Alba dominiert das Final-Hinspiel - Die Hölle friert zu

Sa 27.06.20 | 08:55 Uhr | Von Sebastian Schneider, rbb|24
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Alba Berlins Power Forward und Center Johannes Thiemann (links) und sein Mitspieler Peyton Siva (rechts) verteidigen im Final-Hinspiel um die deutsche Meisterschaft am 26.06.20 in München ihren Gegenspieler Thomas Wimbush II von den MHP Riesen Ludwigsburg (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Audio: rbb | 27.06.20 | Jakob Rüger | Bild: imago images / BBL-Foto

Seit bald zwölf Jahren wartet Alba auf den nächsten deutschen Meistertitel. Dieses Mal passt wirklich alles zusammen, aber der große Genuss bleibt aus: Die Ludwigsburger sind bei Berlins 88:65 im Hinspiel bemitleidenswert überfordert. Von Sebastian Schneider

Alba Berlin hat gewonnen, Ludwigsburg hat verloren, Alba Berlin wird am Sonntag zum neunten Mal deutscher Meister, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Die Fans können in kurzen Hosen fernsehen, es werden 28 Grad, in die Coronafestung Obersendling dürfen sie ja nicht. Stattdessen können sie sich durch Autosuggestion in den Modus einer aufreibenden Finalserie versetzen, vielleicht haben sie auch einen Hypnotiseur zur Hand oder wenigstens genug Pils.

Wenn endlich der schwere, silberne Pokal überreicht wird und Albas Kapitän Niels Giffey mit Freudentränen auf den Wangen…OK, übertreiben wir nicht. Noch sind 40 Minuten seriös hinter sich zu bringen, aber es fällt schwer sich vorzustellen, wie die MHP Riesen und ihr Trainer John Patrick diese Nummer noch umbiegen wollen. Am Freitag hatten sie Alba nichts entgegenzusetzen und kamen mit der 65:88-Niederlage noch gut davon.

John Patrick, Cheftrainer der MHP Riesen Ludwigsburg, im Final-Hinspiel um die deutsche Meisterschaft am 26.06.20 in München (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Seit sieben Jahren gilt sein und nur sein Wort in Ludwigsburg: Der Trainer John Patrick. | Bild: imago images / BBL-Foto

15 Minuten Kryoschlaf

Was schade ist: Schon vor dem Spiel meldete sich Marcos Knight verletzt bei Ludwigsburg ab, so irdische Schwächen hatte man ihm gar nicht mehr zugetraut. Knight ist eine Schau, ein 1,88 Meter großer Brecher, bei dem man die Positionsbeschreibung einfach in den Reisswolf stecken kann, weil sie ihm nicht gerecht wird. Kein Spieler des gesamten Turniers rannte länger übers Feld als Ludwigsburgs Nummer 9 und mit rannte meinen wir nicht joggte.

Er muss in den Halbzeitpausen in einen Kessel Red Bull oder eine Eistonne gesprungen sein, vielleicht genehmigte er sich auch 15 Minuten Kryoschlaf und wurde zum Tip-Off wieder aufgetaut. Man weiß es nicht. Knight machte mit Abstand die meisten Punkte des Teams und er holte endlos Rebounds. Dann knickte er so übel um, dass er nach dem Halbfinale nicht mal mehr gehen konnte, berichtet sein Coach.

Es gelten die zwei Patrickschen Gesetze: Geschwindigkeit kannst du nicht schlagen. Und große Spieler sind teurer als kleine. Also lässt der Trainer am liebsten "Small Ball" spielen. Das mittelprächtige schwäbische Budget erlaubt ihm flinke, nicht zu große Guards, die ihre Gegner im eins gegen eins pulverisieren können und bereit sind, zu rennen. Davon gibt es viele und Patrick findet sie überall, sagen wir, in der zweiten türkischen Liga, wie Marcos Knight.

Ballert, wenn Ihr frei seid und auch sonst

Der sieht sich die ganze Chose am Freitag mit traurigem Blick hinter der Bande an, was bleibt ihm anderes übrig. Sollte er bis Sonntag zumindest in der Lage sein zu joggen, könnte es noch was werden, diagnostiziert Patrick. Vielleicht sollte man Knights Körper das nicht wünschen.

Ludwigsburgs Taktikmappe ist dünn, in elaborierterer Form steht darin: Guards dürfen ballern, wenn sie frei sind, und wenn sie nicht frei sind, vielleicht auch. Die MHP Riesen sind besonders erfolgreich darin, direkt aus dem Dribbling abzudrücken. Alles hängt davon ab, dass sie heißlaufen. "Wer weiß: Komische Dinge passieren", orakelt Patrick vor dem Tip-Off bei "Magentasport". Seine Spieler feuern sich beim Aufwärmen in der Münchner Halle so laut an, dass Patrick seinen Interviewpartner kaum versteht. Sie lachen und tanzen, sie wirken nicht eingeschüchtert. Doch ihnen fehlt das Herz ihrer Mannschaft.

