Analyse | Herthas Niederlage in Dortmund - Nach vorne fehlen Mut und Kraft

So 07.06.20 | 08:58 Uhr | Von Till Oppermann
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Herthas Dedryck Boyata ärgert sich über die knappe Niederlage (Quelle: dpa/Groothuis/Witters)
Bild: dpa/Groothuis/Witters

Nach dem Spiel gegen Dortmund ist klar, dass die Defensive von Hertha BSC zur Bundesligaspitze gehört. Leider reicht das nicht für einen Punkt. Denn im Angriff fehlt Bruno Labbadias Mannschaft die Kraft und der Mut, um zu treffen. Von Till Oppermann

Vor dem Spiel warnte Herthas Trainer Bruno Labbadia noch eindringlich vor der Klasse des Gegners. Die Dortmunder seien mit außergewöhnlichen Einzelkönnern ausgestattet. Verschiedene Spieler könnten Duelle mit einer einzigen Aktion zu entscheiden. Am Samstag bewahrheitet sich diese dunkle Vorahnung. Denn obwohl seine Mannschaft gegen den Ball unfassbar konzentriert arbeitete, hieß der Sieger am Ende Borussia Dortmund.

Weil die kreativen Alleskönner Jadon Sancho und Julian Brandt vor dem Siegtor durch Emre Can Herthas kompakt verteidigende Abwehr mit einem Geniestreich aushebelten. "Man muss schon sagen, dass der Gegner sehr, sehr gut war", seufzt Labbadia nach dem Spiel am ZDF-Mikrofon. Wie gut, beweist die Vorarbeit des Siegtores: Weil durch Herthas gute Arbeit die Flügel dicht waren, dribbelte Sancho in die Mitte. Dort zog Julian Brandt mit einem klugen Laufweg die enge Staffelung auseinander. Nach einem Sancho-Lupfer auf Brandts Kopf, legte der den Ball genau in die Lücke auf, die er vorher geschaffen hatte. Von dem Spielzug überrascht konnte bei Cans Abschluss kein Berliner mehr eingreifen.

Herthas disziplinierte Defensive ist auf Topniveau

"Wir wussten, dass es nicht einfach wird gegen Hertha", sagte der Torschütze nach dem Spiel. Und Vorlagengeber Julian Brandt haderte damit, dass man keinen schönen Fußball gespielt habe.

Dabei vergaß er, Herthas Anteil am Spiel zu loben. Denn die Mannschaft verteidigte diszipliniert: Statt das Angriffspressing aus den letzten vier Spielen zu wiederholen, liefen die Berliner zu Beginn erst im Mittelfeld an. Das war der Dortmunder Qualität geschuldet. Generell schienen Labbadia und sein Team die Stärken des Dauervizemeisters genau analysiert zu haben. Eine der Stärken des BVB sind die Pässe in die Halbräume zwischen Abwehr und Mittelfeld und die Diagonalbälle, mit denen das Spieltempo und die Seite gewechselt werden sollen. Als Reaktion darauf machte Hertha das Feld eng, indem die Flügelstürmer Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio Dortmunds gefährliche Flügelverteidiger Guerreiro und Hakimi ungedeckt ließen. Sie fielen lieber in die Mitte, wo sie die Lücken stopften und bei Durchbrüchen über die Flügel Hereingaben verteidigen konnten.

Die Berliner gehen weite Wege

Durch das tiefere Pressing konnte Dortmund den Ball lange durch die eigenen Reihen laufen lassen. Am Ende notierten die Statistiker 59% Ballbesitz für die Gastgeber. "Wir mussten viel hinterherlaufen", erklärte Bruno Labbadia. Das habe man aber mit Bravour gemacht. Denn Hertha ließ kaum Chancen zu. "Gegen eine Mannschaft, die schon über 80 Tore gemacht hat."

Weil Hertha wach war und klug verteidigte, aber auch weil der Einsatz stimmte. Kapitän Vedad Ibisevic lobte, dass die Moral gut gewesen sei. "Wir haben gegen den Ball sehr gut gearbeitet. Wir haben alles reingeworfen, was wir hatten." Über 122 Kilometer lief die Mannschaft am Ende. Das sind acht mehr als im Saisondurchschnitt. Da passte es gut, dass Vladimir Darida seinen eigenen, erst letzte Woche aufgestellten Bundesligarekord knackte. Er ist das Herzstück Herthas couragierter Arbeit gegen den Ball und hat sich in den letzten drei Wochen seit dem Restart unverzichtbar gemacht. Darida hielt das defensive Gefüge zusammen, das gegen die Dortmunder Offensivmaschinen bewies, dass es derzeit zur Bundesligaspitze gehört.

