Hertha BSC vor dem Bundesligastart - Die Sehnsucht nach Europa
Hertha BSC hat eine turbulente Saison hinter sich. Nun soll Bruno Labbadia den Hauptstadtklub in ruhiges Fahrwasser manövrieren. Doch die Ansprüche in der Hauptstadt sind dank Investor Lars Windhorst hoch. Vielleicht zu hoch. Von Jakob Rüger
So lief die vergangene Saison
Hertha BSC blickt auf eine Saison, die Schlagzeilen für ein ganzes Jahrzehnt geliefert hat. Nach der Ära Pal Dardai, der viereinhalb Jahre an der Seitenlinie der Alten Dame stand, sollte ein neues "Eigengewächs" die Berliner prägen. Manager Michael Preetz entschied sich im Sommer 2019 gegen den Kandidaten Bruno Labbadia und setzte stattdessen auf Ante Covic. Der Ex-Herthaner hatte jahrelang erfolgreich mit der zweiten Mannschaft gearbeitet. Es dauerte keine fünf Monate und das Experiment mit dem unerfahrenen Covic war beendet.
Es kam völlig überraschend Jürgen Klinsmann und mit ihm der Medienrummel und die größenwahnsinnigen Ziele. Hertha sollte in die Champions-League und gab im Wintertransferfenster dank Investor Lars Windhorst mehr Geld aus, als jeder andere Verein auf der Welt. "Berlin und Deutschland haben einen Mega-Klub verdient", posaunte Klinsmann im Wintertrainingslager von Florida. Doch der stets lächelnde Jürgen machte den "Big City Club" mit seinem überstürzten Abgang, einer eher peinlichen Rechtfertigung per Facebook-Live und seinen jetzt schon legendären Tagebüchern in kurzer Zeit zur Lachnummer.
Klinsmanns Assistent Alexander Nouri sollte Hertha ab Februar vor dem Abstieg bewahren. Doch sportlich wurde es schlimmer, statt besser. Hertha taumelte den Abstiegsrängen entgegen. Dann kam Corona und damit eine Zwangspause, die den Berlinern wohl die Saison gerettet hat. Manager Preetz erinnerte sich an Bruno Labbadia und lotste den erfahrenen Trainer in die Hauptstadt. Zwar sorgte Salomon Kalou mit seinem Handyvideo aus der Kabine noch mal für Aufregung, doch mit einem soliden Schlussspurt beendete Hertha eine Hollywood-Reife Spielzeit auf Platz zehn.
Wer kommt, wer geht?
Vedad Ibisevic, Per Skjelbred, Salomon Kalou, Thomas Kraft – sie prägten Hertha BSC in der Zeit unter Trainer Pal Dardai. Starke Persönlichkeiten, die in der Kabine und auf dem Platz Gehör fanden. Hertha wollte sich verjüngen und merkte in der Vorbereitung plötzlich, dass die Führungsspieler fehlen. Insgesamt neun Spieler (darunter auch die Leihgaben Marko Grujic und Marius Wolf) haben den Verein verlassen, gleichwertig ersetzt wurden sie noch nicht.
Dazugekommen sind bislang Rechtsverteidiger Deyovaisio Zeefuik (Groningen), Torwart Alexander Schwolow (Freiburg) und Mittelfeldspieler Lucas Tousart (Lyon), der im Winter schon verpflichtet wurde und zuletzt noch an Lyon ausgeliehen war. Weitere Neuzugänge lassen noch auf sich warten. Im zentralen Mittelfeld, auf der offensiven Außenbahn und im Sturm wollen sich die Berliner verstärken. Der Name Jhon Cordoba, Stürmer vom 1.FC Köln, hält sich hartnäckig.
Der Trainer
Bruno Labbadia hat sich sein Engagement beim "Big City Club" sicherlich auch anders vorgestellt. Viel Geld bedeutet nämlich noch lange nicht, dass man auch alle Wunschspieler bekommt. Und so hatte sich der Trainer zum Bundesligastart schon "ein, zwei Transfers mehr erhofft". Noch fremdelt die Mannschaft mit dem schnellen, geradlinigen Labbadia-Spielstil. Der 54-Jährige steht für Sachlichkeit und Realismus. Seine ruhige Art tut dem Verein im turbulenten Mediendschungel der Hauptstadt gut. "Mit der Erwartungshaltung habe ich keine Probleme. Wir wollen einen Weg gehen. Und der Weg ist beschwerlicher, als ich es mir vorgestellt habe."
Die Ziele
"Besser als letzte Saison", lautet das inoffizielle Ziel von Spielern und Verantwortlichen. Hertha will sowohl in der Tabelle aber auch spielerisch einen Schritt nach vorne machen. Hinter vorgehaltener Hand wird sogar von einem Europapokalplatz geträumt. Wie gut Hertha am Ende wirklich ist, hängt maßgeblich von den neuen Strukturen ab, die sich in der jungen Mannschaft noch entwickeln müssen. In der Vorbereitung und in der 1. DFB-Pokalrunde (4:5 bei Eintracht Braunschweig) wurde deutlich, es fehlt an Führungsspielern. Die Investitionen von Lars Windhorst haben den Druck auf Manager Preetz und Trainer Labbadia erhöht.
Sendung: Inforadio, 15.09.2020, 09:15 Uhr