Unsichtbare Quarzhandschuhe

Beide Teams beginnen bescheiden, sie dribbeln sich einen Wolf, verhauen viele Würfe und suchen nach dem Beat. Anstelle von Knight soll Thomas Wimbush II. die Ludwigsburger Offensive führen. Im Vorrundenspiel schenkte er Alba 30 Punkte ein. Wimbush kann aus der Halle springen, er ist der absurdeste Athlet dieser Finalserie und von der Statur Typ Zehnkämpfer. Er muss ein Spiel fühlen, so wie Phelps das Wasser im Becken. Bleibt es ihm fremd, rennt er sich fest, trifft zaghafte oder hanebüchene Entscheidungen.

Gegen Berlins Defense sieht Wimbush diesmal keinen Stich. Einmal storcht er einen Sprungwurf rein, faltet sich urplötzlich auf. Kommt jetzt was? Nein. Er fühlt gar nichts, Klong - Klong - Klong. Wimbush trägt unsichtbare Quarzhandschuhe. Als er ausgewechselt wird, schüttelt er fassungslos den Kopf. Der Ex-Berliner Jonas Wohlfahrth-Bottermann wühlt nach Leibeskräften unter den Körben, aber die anderen Stützen brechen den Ludwigsburgern weg. Zwischenzeitlich führt Alba mit 30 Punkten.

Wir haben unsere Konzentration verloren, manche Spieler waren übermotiviert, wollten es in die Hand nehmen, wie Marcos das manchmal macht, aber das ist nicht unser Spiel."

Ludwigsburgs Trainer John Patrick

Der Tümpel wird zum Ozean

Herausheben kann man von den Berlinern keinen, sieben Spieler punkteten zweistellig und genau das ist ja wieder Ludwigsburgs Problem. "Pick your poison", sagt man im Basketball dazu, was sinngemäß soviel heißt wie: Wie sollen wir dich am liebsten erledigen? Wir hätten dann alles da.

Nehmen wir Sikma: "Sikma hat zwei Fouls. Ihr könnt seine Füße attackieren", empfiehlt Ludwigsburgs Trainer John Patrick in der Auszeit im zweiten Viertel. Da geht Alba Berlin seinem Team gerade flöten. Dass Luke Sikma schlau, aber nicht schnell ist, weiß inzwischen vermutlich auch Ludwigsburgs Maskottchen Lurchi der Feuersalamander [mhp-riesen-ludwigsburg.de]. Im nächsten Angriff kriegt Berlins Anführer Sikma den Ball unten am Zonenrand und lehnt sich gegen seinen viel kleineren Verteidiger. Er wartet, bis noch ein Ludwigsburger zur Hilfe kommt, weil er weiß, dass einer kommen muss. Dann passt er den Ball genau im richtigen Moment und so wird ein Korb draus. Seine Füße attackieren?

Nehmen wir Giedraitis: Wenn für andere der Korb ein Ozean ist, dann ist er für den Litauer gerade ein Tümpel - er schießt in diesem Turnier von außen bizarr schlecht, obwohl er eigentlich so ein versierter Werfer ist. Im dritten Viertel aber trifft er endlich. Giedraitis streckt die Arme in die Luft und jubelt, als wäre es sein erster und nicht exakt 252. erfolgreicher Dreier für Alba Berlin. Den Rest der Zeit rast er immer wieder zum Ring und geht den Ludwigsburgern auf den Senkel. Er lümmelt den Ball ächzend rein, kassiert dabei eine Hand und macht dann noch den Freiwurf.

Alba Berlins Basketballteam kommt vor dem Final-Hinspiel um die deutsche Meisterschaft am 26.06.20 in München gegen Ludwigsburg zusmamen (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Dreierquote Alba: 40 Prozent. Dreierquote Ludwigsburg: 19,2 Prozent. | Bild: www.imago-images.de

Bauerntrick im Finale

Oder Siva: Er steht unter dem gegnerischen Brett und will einwerfen. Die Ludwigsburger drehen sich von ihm weg, suchen ihre Berliner Gegenspieler, erwarten den Pass. Peyton Siva weiß das und deshalb dotzt er den Ball einem arglosen Ludwigsburger an die Wade, schnappt sich den Abpraller und legt ihn in den Korb, ehe sich die anderen überhaupt umgedreht haben. Der alte Bauerntrick. Siva bringt ihn tatsächlich in einem Finale um die deutsche Meisterschaft.

