Alba Berlin startet ins Finale - Der Motor

Do 25.06.20 | 21:38 Uhr | Von Sebastian Schneider, rbb|24
Alba Berlins Team kommt nach dem Finalturnier-Halbfinalsieg in Spiel 1 gegen Oldenburg zum Huddle zusammen, in der Mitte der Guard Peyton Siva mit der Nummer 3 (Quelle: imago images / ).
Audio: Inforadio | 26.05.2020 | Doreen Herbe | Bild: imago images / BBL-Foto

Zum dritten Mal steht Peyton Siva mit Alba Berlin im Finale um die deutsche Meisterschaft – nie hatte er größere Chancen auf den Titel. Siva überwand Schmerzen und vertraute einem Lehrmeister. Heute ist er der beste Aufbauspieler der Liga. Von Sebastian Schneider

Im Spiel der Riesen ist er ein Wicht, meist der Kleinste auf dem Feld. Aber die Großen kriegen ihn nicht. Ein kompakter Mann mit tätowierten Armen und schwarzen Leggins unter den Shorts. Er dribbelt den Ball leicht gebeugt nach vorne, so entspannt, als hätte er ein Jojo an den Fingern. Dann lauert er darauf, was die Verteidigung ihm gibt. "Lesen und reagieren", nennt Peyton Siva das. Zögert sein Gegner, ist es meistens zu spät. Und der Wicht brettert an ihm vorbei.

Peyton Robert Siva junior aus Seattle spielt seit vier Jahren für Alba Berlin. Er hat in dieser Zeit mehr Verletzungen überwunden als viele andere Basketballprofis in ihrer gesamten Karriere und trotzdem dominiert, wenn er gesund war. Er stand mit Alba in sieben Finals, gewonnen haben die Berliner davon eins. Es war der Pokalsieg Mitte Februar.

Nun könnte der Point Guard mit seiner Mannschaft und ihrem Trainer Aito gegen Ludwigsburg tatsächlich deutscher Meister werden. Das Hinspiel ist am Freitag (20:30 Uhr), das Rückspiel am Sonntag (15 Uhr). "Es wäre fantastisch, wenn es endlich klappt. Aber Ludwigsburg ist tough, wir müssen jede Sekunde wach sein und kämpfen", sagt Siva am Donnerstag am Telefon. Für Alba wäre es die erste Meisterschaft seit zwölf Jahren.

Peyton Siva, Profi bei Alba Berlin, geht im Finalturnier-Vorrundenspiel gegen Ludwigsburg am 15.06.20 zu einem Korbleger hoch (Quelle: imago images / BBL-Foto).
Siva ist 1,83 Meter groß und 84 Kilo schwer - im Basketballmaßstab macht ihn das zu einem Zwerg. | Bild: imago images / BBL-Foto

Der Gegner, den keiner haben will

Die Berliner sind der klare Favorit, das bestreitet niemand. Aber nachdem der FC Bayern so krachledern aus dem Finalturnier flog, ist das auch ihr Anspruch. Die Ludwigsburger hingegen haben eine in jeder Hinsicht erstaunliche Leistung vollbracht: Ihr mit Abstand bester Spieler und ein weiterer Starter blieben nach der Corona-Pause lieber in den USA. Der Trainer John Patrick hat nicht so eine exquisit besetzte Auswechselbank wie Alba, noch dazu ist sein Stil verflucht anstrengend. Die erste Fünf muss viele, viele Minuten abreißen und wenn die fähigsten drei Angreifer Fahrkarten schießen, wird es düster.

Trotzdem haben es die Ludwigsburger völlig verdient in die Endspiele geschafft, zum ersten Mal übrigens [swr.de]. Sie werden hinlangen, nicht zurückweichen und sich sicher nicht demütigen lassen wie die Oldenburger. Die Sportskameraden aus Schwaben sind die Mannschaft des Turniers, gegen die keiner spielen möchte. Das ist als Kompliment gemeint. Peyton Siva klingt in seinem Münchner Hotelzimmer nicht so, als wäre er beunruhigt. "Ich habe die gleiche Herangehensweise wie immer: konzentrieren, die Intensität halten, nicht mehr machen, nicht weniger. Du musst versuchen, auf dem Boden zu bleiben und auf niemand anderen zu schauen als auf dich und dein Spiel", sagt er.

