Interview | Berliner Ruder-Olympiasieger Wolfgang Maennig - "Besser Olympische Spiele ohne Zuschauer als gar keine Spiele"

Di 25.08.20 | 18:36 Uhr
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Wolfgang Maennig in seinem Büro. Quelle: dpa/Christian Charisius
Bild: dpa/Christian Charisius

1988 wurde Wolfgang Maennig Ruder-Olympiasieger, heute ist er Sportökonom. Für die Verschiebung der Olympischen Spiele zeigt er Verständnis. Im Interview erklärt er, wie eine Austragung 2021 erfolgreich sein kann und worauf es für die Beteiligten ankommt.

rbb|24: Wolfgang Maennig, mit Blick auf die aktuelle Situation: Halten Sie die auf das nächste Jahr verschobenen Olympischen Spiele in Tokio 2021 für realistisch?

Wolfgang Maennig: Ich bin ein realistscher Optimist (schmunzelt), ich denke, dass bis dahin Medikamente entwickelt sein werden, die gegen eine Infektion schützen werden oder vielleicht besser heilen können, als wir es bislang haben. Außerdem hoffe ich, dass man organisatorisch in der Lage sein wird, die Athleten so unterzubringen, dass sie sich nicht gegenseitig anstecken werden.

Es werden bereits jetzt unterschiedlichste Modelle diskutiert. Olympia ohne Zuschauer, nur mit japanischen Zuschauern oder dass die Sportler langfristig ohne jeglichen Kontakt nach außen leben und die Wettkämpfe durchführen. Auch die Option, nur die Kernsportarten in Japan und andere Wettbewerbe in der Welt verteilt stattfinden zu lassen, ist eine Überlegung. Was halten Sie für wahrscheinlich?

In Tokio nur die Kernsportarten stattfinden zu lassen, ist für die meisten Olympia-Teilnehmer ein No-Go. Das zeichnet die Olympischen Spiele nun mal aus, dass alle Sportarten an einem Ort und zur gleichen Zeit stattfinden - das ist die wesentliche Faszination. Daher scheidet diese Option aus. Auch das olympische Dorf ist für mich eigentlich ein ganz zentraler Bestandteil. Wenn die Athleten dezentral in verschiedenen Hotels untergebracht werden würden, fehlt ebenfalls ein ganz wichtiger Teil. Auch das möchte ich mir nicht vorstellen. Ich hoffe daher, dass alternative Modelle, wie zum Beispiel eine Quarantäne der Athleten im Vorfeld, entwickelt werden.

Sie haben selbst Olympische Spiele miterlebt. Ist es für die Athleten überhaupt denkbar, die Wettbewerbe ohne Zuschauer stattfinden zu lassen?

Das wäre schon sehr unschön. Ein großer Teil der Freude würde verschwinden. Wir sehen es auch beim Fußball, die Einblendungen verrückt gekleideter Zuschauer und die Stimmung fehlen. Aber: Besser Olympische Spiele ohne Zuschauer als gar keine Olympischen Spiele. Fast alle Athleten olympischer Sportarten sind es ja eigentlich gewohnt, kaum Zuschauer zu haben. Natürlich ist es gerade für sie eigentlich die Faszination, dass sie bei Olympia Zuschauer haben. Bevor sie aber ganz auf die Spiele verzichten, verzichten sie lieber auf Zuschauer. Hinzu kommt, dass durch die fehlenden Freizeitaktivitäten während der Corona-Krise wahrscheinlich an den Fernsehern mehr Menschen zuschauen würden. Das wäre gerade für das Sponsoring der Athleten wertvoll.

Können Sie sich denn auch den Fall vorstellen, dass die Spiele komplett abgesagt werden?

Nein, das will ich mir auch nicht vorstellen. Das wäre ein völliges Desaster für die Athleten. Wir hatten das beim Olympia-Boykott 1980, der die westlichen Sportler zum größten Teil getroffen hat und beim Olympia-Boykott 1984, der die östlichen Sportler getroffen hat. Ich kenne einige der betroffen Athleten von damals und die knabbern bis heute an diesen Boykotts. Der Verzicht hat ihr Leben nachhaltig beschädigt.

Welche wirtschaftlichen Folgen hätten die verschiedenen Modelle für das Gastgeberland Japan?

Man muss zunächst sagen, dass Olympische Spiele kleiner sind als oft wahrgenommen. Sie werden als ein Event gesehen, das ganze Volkswirtschaften verändern kann - das gilt aber schon für normale Volkswirtschaften nicht. Selbst in Griechenland hat man keine positiven Effekte nach den Spielen 2004 in Athen festgestellt. Für diese riesige, hocheffiziente Volkswirtschaft von Japan dürfte der Anteil der Impulse, der durch Zuschauer oder Bauaktivitiäten entsteht, in einem minimalen Bereich des Bruttosozialprodukts liegen. Wahrscheinlich ist er gar nicht messbar. Die Auswirkungen eines möglichen Ausfalls der Zuschauer aus aller Welt sind entsprechend klein.

Umfragen in der japanischen Wirtschaft und in der Bevölkerung zeigen aber, dass die Akzeptanz für Olympia immer geringer wird. Was bedeutet das für den Veranstalter?

Man muss herausstellen, dass Japan eine Insel-Kultur ist. Das zeigt sich in vielerlei Hinsicht: Sie sind ein sehr homogenes Volk, in Japan trifft man auf sehr viel weniger Internationals als in den meisten anderen Gebieten der Welt. Vielleicht sind sie auch insgesamt weniger offen und haben mehr Befürchtungen. Die Hauptsorge der Japaner ist jetzt natürlich, dass sie durch die Sportler und Zuschauer das Coronavirus neu ins Land bekommen werden. Das ist verständlich und wäre bei uns kaum anders. Ich hoffe, dass diese Ängste nachlassen, wenn Medikamente gefunden werden und die Organisatoren zeigen, dass sie die Lage im Griff haben. Spiele ohne Zuschauer wären für den Veranstalter zwar schmerzlich, aber nicht unerträglich - der Anteil der berechneten Einnahmen im Budget dürfte bei nur zehn bis 15 Prozent liegen. Die Fernseh- und Sponsoring-Erlöse würden durch einen möglichen Zuschauerauschluss aber kaum beeinträchtigt werden.

Nach der Verschiebung der Spiele gab es zwei Seiten: Japan wollte auf keinen Fall nach 2021 austragen, das Internationale Olympische Komitee (IOC) wollte die Spiele auf jeden Fall mit Zuschauer stattfinden lassen. Mittlerweile haben sich beide Seiten etwas neutraler geäußert. Halten Sie es trotzdem für ausgeschlossen, dass Olympia möglicherweise noch ein weiteres Mal verschoben wird?

Nein, ich halte es nicht für ausgeschlossen. Außerdem halte ich es für besser, als gar keine Olympischen Spiele zu haben. Es wird genug Tränen geben - für einige, die es aus Altersgründen nicht bis 2021 schaffen, gab es die schon jetzt. Natürlich würde es auch noch einmal zusätzliche Kosten entstehen. Aus Sicht der Athleten wäre es trotzdem besser, noch einmal verschieben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jonas Schützeberg, rbb Sport.

Sendung: rbb Inforadio, 26.08.20, 10:15 Uhr

1 Kommentar

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  1. 1.

    Ich denke, das HEUTE bei Olympia persönlicher Erfolg und Kommerz wichtiger sind als Welt-Gemeinschaft und Welt- Frieden. Die Erfinder der Olympischen Spiele der Neuzeit, werden wohl in ihren Gräbern rotieren.

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