkorrektur. Ansonsten: immer wieder gern, Sebastian Schneider!

  5. 2.

    Bester Artikel über den Gewinn der Deutschen Meisterschaft von Alba Berlin

  6. 1.

    danke für diese tolle berichterstattung zu dieser meisterschaft. leider hat man sonst sehr wenig davon gehört oder berichtet. das ist wirklich schade, der deutsche basketball hat echt mehr aufmerksamkeit verdient!

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