Die Schuhe des Alba-Berlin-Profis Peyton Siva beim Finalturnier-Vorrundenspiel gegen Bamberg am 09.06.20 in München (Quelle: imago images / ).
Sivas Schuhe beim Finalturnier: Mit einem Edding hat er "Black Lives Matter" auf sie geschrieben, um seine Solidarität mit den Demonstranten in seiner Heimat auszudrücken - und die Namen seiner Töchter. | Bild: www.imago-images.de

Kreislauf aus Armut, Sucht und Verbrechen

Sein Spiel also. Wie kann man es beschreiben? "Keiner in der Liga ist in der Lage, den Angriff mit kurzen Antritten und schnellem Abbremsen so zu organisieren wie er. Er läuft sehr wenig, was ein positives Markenzeichen ist", sagt der Coach und BBL-Experte Jens Leutenecker. "Er ist der Funke, der alles in Gang bringt", hat Sivas Kollege Luke Sikma gesagt. Am besten aber brachte es der Oldenburger Trainer nach dem Halbfinale auf den Punkt: "Er ist der Motor". Da hatte Siva sein Team gerade mit 19 Punkten in nur 22 Minuten zerlegt.

Der Name Peyton bedeutet so viel wie: "Das Zuhause des Kriegers". Der dichte schwarze Vollbart lässt ihn grimmiger erscheinen als früher, aber auch wenn Peyton Siva lachte, hatten seine Augen oft etwas Trauriges. Der Glaube hat ihn aus dunklen Orten geführt. Die Nummer 3 trägt er wegen der christlichen Dreifaltigkeit aus Vater, Sohn und heiligem Geist. "Gottes" ist auf Englisch auf seinem linken Oberarm tätowiert, "Geschenk" auf seinem rechten. Siva versteht das als Mahnung, sein Talent zu nutzen. Und nie in das Leben zurückzukehren, das er hinter sich gelassen hat.

Er wuchs mit zwei Geschwistern in Seattles South End auf, zwischen den Territorien konkurrierender Gangs. Die Mutter brachte die Familie mit drei Jobs gleichzeitig durch. Der Vater war Kickboxer und Türsteher, er war drogenabhängig und litt an Depressionen. Seine Schwester klaute in Geschäften, sein älterer Bruder dealte. Der immer gleiche Kreislauf aus Armut, Sucht und Verbrechen. Siva kannte bald die Postadresse des nächsten Gefängnisses. So konnte er seinen Verwandten Briefe schreiben.

Peyton Siva, damals NBA-Profi bei den Detroit Pistons, dribbelt im Spiel gegen die Atlanta Hawks am 08.04.14 in Atlanta über das Feld (Quelle: dpa / AP / Todd Kirkland).
Siva pendelte zwischen dem Profikader der Detroit Pistons und deren zweiter Mannschaft. Er bekam im Schnitt gut neun Minuten Spielzeit in der NBA. | Bild: dpa / AP / Todd Kirkland

NBA-Profi für 24 Spiele

Als Peyton Siva 14 Jahre alt war, blieb sein Vater eine Woche verschwunden, so haben es beide später "ESPN" erzählt [espn.com]. Siva schnappte sich die zerschrammte Karre seines Bruders und fuhr die Blocks in seinem Viertel entlang, natürlich hatte er keinen Führerschein. Er fand den Vater dort, wo er ihn schon ein halbes Dutzend Mal aufgelesen hatte: In einem Crack House, einer Ruine, in der Dealer und Süchtige rumhingen. Siva senior war high und er hatte eine Pistole in seiner Hosentasche stecken. Er wollte nicht mehr leben. Der Sohn redete ihm ins Gewissen, seine Familie nicht im Stich zu lassen. Der Vater warf die Pistole weg und kam mit nach Hause.

Peyton Siva kanalisierte seine Wut und Aggression im Basketball. Trainer sagten ihm, er sei zu klein und zu schmächtig, aber dafür war er irre schnell und furchtlos. Nur so würde er eine Chance haben. Er kugelte sich eine Schulter aus, erlitt eine Gehirnerschütterung, er zockte unberechenbar und manchmal überdrehte er auch. Bald wurden Scouts auf ihn aufmerksam.

Als er auf der High School und danach auf dem College spielte, rief er seinen Vater immer wieder an und nahm ihn mit in die Kirche. Er ließ ihn nicht los. Heute bezeichnet sich sein Vater als sein größter Fan. Damals muss ein unvorstellbarer Druck auf seinem Sohn gelastet haben.

Peyton Siva wurde College-Champion mit der University of Louisville. Und von dort schaffte er es zu den Detroit Pistons, in die größte Liga der Welt. Er hatte sich seinen Platz unter den Besten erkämpft. Doch nach 24 Spielen war der Traum der NBA-Karriere schon wieder vorbei. Siva musste den Weg "overseas" einschlagen, wie amerikanische Profis die Terra Incognita östlich des Atlantiks nennen. Er ging zu einem abstiegsbedrohten Klub nach Italien, von dort wechselte er 2016 nach Berlin. Er heiratete seine Jugendliebe und bekam zwei Töchter mit ihr. Ihre Namen schreibt er bis heute auf seine Basketballschuhe: Emmy und Addy.

In das Schwimmbecken springen

Bei Alba traf Peyton Siva auf einen Trainer, wie er ihn noch nie gehabt hatte: Er schrie nicht herum, war kein Macho, gab keine Befehle und überließ den Spielern viele Entscheidungen. Aber Aito Garcia Reneses hatte in Europa fast jeden wichtigen Titel gewonnen, den es zu gewinnen gab.