Peter Pekarik hilft Per Skjelbred, der einen Krampf hat (Quelle: dpa/Groothuis/Witters)
Bild: dpa/Groothuis/Witters

Die Kraft für Entlastung fehlt

Für Labbadias Fußball ist großer Aufwand unverzichtbar. Dabei würden die Berliner den Ball lieber laufen lassen, hätten selbst mehr Ballbesitz. Doch der Trainer räumte ein: "Wir hatten zu viele Abspielfehler." Mit 80% erfolgreichen Pässen war Herthas Quote 10% schlechter als die des Gegners. "Mit dem Ball war das nicht unser Spiel", räumte auch Ibisevic ein. Immer wieder versuchten die Dortmunder, schnell hinter den Ball zu kommen. Und immer wieder versäumten es die Herthaner, in den Umschaltmomenten das Spiel schnell zu machen. Kein Wunder. Die langen Laufwege im Dortmunder Ballbesitz waren zu kräftezehrend, um mit Sprints zu kontern. Vielleicht war das dem tiefen Pressing geschuldet. Andererseits war das die Grundlage für die kompakte Defensivleistung.

Labbadia lieferte dem ZDF zudem folgende Erklärung: "Man hat gemerkt, dass wir Ausfälle hatten und wechseln mussten." Tatsächlich mussten Dilrosun und Lukebakio früh verletzt runter. In der Folge fehlten Tiefe und Tempo im Berliner Spiel, so Labbadia.

"Uns hat der letzte Punch gefehlt"

Doch diese Erklärung greift zu kurz. Denn wie der Trainer auf der Pressekonferenz später sagte: "Es war etwas mehr drin." Oft war die Mannschaft im letzten Drittel der Dortmunder in guter Position. Und selten wurde sie dabei gefährlich. "Der letzte Punch hat gefehlt."

Und der Mut: In der ersten Hälfte gingen die Berliner in ein einziges Dribbling. Zum Vergleich: Allein Jadon Sancho probierte auf der anderen Seite vier Mal so oft, die Herthaner auszuspielen. Stattdessen segelten allzu oft halbgare Halbfeldflanken in den Strafraum, die Dortmunds Defensive mühelos klärte. Vladimir Daridas Freistoß in der 70. Minute steht dafür exemplarisch: 18 Meter vor dem Tor in aussichtsreicher Position verweigerte er den Torabschluss und spielte eine schwache Hereingabe. Vielleicht hätte lieber Jessic Ngankam schießen sollen. Der 19-Jährige zeigte nach seiner Einwechslung für Lukebakio, dass er keine Angst vor großen Aufgaben hat. In seinem dritten Bundesligaspiel scheute Ngankam keinen Zweikampf. Außerdem ging er immer wieder ins Eins gegen Eins und zog so auch das Foul vor dem Freistoß.

Gegen Frankfurt will Hertha wieder punkten

Vielleicht bringt ihn das gegen Frankfurt (Samstag, 13.06.) zu seinem ersten Startelfeinsatz. Besonders wenn Mateus Cunha weiter fehlen sollte, ist Hertha auf mutige und unbekümmerte Offensivspieler angewiesen, um den Gegner über die Flügel zu knacken.

Vedad Ibisevic will nach der ersten Niederlage unter Labbadia an den Lauf aus den ersten vier Partien anknüpfen. "Wir wollen jetzt alle Punkte holen." Auch der Coach schielt auf weitere Siege. Man wolle genauso weiter machen wie in den ersten Spielen nach dem Corona-Neustart. "Da haben wir den Gegner teilweise dominiert." Damit das gegen die Frankfurter wieder gelingt, muss Hertha mutiger nach vorne Spielen. Mehr Kraft wird man allemal haben.  

Sendung: rbb24, 06.06.2020, 21:45 Uhr

Beitrag von Till Oppermann

6 Kommentare

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  1. 6.

    In den 5 Spielen hat Hertha BSC drei Gegentore bekommen, Bayern München vier. Just sayin'.

  2. 5.

    Danke, ja, die Lage stabilisiert sich. Viel Glück nach Bremen, Ihr packt das noch. BL ohne Werder geht ja garnicht :-)

  3. 4.

    Nicht schlecht was der Bruno aus der alten Dame herrausgekitzelt hat! Hätten wir auch gerne in Bremen ;-) Grüße in die Hauptstadt und weiterhin viel erfolg!

  4. 3.

    Na klar, gegen eine der torgefährlichsten Mannschaft der Liga kann man ganz normal verteidigen... Sie sollten sich mal den BVB richtig anschauen.

  5. 2.

    Ist klar. Man hätte auch Angriffsfußball spielen können. Dann hätte Hertha sich vier oder fünf Tore eingefangen. Wenn man Kritik ausübt, dann bitte mit Verstand.

  6. 1.

    Eine Abwehr gehört noch lange nicht zur Spitze, wenn die gesamte Mannschaft "einen Bus vor dem Strafraum parkt."

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