Das Ding ist: Er wird nicht mal im nächsten Angriff umgehauen dafür, läuft auch in keinen ganz versehentlich herausragenden Ellenbogen. Was würde Vlado Lucic tun? Was Danilo Barthel? Erster: Umhauen und sich nicht schämen. Zweiter: Hüfte raus, wegchecken und danach gucken wie ein Osterlamm. Aber die beiden spielen beim FC Bayern und den haben die Ludwigsburger längst aus dem Turnier befördert. Es war ein tadelloser Erfolg, für den die MHP Riesen nichts als Respekt verdienen. Sie haben es zum ersten Mal in ihrer Vereinsgeschichte ins Finale geschafft und das zu Recht.

Aber als Beobachter dieses ersten von zwei Endspielen wünscht man den Berlinern ihre Erzfeinde an den Hals. Die Meisterschaft würde süßer schmecken gegen sie, auch wenn das ein Luxusproblem ist, das sich altkluge Kommentatoren gerade an ihrer Tastatur leisten, aber nicht Basketballprofis die nur eins ihrer letzten sechs Finals für sich entscheiden konnten.

Alba Berlins Power Forward und Center Johannes Thiemann (links) verteidigt im Final-Hinspiel um die deutsche Meisterschaft am 26.06.20 in München seinen Gegenspieler Thomas Wimbush II von den MHP Riesen Ludwigsburg (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Wimbush (rechts) hätte Ludwigsburgs Offensive tragen sollen: Aber er traf nur einen seiner zehn Versuche aus dem Feld. | Bild: imago images / BBL-Foto

Finalfoul aus dem Werkzeugkasten

Die Ludwigsburger lassen sich von Alba den Schneid abkaufen, von den "40 Minuten Hölle", die sie gerne für sich proklamieren, ist nichts zu sehen. Gegen die Berliner Zonenverteidigung wirken sie hektisch und ratlos. Ihr Tempo führt zu nichts. Oft hört man die Sirene plärren, weil Patrick wieder eine Auszeit genommen hat, um eine Welle zu brechen. Niels Giffey taucht unter dem Korb durch und prügelt den Ball rückwärts mit beiden Händen durch den Ring. Thomas Wimbush sitzt auf der Bank und stiert ins Nirvana. Er macht am Ende zwei Punkte.

Im letzten Abschnitt wird Alba nochmal schludrig und lässt die Riesen ein bisschen wachsen. Die Ludwigsburger pressen jetzt noch mal ganz vorne, sie wollen sich dadurch pushen. Die Berliner verlieren den Fokus und diskutieren mit den Schiris. Dann senst ihr Kapitän Giffey seinen Buddy Wohlfarth-Bottermann unsportlich beim Dunk um. Es ist kein schönes Foul, aber eines das man in einem Endspiel durchaus im Werkzeugkasten haben sollte. Es zeigt dem Gegner, dass hier nichts mehr geht.

Seriös über die Runden gebracht

Kurz wird es ein bisschen hässlich und spätestens jetzt vermisst man die buhenden Fans doch sehr, die sich an ihrer Wut laben. Aber ihre Plätze sind leer. Schon bei der nächsten Verteidigung hackt ein Ludwigsburger derart ungestüm rein, dass die Hölle sofort wieder zufriert. Alba killt diese letzten zähen Minuten und auch das ist eine Qualität, die das Team früher so nicht hatte. Es ist Arbeit, die keinen Spaß macht, aber getan werden muss.

"Wir haben versucht den Rückstand so gering wie möglich zu halten und uns nicht zu ergeben", sagt der völlig platte Center Wohlfarth-Bottermann nach dem Spiel."Es ist nie vorbei", behauptet er, aber das ist es. Die Ludwigsburger laufen auf der letzten Rille und für Alba Berlin ist das eine gute Nachricht. Am Sonntagnachmittag müssen sie mindestens 23 Punkte aufholen und ihre Gegner wirken auch nach der Schlussirene nicht, als ob sie das zulassen werden.

Die Berliner klatschen sich in der Kabine ab und beglückwünschen sich, aber eher so, als dürften sie dabei die Nachbarn nicht stören – dann setzen sie sich hin und schlürfen hochseriös ihr Energie-Gel. "Ich freue mich, dass wir alle bei 20 Punkten vorne noch nicht satt sind", sagt Giffey. Noch haben sie in München nichts zu feiern.

Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24

4 Kommentare

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  1. 4.

    Super Text. Liest man auch als "Neutraler" gern.

  2. 3.

    Ein wirklich sehr gelungener Artikel mit vielen Feinheiten, die dem geneigten Basketballfan ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Vielen Dank dafür!

  3. 2.

    Ein klasse Bericht! Endlich mal Basketball-knowledge in the house ;-). Hat man nicht so oft. Super!

  4. 1.

    Herzögliche Grüße an Topbasketballexperte und Topjournalist Sebastian Schneider aus der Barockstadt

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