Junge Spieler werden schnell nervös oder überschätzen ihre Möglichkeiten. Auch Siva nahm in seiner Anfangszeit bei Alba Würfe, die er nicht hätte nehmen sollen oder spielte Quatschpässe, aus denen nichts werden konnte. Ihm fehlte das Gespür für den Rhythmus. Er versuchte, das Spiel an sich zu reißen, weil er noch nicht gelernt hatte, es zu sich kommen zu lassen. "Aito hat mir beigebracht, meinen Stil anzupassen. Er nennt es: In das Schwimmbecken springen. Das bedeutet, Schmerz zu vermeiden, wo es geht und besser zu wählen, wann du attackierst und wann du draußen bleibst", sagt Siva.

Im Oktober wird er 30 Jahre alt und die vier Saisons an der Seite des Señor haben aus ihm einen klügeren, viel gefährlicheren Basketballer gemacht. Er verliert den Ball seltener, passt besser und will nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand. Weil er in Berlin konstant an seinem Wurf gearbeitet hat, ist er ein exzellenter Schütze geworden. Er trifft in diesem Turnier bislang mehr als die Hälfte seiner Dreier, genauso hochprozentig wie der Superwerfer Eriksson, den die Berliner ausschließlich dafür eingekauft haben. Der Motor aber muss mehr machen.

"Zu pausieren, hat definitiv geholfen"

Sivas Antritt ist immer noch verheerend für seine Verteidiger, es ist fast unmöglich, ihn ohne Foul zu stoppen. Man möchte sich nicht vorstellen, zu was er imstande wäre, wenn er nicht so viel Zeit in der Reha verbracht hätte. Er würde ziemlich sicher nicht bei einem Klub wie Alba Berlin spielen, sondern eher als solider Rollenspieler und Wandersmann weiter durch die NBA tingeln.

Aber alleine in dieser Saison war Peyton Siva dreimal raus, noch vor der Corona-Pause. Er tut was er kann, isst gesund, schläft viel, dehnt sich, trinkt nicht. Aber manche Körper sind für eine Vollzeitkarriere im Profisport nicht gemacht. Liste seiner malträtierten Körperteile: Sprunggelenke, Knie, Ellenbogen, Leiste, Rippe, Schulter, diverse Muskelfasern.

Umso wichtiger ist es, einen Trainer zu haben, der einen nicht verheizt. Aito weiß, dass er Sivas Minuten gut einteilen muss, um das Beste aus ihm herauszuholen. Aber in diesem Jahr hat er auch den Kader dafür. Dass Albas wichtigste Spieler relativ frisch durch das Turnier gekommen sind, könnte am Ende den Unterschied machen. Im bedeutungslosen Rückspiel gegen Oldenburg durfte Peyton Siva aussetzen und er beklagte sich nicht. "Zu pausieren, hat definitiv geholfen. Es sind so viele Spiele in so kurzer Zeit. Ich habe ein paar kleine Wehwehchen, aber das gehört dazu. Ich fühle mich gut", sagt er.

Peyton Siva ALBA, freut sich zusammen mit seinen Töchtern Emersyn Faith, links, und Adalyn, rechts, über den BBL-Pokalsieg seines Teams Alba Berlin am 16.02.20 in Berlin über Oldenburg (Quelle: imago images / Bernd König).
Familienfoto zur Feier des Pokalsiegs im Februar: Siva mit seinen Töchtern Emmy (links) und Addy. | Bild: imago images / Bernd König

"Wenn ich auf dem Feld stehe, mache ich mir keine Sorgen"

Im Hinspiel gegen Oldenburg bekommt Siva einen Block an der Dreierlinie, dribbelt nach rechts und geht durch die Lücke. Drei Verteidiger stehen um ihn herum, aber sie haben keine Chance, so weit unten an den Ball zu kommen. Sie müssen spekulieren. Siva könnte jetzt raus in die Ecke passen oder rein in die Zone, oder er könnte einen Sprungwurf nehmen. Es liegt alles in seinen Händen [youtube.com].

"Wenn du ein Kind bist, liebst du Basketball einfach für den Spaß, den du daran hast", sagt Siva später am Telefon. "Wenn du älter wirst, kann das Spiel seine Unschuld verlieren, es wird mehr zum Geschäft. Heute gehe ich mit der Einstellung heran: Wenn ich auf dem Feld stehe, mache ich mir keine Sorgen um irgendwas. Ich genieße einfach den Moment."

Er wartet, bis sich ein Oldenburger wegdreht, um seinen Mann zu verteidigen. Dann springt Peyton Siva mit einem Bein ab und lässt den Ball über seinen ausgestreckten rechten Arm in den Korb tropfen.

Beitrag von Sebastian Schneider, rbb|24

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