Interview | Radprofi Geschke bei Tour de France - "Ich bin optimistisch, dass wir Paris sehen werden"

Mo 07.09.20 | 19:50 Uhr
Der Berliner Simon Geschke bei der Tour de France. Quelle: dpa/David Stockmann
Bild: dpa/David Stockmann

Die Tour de France erholt sich am Montag bei ihrem ersten Ruhetag. Auch der Berliner Radprofi Simon Geschke nutzte den Tag, um sich von den Strapazen der Rundfahrt zu erholen - und um seine bisherigen Erlebnisse der "etwas anderen Tour" zu schildern.

rbb|24: Simon Geschke, die Tour de France ist in diesem Jahr stark durch die Corona-Pandemie beeinflusst. Wie erleben Sie "die etwas andere Tour", wie sie jetzt oft genannt wird?

Simon Geschke: "Die etwas andere Tour" trifft es schon ganz gut (schmunzelt). Wir haben wie schon seit Beginn der Saison viele Tests - man ist daher noch etwas angespannter als sonst. Wir wurden zwei Mal vor dem Start der Tour auf Corona getestet - einmal sechs und einmal drei Tage vorher. Auch am Ruhetag wurden wir wieder getestet. Das sind also die großen Unterschiede zu normalen Rennen. Hinzu kommt, dass es ein bisschen entspannter ist, was die Journalisten angeht. Eigentlich hat man gar keinen Kontakt zu anderen Menschen. Man bleibt quasi innerhalb des Teams in einer Blase. Normalerweise kommen gerade an den Ruhetagen Sponsoren, Gäste oder auch die Familie zu Besuch - das geht in diesem Jahr nicht. Die Tour und die Organisation ist schon sehr vorsichtig.

Sie sprechen die Tests an. Bislang ist das Konzept aufgegangen, es gab keine Zwischenfälle. Haben Sie trotzdem die Befürchtung, dass die Tour abgebrochen werden könnte?

Natürlich gibt es immer einen Restzweifel. Ich wüsste aber nicht, wo wir uns mit dem Virus anstecken sollten. Die Teams nehmen es wirklich alle ziemlich ernst. Die größte Gefahr besteht vielleicht noch in den Hotels. Bei positiven Corona-Fällen soll es ja auch so sein, dass zwar das Team nach Hause geschickt wird, die Tour aber nicht abgebrochen wird. Ich bin also optimistisch, dass wir Paris sehen werden.

Gerade in den Pyrenäen hatte man zuletzt aber den Eindruck, dass recht viele Fans an der Strecke waren - nicht alle trugen eine Maske. Einige Fahrer haben die Zuschauer im Anschluss zu mehr Vorsicht aufgerufen. Wie stehen Sie dazu?

Als Fahrer kann man wirklich nur an die Menschen appellieren - das haben in diesem Fall aber auch die Organisatoren schon gemacht. Ich versuche daher, mich auf das Sportliche zu konzentrieren. Natürlich ist es unverantwortlich, keine Maske zu tragen, wenn man in einer Menschenmenge steht. Viele Fans halten sich aber auch sehr gut an die Regeln. Wir haben in diesem Jahr deutlich weniger Kontakt.

Jetzt liegen die Pyrenäen hinter Ihnen: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer bisherigen Leistung?

Der Ruhetag kommt sehr gelegen, die erste Woche war nicht ohne. Meine bisherige Leistung war okay, ich würde sagen durchschnittlich. Das ist für die Tour de France aber definitiv nicht gut genug. Ich hoffe immer noch, dass ich mich ein bisschen mehr in Schwung fahre. Die erste Woche bei der Tour lief bei mir in den vergangenen Jahren aber schon immer ein bisschen zäh. Die Rest liegt mir dann meistens mehr. Hoffen wir, dass es in diesem Jahr genauso ist.

Wie würden Sie das sportliche Niveau in diesem Jahr insgesamt einordnen? Schließlich hat die Corona-Pandemie den Rennkalender ordentlich über den Haufen geworfen und die Vorbereitung war schwierig.

Das Level ist trotzdem sehr hoch. Es haben ja alle gesagt, dass die Tour in diesem Jahr anders wird, weil vorher kaum richtigen Rennen waren - davon merkt man aber nichts. Das Niveau ist wirklich so hoch wie immer. Die Fahrer haben gut trainiert, auch ich habe nur eine kurze Pause im Juni gemacht. Man kann auch über das Training fit werden, außerdem gab es ja zumindest schon ein paar Rennen wieder seit dem Saisonbeginn Anfang August.

Ein weiteres Thema, das den Radsport in den letzten Wochen beschäftigt hat, sind die schweren Stürze zuletzt bei der Polen-Rundfahrt und dem Critérium du Dauphiné. Auch bei der Tour de France kam es bereits auf der ersten Etappe zu einem schwereren Sturz. Hat der Radsport da ein grundsätzliches, größer werdendes Problem?

Man muss natürlich immer die Ursache der Stürze sehen und vergleichen. Bei der ersten Etappe der Tour waren es einfach die Wetterbedingungen und somit höhere Gewalt. Es hatte in Nizza zwei Monate lang nicht geregnet, als dann der Niederschlag kam, entstand auf der Straße ein Film aus Wasser, Staub und Öl - da hatten wir dann natürlich mit der Bereifung, die wir haben, überhaupt keine Chance. Sobald man die Bremsen nur leicht antippt, verliert man schon die Haftung. Bei der Polen- und der Dauphiné-Rundfahrt wurde aber ganz klar von den Organisatoren ein Risko in Kauf genommen.

Welche Fehler wurden aus Ihrer Sicht gemacht?

Bei der Dauphiné war ich nicht selber dabei. Es wurde aber gesagt, dass die Abfahrt einfach dreckig war und Schotter und Steine auf der Strecke lagen, die dann den Sturz verursacht haben. Bei der Polen-Rundfahrt ist es bei einem Sprint passiert, der schon seit zehn Jahren so stattfindet, und bei dem ich mir jedes Jahr gedacht habe, wenn hier einer stürzt, gibt es große Verletzungen - in diesem Jahr war es dann soweit.

Kurz vor dem Ziel, wenn alle um den Sieg kämpfen, geht es relativ steil bergab - das ist einfach ein unnötiges Risiko. Normalerweise kommt man im Sprint auf über 60 Stundenkilometer, auf dem Abschnitt bei der Polen-Rundfahrt sind wir in den letzten Jahren immer über 80 Stundenkilometer gefahren. Das ist ein Unterschied, den man am Fernseher noch nicht einmal sieht, der bei einem Sturz aber große Auswirkungen haben kann - das ist für mich unverantwortlich. Zum Glück geht es dem Fahrer, der zwischenzeitlich im Koma lag (Fabio Jakobsen, Anm. d. Red), mittlerweile besser.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jonas Bürgener, rbb Sport.

Sendung: rbbUM6, 07.09.2020, 18:00 Uhr

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